Text: Paul Hutzli (29), Brigitta Ingold (67), Ueli Ingold (66)

Ist Kunst politisch für dich?
Paul Hutzli: Ja, das ist sie für mich. Durch Pro Helvetia habe ich die Chance, mich von Juni bis Dezember 2021 in Warschau weiterzubilden. Das Museum in Warschau ist national und international bekannt. Viele internationale Künstler gehen da ein und aus. Die politische Lage in Polen ist jedoch schwierig geworden, vor allem für die freidenkenden Künstler. Die Parteinähe spürst du in den Kunstausstellungen und in der Organisation. Zum Beispiel wurde die engagierte Museumsdirektorin durch einen parteinahen Direktor ersetzt.
Die Kunst verändert sich je nach politischer Lage. Es ist interessant, aber auch traurig. Diese Veränderung inspiriert mich aber auch – zwei wichtige Fragen sind: Was macht man mit der Kunst? und Für wen macht man Kunst?
Wie entstand diese Entenskulptur?

Es war Winter, Nacht und alles war verschneit. Da sah ich eine Ente auf dem schwarzen Wasser. Der Unterschied zwischen den hellen und dunklen Bereichen inspirierte mich. Dann entstanden Zeichnungen. Das war der Anfang einer Enten-Serie. Mit Isomalt, einem Gemisch von zwei Zuckeralkoholen zu arbeiten, war nicht neu für mich. Zuerst arbeitete ich mit dem geschmolzenen Isomalt in der Zweidimensionalität und es entstanden Glasfenster mit verschiedenen Farbmischungen. Dabei merkte ich, dass ich mit diesem Material auch eine Skulptur schaffen kann. So entstand die naturalistische und doch poetische Ente. Meine Arbeit ist oft experimentell und das finde ich toll.
Hat diese Skulptur einen politischen Bezug?
In einem Gespräch mit einem brasilianischen Künstler fiel mir auf, dass Zucker auch eine politische Dimension hat. In Südamerika würden die Künstler nicht unbedingt mit Zucker arbeiten, da er mit Kolonialismus und Sklaverei assoziiert wird. Dieser Frage möchte ich noch nachgehen; auch mit dem Bezug zur Schweiz. Dinge, welche für uns als nicht politisch erscheinen, können aus einem anderen kulturellen Blickwinkel sehr politisch sein.
Das «Bild ohne Titel» ist faszinierend – bunt wie auch tragisch, wie siehst du es?

Versteckte Leere: «Bild ohne Titel» – Bild: Julien Gremaud
Dieses Bild weist zwei Etappen auf. Es sieht zum einen aus wie ein Fest. Die Leute freuen sich, wirken angeheitert. Wenn du aber genauer hinschaust, ändert sich das übermütige Bild. Es gibt nur wenige Chips für acht Personen. Die Gläser sind leer. Eine unverständliche Botschaft hängt über dem Wagen. Du verstehst nicht mehr, warum die Leute Freude haben, da alles leer und unverständlich ist. Die zwei Teufel, je an einem Tischende, überwachen die Szene. Auf den ersten Blick ist sehr viel los, und doch passiert nichts.
«Auf den ersten Blick ist sehr viel los, und doch passiert nichts.»
Paul Hutzli
Kannst du uns etwas mehr zur Installation mit den Stühlen sagen? Sind diese Stühle schwer?

Sehr leicht sogar – es ist ja alles aus bemaltem Papier. Das Arbeiten mit Papiermaché lernte ich bei einem Larvenmacher im Rahmen meiner Masterabeit zum Thema Fasnacht. Ich interessiere mich generell für den Geist des Karnevals, in dem soziale Spannungen durch Masken und Wagen inszeniert und auch exorziert werden. Der Bezug zur Fasnacht gefällt mir, denn sie steht in Beziehung zum Fest, zum Chaos, zur Umwandlung und auch zur Ästhetik. Die Art Stühle, die du hier siehst, triffst du an Orten, wo Leute geformt werden. In der Schule bin ich zum Bürger, zum Schweizer geworden, an der Universität wurde ich zum Künstler ausgebildet und in der Armee hat man mich zum Soldaten gemacht. Es ist interessant, wie die Leute sich die Stühle aneignen, die von einer Institution kommen, indem sie sie mit Zeichnungen verunzieren, verkritzeln und Sticker aufkleben. Bei meiner Installation habe ich mit Kaugummi das Gesicht des französischen Präsidenten Macron gestaltet. Der Witz ist mir wichtig, weil es eine Art des Widerstandes ist.

Es sind die Stühle, die sagen, wo man sich hinsetzen soll. Ich habe als Lehrer in der Sekundarschule gearbeitet. Es war für mich spannungsgeladen, da ich glaube, dass die Schule nicht unbedingt nur Gutes für die Schüler tut. Ich sehe viel symbolische Gewalt in der Schule, was soziale Hintergründe anbelangt. Du siehst, dass Schüler aus sozial höheren Schichten bessere Noten haben und häufiger ins Gymnasium gehen. Und in der Schule wird diese Ungleichheit nicht unbedingt aufgehoben.
«Ich interessiere mich generell für den Geist des Karnevals, in dem soziale Spannungen durch Masken und Wagen inszeniert und auch exorziert werden.»
Paul Hutzli
Paul Hutzli, geboren 1992, Matura in Zürich, Studium in Visual Arts an der Ecole supérieure d‘Arts et Médias in Caen/Cherbourg (Bachelor) und an der Haute Ecole d’Art et de Design in Genf (Master). Er ist ein vielseitiger und auch experimenteller Künstler. Skulpturen, Bilder, Zeichnungen, Installationen und Performance gehören zu seinen Kunstformen, die eine wichtige Rolle spielen. Paul Hutzli arbeitet mit verschieden Materialien wie Pappmaché, Zucker (Isomalt)und Farben. Er stellt seine Werke in der Schweiz, in Frankreich und Deutschland aus.