Filmabend mit David Oesch: Filmprojektion, Diskussion und Apéro
Wann: 19. August 2020, 20.00–22.00 Uhr
Wo: Kino Rex in Thun
Ticket: Fr. 15.– Vorverkauf der Tickets startet Anfang August hier.

Los Angeles. – Bild: Lena Kobel
«Student Visionary Award goes to Switzerland!» – so oder ähnlich tönte es Ende April am von Robert de Niro 2002 gegründeten Tribeca Film Festival in New York. Der Thuner David Oesch, Absolvent der Zürcher Hochschule der Künste, gewann mit seinem Diplomfilm «Cru» den Preis für den besten Studentenkurzfilm.
UND Generationentandem und David Oesch trafen aufeinander bei seinem 2016 gedrehten Film «Thun – Stadt der Falten». Einige Vereinsmitglieder waren Protagonisten in diesem Film. Viele UND-erInnen erlebten ebenfalls die Vorführung von «Tote Tiere» im Schloss Schadau im Rahmen der Kulturnacht Thun 2019. Dieser Film erhielt später 15 Preise auf über 30 internationalen Festivals, einen davon in Bogotá/ Kolumbien.
Die Autorin und der Regisseur begegneten sich schon an früheren Anlässen. Vor der jetzigen Veranstaltung zur Feier seiner Erfolge interviewte sie ihn in Zürich.
Wir Schweizer sind im Film manchmal ein bisschen
David Oesch
zu reserviert und zu bieder.
David Oesch, in deiner vierjährigen Karriere als Regisseur hast du vier Kurzfilme gemacht, zwei davon erhielten Preise auf ausländischen Filmfestivals. Wie fühlst du dich als der Eroberer der beiden Amerikas?
Das ist eine sehr lustige Frage. Ich fühle mich eher als Entdecker. Kolumbien habe ich zwei Monate lang erkundet. Nach Tribeca konnte ich wegen Corona nicht gehen. Aber die «Cru»-Weltpremiere fand im August 2019 direkt nach meinem Schulabschluss in Hollywood in Los Angeles statt. Das war unglaublich. Die Erfahrung war so, wie man sich es in einem Film vorstellt. Film ist ist Show, eine Illusion – und ich finde auch schön, wenn es so präsentiert wird. Ein bisschen Glamour und Starkult darf sein. Wir Schweizer sind im Film manchmal ein bisschen zu reserviert und zu bieder. Ich mag das Amerikanische, weil das gut ins Kino passt.

Wie war es an der Preisverleihung in Bogotá?
Es war ein unglaublich schönes Festival mit einer tollen Energie. Es ist eines der wichtigsten Filmfestivals in Südamerika, und es war spannend, diese Filmszene kennenzulernen. Ich habe keine Sekunde daran gedacht, etwas zu gewinnen. Dementsprechend wusste ich an der Preisverleihung nichts Schlaues zu sagen: «It is a very beautiful festival, thank you.» Mit der Statue Santa Lucia in der Hand habe ich noch einen Satz auf Spanisch hinzugefügt. Dort habe ich gelernt, mich auch auf unwahrscheinlichste Situationen vorzubereiten.
Machen die Namen New York und Robert de Niro grossen Eindruck?
Ja, klar, vor allem Robert de Niro ist toll, weil jeder ihn kennt. Für mich als Teenager waren Robert de Niro zusammen mit Philip Seymour Hoffman meine LieblingsschauspieIer und Schauspielidole. Dass du dann an einem Festival von ihm läufst ist megasurreal. Ich habe diese Gangsterfilme – «Pate», «Taxi Driver» – so oft geschaut. Und jetzt wäre ich beinahe zu Gast bei Robert de Niro gewesen! Ein Tag, bevor das Festival abgesagt wurde, bekam ich die offizielle Einladung zum Directors Brunch mit Robert de Niro, wo alle Regisseure und Regisseurinnen mit ihm gefrühstückt und ihn kennengelernt hätten. «Oh, mein Gott!!» habe ich gedacht…, und dann ein Tag später kommt: «Es tut uns Leid aber wegen Corona…»
Wird es nachgeholt?
Im besten Fall laden sie mich nächstes Jahr als Gewinner des Vorjahres ein.

ein Zoom-Meeting mit einer Jurorin des Tribeca Film Festival. – Bild: Lena Kobel
Die Jury fand «Cru» feministisch. Bist du Feminist?
Klar bin ich ein Feminist, aber der Film ist eher Klassenkampf als Feminismus. Als ich «Parasite» (Red: Südkoreanischer Oscargewinner 2019) gesehen habe, wusste ich, «genau so etwas will ich machen». Für den «Cru»-Schnitt habe ich dort einiges abgeguckt.
Filme wie «Parasite» inspirieren mich sehr, weil sie zeigen, wie komplex ein System der Unterdrückung ist, und wie wir alle darin gefangen sind. Ob arm oder reich, Frau oder Mann. Das regt zum Nachdenken statt zum Verurteilen an.
In Tribeca wurde der Film extrem feministisch verstanden. Die Jury fand die Figuren sehr positiv, besonders die junge Köchin. Die Meinung der Jury: «Sie kämpft, sie tut das Richtige.» Ich finde sie eigentlich sehr böse. Sie ist sehr opportunistisch. «Cru» ist ein sehr negativer Film, weil am Schluss eigentlich das System gegen die Figur gewinnt.
Filme wie «Parasite» inspirieren mich sehr, weil sie zeigen, wie komplex ein System der Unterdrückung ist, und wie wir alle darin gefangen sind. Ob arm oder reich, Frau oder Mann.
David Oesch
Hat sich die Wahrnehmung deiner Leistungen nach den Preisverleihungen geändert?
Es ist wahnsinnig spannend, wie sich die eigene Einschätzung ändert, wenn du so etwas gewinnst. Bei «Cru» war es so, dass ich von Anfang an den Film sehr mochte und fand, dass er genau so herausgekommen ist, wie ich es wollte. Deshalb war ich traurig darüber, dass nicht alle so dachten. Besonders an der Hochschule gab es Leute, die es super fanden, aber andere wiederum fanden es ein bisschen zu pathetisch. Das ist natürlich schon spannend, wenn du so einen Preis gewinnst. Plötzlich finden viel mehr Leute den Film gut. Sie freuen sich für dich. Es ist etwas Schönes, man fühlt sich dann extrem bestätigt. Bei «Cru» habe ich von Anfang an gedacht, dass er wahrscheinlich im Ausland besser ankommen wird. Weil er auf französisch gedreht wurde; weil ich viele Elemente vom amerikanischen und vor allem vom südkoreanischen Kino für den Film geklaut habe.
Das erste Mal, als wir «Tote Tiere» gezeigt haben, sahen ihn nur Filmstudenten. Manche fanden den Film ein bisschen kitschig und seltsam und wussten nicht, soll er böse oder romantisch sein. Es war wahnsinnig spannend. Ich glaube, der schönste Moment in meiner ganzen Filmkarriere war die grosse Uraufführung von «Tote Tiere» in Solothurn, in einem Saal mit ungefähr 600 Leuten. Viele haben uns am Ende des Screenings auf den Dialog, auf die Schauspieler angesprochen. Da hat man wirklich gespürt, wie gut dieser Film ankommt. Die zweite grosse Überraschung war, dass der Film auch im Ausland Anklang gefunden hat. Damit haben wir nicht gerechnet.

Hast du Anfragen für eine Zusammenarbeit bekommen?
Ich weiss gar nicht, ob ich es sagen darf – ich habe von zwei sehr coolen, grossen Filmstudios aus Amerika Anfragen bekommen. Sie sind aber sehr informell. Sie fragen dich einfach «An was bist du jetzt? Dürfen wir es einmal lesen?» Es ist ein sehr unkonkreter Austausch, trotzdem freut es einen natürlich sehr. Und auch eine Produktionsfirma aus der Schweiz hat sich gemeldet. Sie gaben sich aber noch reservierter.
Erinnerst du dich an die zündenden Ideen für jeden
deiner Filme?
Nein, ich hatte keine zündenden Ideen. Ich habe immer Themen, Orte, Umgebung. Bei «Tote Tiere» waren es das Schloss Schadau, ausgestopfte Tiere. Bei «Cru» – immer, wenn ich in einem Restaurant gegessen habe, habe ich in die Küche reingeschaut und fand es megaspannend. Bei «Human Resources of Ugago» war das Thema von der Hochschule vorgegeben. Ich musste etwas mit Robotern machen. Da habe ich mich an meine Arbeit bei einem Jugend-TV-Sender erinnert und an Aktivitäten, die ich dort überhaupt nicht gemocht habe. Dann habe ich das vermischt – Roboter und das Gefühl, in einer übermotivierten Firma zu sein, wo man nicht die gleiche Einstellung hat.
Wir wollten einen bösen Film machen. Dann haben wir den Text, der eher negativ ist, und die Bilder, die ziemlich heroisch sind. Man merkt – wir sind wütend, aber wir lieben diese Stadt.
David Oesch
«Thun – Stadt der Falten» ist der Film mit dem spannendsten Entstehungsprozess. Wir wollten einen bösen Film machen. Dann haben wir den Text, der eher negativ ist, und die Bilder, die ziemlich heroisch sind. Man merkt – wir sind wütend, aber wir lieben diese Stadt. Da sind viele Emotionen vorhanden, aber der Film diktiert einem nicht genau, wie man fühlen soll.
Orte inspirieren mich am meisten. Beim neuen Film inspiriert mich das Haus in Zürich, in dem ich wohne. Es ist ein altes Arbeiterhaus, sehr verwinkelt. Jedes Stockwerk hat eine andere Küche, jedes Zimmer ist komplett anders gebaut, mit anderen Materialien. Wie dieses Haus wohl entstanden ist?
Weisst du von Anfang an, welche SchauspielerInnen
du im Film möchtest?
Ja, das weiss ich eigentlich immer. Ich schreibe sehr gerne mit den Schauspielern im Kopf, aber ich habe auch keine Angst, diese neu zu besetzen.
Bei «HR of Ugago» hast du mit der Hochschule Luzern zusammengearbeitet…
Das war ein unglaubliches Erlebnis, weil ich noch nie mit so vielen Menschen einen Film gemacht habe. Im Abspann zu diesem Film standen über 100 Leute. Es war ein mega Kraftakt. Wir haben ausgerechnet, wenn wir den Film nicht an der Schule hätten drehen können, hätte er etwa 300’000 Franken gekostet. Es war auch eine spannende Erfahrung, mal viel Unterstützung von anderen Leuten zu bekommen. Das gibt einem ein Gefühl, wie es in Amerika sein muss, einen Film zu drehen, wo du ein sehr kleiner Teil vom grossen Ganzen bist. Ruhm und Ehre gehen an das Team der Firma «Das Alte Lager». Es gibt niemand in der Schweiz, der so talentiert ist, wie diese Typen.
Die Weltpremiere von «HR of Ugago» fand in Warschau statt.
Mit welchem Eindruck bist du von dort zurückgekommen?
Ich finde Polen ein unglaublich spannendes Land. Ich liebe die Kinokultur in Polen. Die besten Filmschulen für Kamerastudenten sind in Polen und Tschechien. Es ist ein Land mit sehr viel Kultur. Im Gegensatz zu Amerika, wo es meistens darum geht, «wie viel hat ein Film gekostet, wie hast du diesen Star gekriegt?», sind die Polen viel mehr interessiert, philosophisch über einen Film zu diskutieren. Teilweise haben sie – und das finde ich etwas sehr Schönes – viel mehr Tiefe im Film gesehen, als wir Regisseure geplant haben. Ich mag das total. Ich finde es sehr schön, wenn ein Film ein eigenes Leben entwickelt, die Leute ihre eigenen Gedanken dazu haben.
Erzähle etwas über besondere Erinnerungen an die Dreharbeiten deiner Filme?
«Tote Tiere» war eine Zangengeburt. Wir konnten den Film fast nicht finanzieren, mussten Crowdfunding machen, hatten immer Geldprobleme. Viele Locations haben uns abgesagt. Gleichzeitig gab es unglaublich lustige Momente, zum Beispiel die Fahrt mit dem Katzenboot. Ich konnte nicht aufhören zu lachen, wie absurd diese ganze Szene war.
Die beste Szene in «Cru» war komplett improvisiert. Wir haben 20 Minuten gedreht und am Ende hatten wir es. Es war super.
David Oesch
Aus diesen Problemen habe ich gelernt und für «Cru» ein unglaublich gutes Team gefunden. Ich hatte von Anfang an eine tolle Schauspielerin, die sagte: «Ich mag das Drehbuch, ich will unbedingt dabei sein.» Ich hatte den besten Kameramann an meiner Schule gefragt. Die beste Szene in «Cru» war komplett improvisiert. Wir haben 20 Minuten gedreht und am Ende hatten wir es. Es war super.
In «HR of Ugago» gab es eine spannende, moderne Zusammenarbeit. Ennio Ruschetti, mein Co-Regisseur, ist ein Genie. Auf dem Set hat er Regie geführt, ich war im Schnittraum mit dem Editor und habe direkt das Material geschnitten. Wir haben gemeinsam unter grossem Stress das Drehbuch geschrieben und uns gegenseitig herausgefordert; jede Idee wurde einmal mehr überprüft. Du selber musst immer ein grosser Fan von deinem Stoff sein, sonst hast du so viele Selbstzweifel, dass du gar nicht zu drehen beginnst.

Bald beginnst du den Spielfilm zu studieren. Was hast du
für Zukunftspläne?
Im Lockdown habe ich gemeinsam mit meinem Co-Autor Remo Rickenbacher ein Spielfilmdrehbuch, die erste Version, geschrieben.
Wir wollen unbedingt unser Drehbuch fertig schreiben, in diesem Sommer oder Herbst eine Produktionsfirma finden, den Film vielleicht sogar im Studium drehen. Aber ich werde noch gerne weiter Kurzfilme machen. Ich finde sie supertoll zum Trainieren, um Dinge auszuprobieren. Kurzfilme sind ein tolles Experimentierfeld.
Gespannt warten wir also auf deinen ersten Spielfilm.
Wir Thuner freuen uns für dich, für deinen Erfolg und sind stolz auf dich. Du bist der aufgehende internationale Star; von deiner Sternschnuppe bekommt auch die ganze Stadt etwas Glanz ab. Vielleicht werden Schweizer bald merken: «Thun, aha, das ist die Heimatstadt dieses Regisseurs, der so spannende Filme macht!»..
David Oesch, ich danke dir für das Gespräch und wünsche weiterhin grosse Würfe!