Peter Gross publizierte kürzlich ein Buch mit dem Titel «Wir werden älter. Vielen Dank. Aber wozu?». Es hebt sich mit seinen Fragen und Antworten wohltuend ab vom alltäglichen, oft geradezu altersdiskriminierenden Disput über die demografisch bedingten «Gefahren» für den Weiterbestand unserer sozialen Vorsorgesysteme. Gross stellt neue, teils provozierende Fragen «nach dem Sinne dieses langen und immer länger und schwächer werdenden Lebens». In seiner Antwort formuliert er letztlich die Hoffnung auf eine von Europa ausgehende, global sich ausbreitende Beruhigung und Befriedung. Diese Hoffnung steht einer unduldsamen, sich selbst andauernd überfordernden und letztlich sich selbst verzehrenden Gesellschaft gegenüber.
Ein neuer Ruf nach Sinngebung
Das über die vergangenen Jahrzehnte gewonnene, immer längere, oft bis ins hohe Alter gesunde Leben ist ein Novum. Es hat uns bis zu drei Monate längeres Leben pro Jahr beschert. Ein hier geborenes Kind «wird mit grosser Wahrscheinlichkeit hundert Jahre alt». Dieses Phänomen wird das Einzelleben und das gesellschaftliche Miteinander revolutionieren. Davon ist Gross überzeugt, denn es gibt keine bekannten vergleichbaren Entwicklungen. Gross macht sich aus unterschiedlichsten Blickwinkeln Gedanken dazu und schreibt vom «Ruf nach Sinngebung», «vom aufbrechenden Lebenszeitfenster», denn das Alter nimmt fast einen Drittel der Lebenszeit ein.
Glücklich bis ins hohe Alter – der frei gewählte Lebensentwurf
Verschiedene Studien belegen, dass sich ein überwiegender Teil der Menschen über 60 glücklich und zufrieden fühlt mit dem Leben. Die alte Generation ist Teil einer Vier-Generationengesellschaft. Gross betont auch, dass in unserer Zivilisation dem Leben und Wirken zwischen den Generationen ein ausgesprochen friedlicher Geist innewohne. Mit Bezug auf die häufig gehörten Begriffspaare «Überalterung» und «Unterjüngung» kommt Gross zum Schluss, dass die gegenwärtige demografische Entwicklung weder Albtraum noch Sackgasse ist, sondern das erkämpfte Ergebnis einer freiheitlich offenen Gesellschaft. Den Entscheid, ob Kinder in ihren Lebensentwurf passen, treffen Paare eigenverantwortlich.
Die lange zweite Hälfte
Im Zusammenhang mit der Sinnfrage bleibe das Alter dennoch «ein rätselhafter Nicht-Ort». Diesen Ort sinngebend zu gestalten erachtet Gross angesichts einer sich der Jugend ergebenen, wachstums- und fortschrittsorientierten Gesellschaft als schwierig. Die Alten «mischen» dennoch mit, denn sie wollen nicht «für nichts sterben», beziehungsweise «für nichts gelebt haben». Und so erkennt Gross, dass in einer Langlebigkeitsgesellschaft erst die Zeit zu finden ist, «um der Gesellschaft etwas von dem zurückzugeben, was sie einem ermöglicht hat». Diese sogenannte generative Lebensphase darf somit nicht nur neue – oder über Jahre zu kurz gekommene – Bedürfnisse realisieren. Sie hat insbesondere die Kraft, sich stärker auf die Vermittlung und Weitergabe von Wertvorstellungen, Erfahrungen und Kompetenz an jüngere Generationen zu fokussieren und einen nachhaltigen Beitrag für das Gemeinwesen zu leisten.
Diese herausfordernden Gedankengänge machen das Buch von Peter Gross lesenswert und inspirierend. Es ist nur zu wünschen, dass der wachsende Anteil der älteren Generationen ihre mässigende Wirkung auf die sich selbst verzehrende Gesellschaft zeigen wird.
Zum Buch von Peter Gross hat sich auch der UND-Autor Elias Rüegsegger Gedanken gemacht. Seinen Text lesen Sie hier.