Wer sichere Schritte tun will, muss sie langsam tun
Geraldine Maier (20): Ich glaube, dass eine gute Botschaft hinter diesem Zitat steckt. Allerdings fällt es mir schwer, diese Aussage so stehenzulassen. Das Wörtchen «langsam» löst bei mir eine gewisse Ablehnung aus. Langsam ist für mich in diesem Zusammenhang mit einem Widerspruch verbunden. Beispielsweise können langsame Schritte im Strassenverkehr lebensgefährlich sein. Also alles andere als sicher. In diesem Sprichwort wirkt für mich der Begriff «langsam» etwas träge und kraftlos, was ich sofort mit mangelnder Konzentration in Verbindung setze, welche wiederum gewisse Risiken mit sich bringt. Ebenfalls das Gegenteil von sicher. «Wer sichere Schritte tun will» verbinde ich mit fehlerfrei. Ich bringe damit eine verantwortungsbewusste, überlegte Handlung in Zusammenhang. Ob der Schlüssel zu einer solchen Handlung wirklich die Geschwindigkeit ist…also, ich weiss nicht recht.
René Mathys (66): Bei diesem Sprichwort kommen mir sofort Senioren in den Sinn! Falls sie sich nicht langsam, aber sicher bewegen, können älteren Menschen ein Teppichrand, rutschige Teppiche, Möbel mit spitzen Ecken, eine Badewanne usw. zum Verhängnis werden. Noch besser ist es, diese «Fallen» zu entschärfen, d. h. Dusche statt Badewanne, möglichst keine Teppiche, Möbel ohne spitze Kanten… Als ich mich mal in einem Activ-Aging-Anzug fortbewegen musste, der einen 20 oder mehr Jahre altern lässt, dämmerte mir, was das Alter mit sich bringen kann. Der Kochherd mit Touchscreen reagierte nicht wegen der Handschuhe, ein glitschiges Glas fiel mir auf den Boden und am PC konnte ich, wegen der eingeschränkten Sicht, nur mit grosser Mühe tätig werden. Zu guter Letzt stolperte ich über ein Kissen, das ein Kleinkind simulierte, welches ich nicht sehen konnte. Ganz automatisch verlangsamte sich allmählich meine Fortbewegung. Ich denke deshalb, dass die ganze Bedeutung dieses Sprichwortes erst im Alter vollumfänglich realisiert werden kann!
Die Verleumdung ist schnell und die Wahrheit langsam
René Mathys: Dieses Sprichwort trifft voll und ganz zu – nicht wenige Menschen könnten das bestätigen! Während meines Berufslebens kam ich auch in den «Genuss» von Verleumdungen, wie wohl so viele. Einige Leute scheinen diesbezüglich gar keine Skrupel zu haben. Ich vermute, wer mal mit Verleumdungen auf Du und Du ist, wendet dieses Mittel gewissenlos an, insbesondere, wenn daraus bereits etliche «Erfolge» – falls man dem so sagen kann – resultierten. Traurig finde ich, dass nicht wenige Vorgesetzte Verleumdungen «ungschouet» glauben, statt der Sache auf den Grund zu gehen. Dies würde jedoch etwas Mut bzw. Rückgrat, erfordern – damit sind jedoch nicht alle «gesegnet». Aber eines Tages – um auf den zweiten Teil des Sprichwortes zurückzukommen – kommt die Wahrheit langsam ans Licht. Ein anderes Sprichwort kann sich dann bewahrheiten, nämlich: «Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht!»
Geraldine Maier: Verleumdung heisst ja, dass über eine Person falsche Tatsachen behauptet und verbreitet werden. Muss dies aber zwingend negativ sein? In meiner Ausbildung hatte ich den Ruf einer sehr seriösen, pflichtbewussten Person. Als ich dann später mal von meinem Party-Weekend erzählte, machte eine Arbeitskollegin grosse Augen. Sie hatte offensichtlich ein falsches Bild von mir. Ihre Überraschung darüber, dass ich nicht nur für die Schule lerne und nicht nur ein gesundes Leben führe, brachte mich zum Lachen.
Der Computer arbeitet deshalb so schnell,
weil er nicht denkt
Geraldine Maier: Ahmen die Menschen nun den Computer nach? Erschreckend, wie viele Leute mir in den letzten Monaten begegnet sind, bei welchen ich mir ernsthaft Sorgen um den gesunden Menschenverstand machte. Genau die Fähigkeit, die uns einzigartig macht und im Moment noch von der Technik unterscheidet, scheint langsam zu verblassen.
René Mathys: Der Computer arbeitet schnell, das kann dazu führen, dass die Menschen, welche mit ihm zusammen arbeiten, ebenfalls immer schneller werden – bis zum Burnout! Wir werden immer schneller und flüchtiger, das kann dazu führen, dass die Hirne der Computer, die Programme, fehlerbehaftet sind. Die vielen kostspieligen IT-Leichen bei Bund, Kantonen, Gemeinden usw. sprechen davon.
Langsam ist präzise. Präzise ist schnell
René Mathys: Das Sprichwort erinnert mich sofort an «Swiss precision», dank der die Schweiz ja last but not least zu ihrem Wohlstand gekommen ist. Die Herstellung von Hochpräzisionsgütern, wie Uhren, Maschinen, chemischen Produkten, hochspezialisierten Dienstleistungen sowie die Forschung, verbunden mit der Ausbildung usw., zahlen sich aus. Ohne diese Präzision würden wir mangels Rohstoffen wohl mausarm durch unser steiniges Ländchen stolpern. Langsam – Berner an der Spitze –, aber präzise haben wir Schweizer unserem Land zum Wohlstand verholfen. Präzise kann auch schnell sein – die Computerisierung, die Roboterisierung usw. helfen neuen Produkten heute schneller auf die Beine.
Geraldine Maier: Wenn es doch so einfach wäre, wie es tönt. In der heutigen schnelllebigen Zeit ist kein Platz für «langsam». Lieber heute als morgen. Lieber alles zusammen als nacheinander. Wer kennt es nicht? Ich bin bestimmt nicht die Einzige, die sich noch immer mit Multitasking durch den Alltag kämpft. Erst kürzlich ertappte ich mich, wie ich frustriert vor einer unfertigen Mail sass. Ungefähr zwei Stunden vorher hatte ich mich diesem Schreiben gestellt. Und dann? Nichts! Die Mail hatte ich nicht geschrieben, dafür neun Freunden. Kein befriedigendes Ergebnis, wenn man bedenkt, wie viel Zeit ich dafür aufgewendet habe – oder eben nicht. Als mir nicht sofort eine passende Formulierung einfiel, griff ich zum Handy, was damit endete, dass ich die Mail entmutigt links liegen liess. Am nächsten Tag musste ich mich nochmals aufraffen – ich schaffte es dann tatsächlich, die Aufgabe mit angemessenem Aufwand zu beenden. Fazit: Ich liess mich schnell ablenken und brauchte lange, bis ich mich auf meine eigentliche Arbeit fokussierte. Ganz anders ergeht es mir beim Einkaufen. Seit ich mir etwas mehr Zeit nehme, um eine detaillierte Einkaufsliste zu schreiben, bin ich auf meiner Shoppingtour gefühlte hundertmal schneller. Ist euch auch schon aufgefallen, wie gross die Gemüseauswahl im Supermarkt ist? Mir war es unmöglich, mit dem Stichwort «Gemüse» eine effiziente Entscheidung zu treffen.