Am 15. September fand im Garten des Kulturlokals Mokka der alljährliche Poetryslam statt, bei welchem sich die TeilnehmerInnen Sarah Alteneichinger, Pesche Heiniger, Lucia Lucia, Jan Rutishauser, Remo Zumstein und Valerio Moser (Ersatz für Yannik Sellmann) mit ihren Texten auf der Bühne massen. Moderiert wurde die gesamte Veranstaltung von Remo Rickenbacher. Doch dieses Jahr war etwas anders als die Jahre davor. Die Slamtexte wurden nämlich von Jazzmusikern improvisierend begleitet. Dies verlieh dem Ganzen eine besondere, aussergewöhnliche Note. So konnte man auf der Bühne vielfältige und interessante Darbietungen geniessen. Von einem Slam über Vaterschaftsurlaub zu einem Text dass jeder «ein Recht auf Kitsch» habe bis zu einer Darbietung über die Mode von Heute war alles dabei. Die insgesamt sechs SlammerInnen lieferten sich zuerst in einer ausgelosten Reihenfolge Duells, bei denen der Sieger jeweils ins Finale kam. Im Finale ging schliesslich die Siegerin der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaft 2017, Lucia Lucia aus Hamburg, hervor.
Um mehr über die Poetry-Slam-Szene zu erfahren, führten die beiden Schreiberinnen nach dem Slamabend mit dem Moderator Remo Rickenbacher ein interessantes Interview durch. Heute ist er Spoken Word Poet, gibt Lesungen, moderiert und organisiert Slams, oder tritt selber an privaten Anlässen auf. So ist er beispielsweise im Zoo Zürich aufgetreten. Hier musste ein Slam erstellt werden, der von einem Zootier handelte. Für einen Text brauche er in der Regel bis zu 40 Stunden. Es gäbe aber auch Texte, die innerhalb von drei bis vier Stunden geschrieben würden. Remo Rickenbacher hat Germanistik und Philosophie studiert.
Remo, wieviel ernste, wieviel lustige Texte hast du selber geschaffen?
Ich schätze ungefähr 75 Prozent sind lustige, 25 Prozent eher nachdenkliche Texte. Ich performe auch gerne. Texte kommen an einem Ort sehr gut an, an anderen Orten nicht. Eine grosse Rolle spielt auch die Reihenfolge, welche per Los bestimmt wird. Da muss man ziemlich flexibel sein. Erfolgreiche Slammer haben sehr unterschiedliche Texte.
Was sind die Regeln bei Poetryslam Auftritten?
Der Slam darf maximal sechs Minuten dauern, man darf keine Hilfsgegenstände mitnehmen und nicht mehr als 50 Prozent singen. An einem Event treten die Performer maximal zwei bis drei Mal auf. Der Applaus – das Klatschen und Johlen des Publikums – wird durch die Moderatoren bewertet. Es gewinnt derjenige, der den intensivsten Applaus bekommt. Der Sieger des Slams erhält eine Flasche Whisky, die dann mit den andern geteilt wird. Das Ganze wird durch einen Moderator zusammengehalten, der sechs SlammerInnen auswählt.
Wie kommt man zu einem Auftritt?
In grösseren Städten wie Zürich, Basel, Bern, St. Gallen, Luzern, Winterthur, oder auch Thun werden immer wieder SlammerInnen gesucht. Für einen solchen Slam kann man sich meist per Email bewerben. Wenn man einige Male gewonnen hat, wird man auch ohne Bewerbung eingeladen. Zudem gibt es die Schweizer Meisterschaft, welche dieses Jahr in Winterthur stattfindet. Dieser Event erlangt jeweils grosses mediales Interesse und dauert drei Abende. Es bestehen drei Kategorien: eine für die unter 20-Jährigen, eine für die über 20-Jährigen und eine namens «Team», wo 2-4 SlammerInnen als Gruppe auftreten. Bedingung für die Teilnahme ist, dass man innerhalb eines Jahres mindestens acht Mal an einem Slam teilgenommen hat.
Kannst du Poetryslam in drei Wörtern beschreiben?
Lebendig, interaktiv, gesprochenes Wort.
Könnte man es auch als eine gelesene Kurzgeschichte bezeichnen?
Nein, denn es haben auch Lyrik und Rap Platz, was das Ganze etwas offener macht. Zudem ist ein Slam-Text speziell dafür gemacht, performt zu werden.
Wer hat Erfolg?
Die Reihenfolge spielt eine grosse Rolle. Diese wird, wie bereits erwähnt, per Los bestimmt. Wenn jemand am Anfang auftritt, sind die Gewinnchancen tendenziell eher gering, da erst mal das Eis zum Publikum gebrochen werden muss. Ausserdem spielt auch die Darbietung des vorhergehenden Slammers eine Rolle.
Was kommt am besten an beim Publikum?
Viele Slammer machen tendenziell lustige Texte; dadurch wird das junge Publikum im Ausgang eher abgeholt. Doch auch nachdenkliche Texte können Erfolg haben. Das Resultat hängt stark vom Publikum und der Stimmung ab.
Kann man die Texte in Kategorien einordnen?
Es ist alles möglich: Literarisch, Rap, Prosa, Comedy, nachdenklich, politisch oder persönlich.
Wer sind bekannte Gesichter in der Schweizer Poetryslam Szene?
Da sind beispielsweise Hazel Brugger, Renato Kaiser, Patti Basler, Lara Stoll und Christoph Simon. Remo Zumstein – den Schweizermeister von 2016 – darf man auch nicht vergessen.
Gibt es auch Freestyle-Slammer?
Da man quasi simultan über etwas oder jemanden einen Slam erstellen muss, ist dies eine sehr schwierige Aufgabe, die nicht viele bewältigen können oder wollen. Es ist sicherer, mit einem Text aufzutreten, den man zuvor oft geübt und mehrmals überarbeitet hat. Dennoch gibt es natürlich Slammer, die sich dieser Herausforderung gewachsen fühlen. Dazu gehören zum Beispiel Patti Basler oder Knackeboul.
Ist dir jemals etwas Peinliches auf der Bühne passiert?
Nein, nichts Gravierendes. Texthänger habe ich nicht, da ich meine Slam-Texte meist ablese. Es kommt zwar manchmal vor, dass sich jemand durch einen Text angegriffen fühlt. Zum Beispiel war ich mal bei einem Slam, wo viele ältere Personen im Publikum sassen und ich hatte einen Text über Massen-Inkontinenz dabei…
Wann findet der nächste Slam-Event statt?
Am 2. November 2018 findet der Artslam im Kunstmuseum Thun statt. Die Slammer performen dabei Texte, die zu einem von ihnen ausgewählten Kunstwerk der aktuellen Ausstellung passen.
Reservation empfohlen unter sofaslam@generationentandem.ch. Die Abendkasse ist ab 19 Uhr geöffnet.