Interview: Heinz Gfeller (68), Bilder: Jana Sofie Liebe
Wird unsere Welt immer lärmiger? Ist sie allzu laut?
Markus Lauterburg: Ja, in den letzten zwanzig Jahren ausgeprägt – so dass man zu Recht von «akustischer Umweltverschmutzung» redet. Es kann ja sein, dass wir uns die alten Zeiten zu idyllisch vorstellen; wie haben wohl die Kutschen in den Gassen getönt? Aber die Technik ermöglicht immer grössere Lautstärken. Und das äussert sich auch in der Musik: Vielleicht unter Konkurrenzdruck spielen Orchester immer lauter, oder die führende Djembe – in Afrika – wird zunehmend höher gestimmt. In Konzerten entscheiden die Leute am Mischpult viel; Musikerinnen und Musiker müssen darauf vertrauen, dass diese ein passendes Mass finden. Es gibt Konzerträume, deren Böden so eingerichtet sind, dass sie auch Schall übertragen. Es gibt unheimliche Verwendungen von Schallwellen – mit denen man eine Menschenmenge lahmzulegen oder Felsen zu sprengen vermag.
Gibt es Musikstile, die gezielt auf Lautstärke setzen?
Die gibt es. Bei gewissen Stilen, wie Rock oder Techno, gehört das Physische – den Klang im Körper erfahren – zwingend dazu; meist bedeutet es auch bewusste Provokation. Doch das hat unterdessen eine «Grenze nach oben» erreicht, es nutzt sich ab. Stille kann sogar als Gegenmittel provozieren. Die Idee ist nicht neu, John Cage zum Beispiel hat sie erprobt: im Stück «4’33“», wo nichts erklingt. Wahr ist: Es gibt kein Laut ohne Leise.
Was ist eigentlich Lärm? Wir finden Definitionen wie: «unerwünschter Schall», «Überinformation an Schall».
Wenn ich mich dem, was normalerweise als Lärm gilt, widme, nehme ich ihn anders wahr, höre Nuancen heraus, Strukturen. So in einem Versuch, der mit Studierenden gemacht wird: einem Wasserfall lauschen. Man kann hören lernen. Vor dem, was uns an Tönen zuviel zugemutet wird, werden und müssen wir uns hingegen schützen. Die Kopfhörer, die Ohrenstöpsel in der Öffentlichkeit zeigen es: Menschen kapseln sich ab – und häufig mit Musik! Allerdings: Kapseln sie sich vor Lärm ab, was eine gesunde Abwehr darstellt, oder vor ihrer Umwelt? An sich ist «Lärm» eine individuelle Empfindung. Geräusche sind nicht mit Lärm gleichzusetzen. Und andrerseits ist nicht alles Musik.
Damit sind wir bei deiner eigenen Praxis – und beim Schlagzeug. Was ist das für ein Instrument?
Ein eigentümliches sicher. «Streichzeug» oder «Blaszeug» gibt’s ja nicht. Es ist ein physisches Instrument, hat viel mit Bewegung zu tun. Und auch mit «Lärm»: Es ist nicht leicht, bei ihm Melodien herauszuhören; wer’s nicht gewohnt ist, wird «zuviel Information» finden – die Lautstärke inbegriffen –, das kann lästig werden. Im Gegensatz zu andern Instrumenten regt es aber den Spieltrieb an, gibt Narrenfreiheit, überwindet Hemmungen. Während jemand, vor ein Klavier gesetzt, schnell sagt: «Ich kann das nicht spielen», passiert dies beim Schlagzeug nicht – nur bei selbstgebastelten Instrumenten noch weniger. Das ist ein Vorteil namentlich für Kinder, deren grundlegende Musikalität – welche alle haben – ich vor allem ergründen und wecken will. Nicht einen bestimmten Rhythmus durchzuhalten wird in meinem Unterricht Vorrang haben, sondern eine persönliche Sprache zu finden. Man kann mit dem Schlagzeug sehr laut sein, Andere übertönen. Manchmal tut das gut, oder es ist für den musikalischen Ablauf nützlich. Doch Ruhe ist ebenso wichtig. Im Proberaum soll es ganz still sein. Und vor grosser Lautstärke schütze ich meine Ohren.
Was also suchst du selber mit deinen Instrumenten zu erzeugen?
Ich habe Wurzeln nirgends und überall; habe auf vielen Gebieten experimentiert. Schon am Konsi stellte zwar die klassische europäische Musik eine Grundlage dar – da sollten alle ihre Nase hineinstecken –, aber meine Ausbildung war eine Art «Lehrgang für Autodidakten», ich stellte sie selber zusammen. Komposition wurde gelehrt, aber auch Improvisation. Rock und Funk kannte ich bereits. Mein Schlagzeug-Lehrer war der berühmte Pierre Favre, der aus dem Jazz gekommen war, diesen jedoch weitgehend hinter sich gelassen hatte – auch er, um seine eigene Musik zu machen. Das Dogma der 80er-Jahre, gar nichts Festgelegtes zu spielen, möglichst atonal, arhythmisch, reine Energie, das sagte mir nicht zu. Elektronische Musik, etwa Techno, Death Metal, hat mich nie berührt. Sonst bin ich für alles offen. Ich will Kunst weitergeben, nämlich Musik, die aus dem Herzen kommt. Ich will mich ausdrücken – in diesem Sinn kann ich keinen Lärm machen. ☐
Der Berufs-Schlagzeuger
Markus Lauterburg (43) ist in Schwanden bei Sigriswil aufgewachsen; er hat früh auf dem Selve-Areal in Thun mit Gruppen zu musizieren begonnen. Nach seiner Zeichner-Lehre hat er sechs Jahre am Konservatorium (heute Hochschule) Luzern studiert. Heute teilt er seine Zeit zwischen Familie, Lehrtätigkeit – er hat 15 Schlagzeug-SchülerInnen – und den Gruppen, mit denen er auftritt: Unter anderen «Klangcombi», aus der Appenzeller Volksmusik entwickelt, mit Streichern; Pierre Favres «DrumSights», ein Schlagzeug-Quartett, dessen Konzert in Bern wir besucht haben; das Duo mit dem Pianisten Hans-Peter Pfammatter. Für mehr Information, auch für Musikbeispiele: www.markuslauterburg.ch
Schwerpunkt «Lärm»
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