
Claudia Kühne und Tabea Reusser, ihr seid die Initiantinnen des Projekts RAUMFREI. Könnt ihr in wenigen Worten sagen, worum es euch in diesem Projekt geht?
Claudia Kühne (37): Wir wollen einen künstlerischen Freiraum für die Bevölkerung von Thun schaffen. Menschen sollen über die Generationen und Kulturen hinweg mit vielfältigen künstlerischen Formen in Kontakt kommen. Kultur soll für alle erfahrbar werden. Menschengruppen, die sich sonst kaum begegnen würden, können Kontakt zueinander finden und so gemeinsam Neues entdecken.
Tabea Reusser (35): Der Ausdruck wird dabei möglichst frei sein: freies Tanzen, freies Malen, freies Musizieren. Niemandem wird vorgegeben, was richtig oder falsch ist. Sich erfahren, sich erleben, sich kennenlernen und dabei die Fähigkeiten und Möglichkeiten entdecken, die man in sich trägt, darum geht es.
Ihr habt nun monatelang an diesem Projekt gearbeitet. Wie seid ihr überhaupt auf die Idee gekommen?
Tabea: Mir fiel schon lange auf, wie viele Gaben und Talente in Kindern stecken. Sie spielen, tanzen, malen ganz spontan, ohne Anleitung. Erwachsene tendieren dazu, sich dabei in einen strengen Rahmen einzufügen. Auch in der Schule sind die Spielregeln klar vorgegeben. In Kursen lernt man tanzen, wie es sein soll. Irgendwann verlieren die Menschen so das Vertrauen in ihr Inneres. Meine Idee war, dass Erwachsene die eigene Kreativität wiederentdecken und die Kinder ihre gar nicht erst «zuschütten» sollten. Seit ich meine drei Kinder habe, hat das für mich noch an Bedeutung gewonnen. Wer an unseren Angeboten teilnehmen wird, kann wieder lernen, frei zu sein und sich wie ein Kind zu fühlen.
Claudia: Und das sollen Kinder und Erwachsene nicht getrennt voneinander erfahren. Beide können voneinander lernen, dass die Ausdrucksform bei jedem Menschen anders, aber dennoch wertvoll ist. Die Welle, die ich beim Schwimmen bewirke, wirkt wieder auf mich zurück. In den künstlerischen Ausdrucksformen kann dieser Effekt sehr gut erlebt werden.

«Jeder Mensch verfügt in seinem Innern über grenzenlose Kreativität und positive Gestaltungskraft», schreibt ihr in eurem Konzept. Ebnet ihr da nicht den Unterschied zwischen euch KünstlerInnen und uns andern ein?
Claudia: Ja, das ist ein erklärtes Ziel von RAUMFREI, ein Grenzabbau. Ich lerne von dir und du von mir. Wir haben Achtung voreinander und freuen uns aneinander. Denn meine Frage ist, ob wir in unserer Verschiedenheit ein Sich-gegeneinander-Ausspielen sehen oder ein Miteinander, ein Sich-Ergänzen und Erweitern oder ein Schubladisieren. Öffne oder verschliesse ich mich dem Gegenüber? Diese Frage zieht sich also durch alle Bereiche des Lebens, durch unser Bildungswesen wie auch die Berufswelt unserer hiesigen Gesellschaft und sucht immer neue Antworten und Deutungen. Ich sehe unsere Aufgabe darin, Gelegenheiten für die Verspieltheit und das Miteinander ganz konkret in diesem Kulturlabor RAUMFREI anzubieten.
Tabea: Wir verfallen leicht der Tendenz zu bewerten: das ist Kunst, das nicht. Dieses Bild ist gut gezeichnet, es ist von einem Künstler gemalt, ein anderes nicht. Diese Bewertungen erfinden wir selber. Wichtiger als Bewertung ist, dass wir alle wieder spüren, was wir können, was wir wert sind. Diese Einstellung macht reich, wir sind dann weniger auf Aussendinge angewiesen. Natürlich wird es immer Menschen geben, die ihre Kunst als Berufung verstehen und damit auch Geld verdienen und andere, die ihren Spass an Kreativität in der Freizeit ausleben.
Ihr werdet der Bevölkerung von Thun regelmässig Workshops anbieten. Wie wird so ein Workshop aussehen?
Claudia: In diesem ersten Projektformat von RAUMFREI, das wir jetzt planen, beschränken wir uns auf zehn Workshops, über ein Jahr verteilt, je an einem Wochenende. Im Schnitt wird jeden Monat ein Workshop stattfinden zwischen September 2019 und Juli 2020. Jeder Workshop wird von einem Künstler, einer Künstlerin aus den verschiedensten Kultursparten begleitet. Sie alle sind angetan von unserer Idee, einen künstlerischen Freiraum zu schaffen. Den äusseren Rahmen haben wir mit zweimal zweieinhalb Stunden vorgegeben. Abgesehen von diesem Rahmen sind die Verantwortlichen in der Gestaltung der Workshops völlig frei. Die Zeiten werden familienfreundlich angesetzt.

Ihr wollt alle Altersstufen, alle Kulturen, alle Religionen einbeziehen. Das finde ich wunderbar, doch wie denkt ihr das anzupacken?
Claudia: Wir haben das Glück, dass wir mit zwei ehrenamtlichen Vereinen zusammenarbeiten können. Einer ist das «ProjekteNetzwerk Thun», das sich sehr kreativ mit Menschen aus verschiedenen Kulturen beschäftigt und interkulturelle Begegnungen schafft. Der andere ist UND Generationentandem, von dem ja auch dieses Interview ausgeht. Wir freuen uns, dass wir über die beiden Vereine unsere Workshops vielen und vielfältigen Menschen bekannt machen können. Daneben haben wir das Kunstmuseum Thun als Partner. Wir können die «Kunstküche» nutzen und werden ein Projekt auch im Rahmen einer Kunstausstellung stattfinden lassen.
Ihr wollt die Angebote nach Möglichkeit gratis anbieten. Wie wollt ihr dieses Projekt finanzieren?
Claudia: Ein grosser Anteil sind Eigenleistungen. Wir beide haben viel Zeit in das Projekt investiert. Aber wir sind derzeit auf der Suche nach weiteren Geldgebern. Die Kulturschaffenden sollen bei uns angemessen entlöhnt werden. Wir haben bereits Beiträge der Stadt Thun und von SWISSLOS/Kultur Kanton Bern erhalten. Daneben haben uns die Gemeinden Oberhofen und Steffisburg einen Beitrag zugesagt. Wir sind auch dran, uns an Stiftungen zu wenden. Und wir freuen uns riesig, wenn auch Private dazu beitragen.
Wann beginnt ihr mit den Workshops?
Tabea: Wenn wir bis im Mai finanziell abgesichert sind, starten wir im September. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen.
Die Angaben zum Spendenkonto und alle weiteren Informationen sind auf der Homepage www.raumwege.com zu finden.
Tabea Reusser – macht alles, was sie begeistert
Tabea Reusser ist Fotografin, Freigeist und Künstlerin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Jungs in Thun. Sie macht alles, was sie begeistert. Vor kurzem erschien ihr zweites Bilderbuch «Das Leben ist wunderbar, lieber Karl». Sie ist gerne sich selber, geht mutig und tanzend ihren Weg und weiss, dass es eigentlich wichtiger ist, wie man etwas macht, als was man macht. Auf die Liebe, das Wilde und das wunderbare Leben!
Claudia Kühne – sieht Grenzen als Gelegenheiten, damit zu spielen
Claudia Kühne ist künstlerisch vielspurig. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Thun, ihrer neueren Heimat. Sie lebte davor in Heidelberg, Berlin, an der Ostsee und am Nord-Ostsee-Kanal, studierte in Berlin und Zürich Cello und spielte sich durch eine Weltreise. Sie spricht einige Sprachen und Dialekte, am liebsten mischt sie diese. Derzeit leitet sie die Studierendenagentur KULT der Hochschule der Künste Bern und verhilft tollen Studierenden aller Künste zu bezahlten künstlerischen Engagements. Bach, Björk, Breakdance und Ballet – sie sieht Grenzen als Gelegenheiten, damit zu spielen.
Ganz toll. Darauf freuen wir uns!