Das Telefon klingelt. Der Grossvater setzt hastig sein Gebiss ein und nimmt den Hörer des altmodischen Telefons ab.
Esther: Hallo Paps, wie geht’s?
Grossvater: Gut, danke. Schön, dass du anrufst, Esthi. Wir geniessen den schönen Morgen und lesen in den Zeitungen, was in der Welt alles abgeht. Schrecklich.
Esther: Miriam ist krank und kann nicht in die Krippe und ich muss dringend für mein Entwicklungshilfeprojekt nach Afrika.
Grossvater: Da muss Rolf mal über seinen Schatten springen, der Ärmste. Das wird ihm gut tun, wenn er einmal erlebt, wie streng es ist mit kleinen Kindern. Nachher kann er sich wieder in seinem Prokuristenjob erholen.
Esther: Rolf lebt nicht mehr bei uns.
Grossvater: Was? Seit wann?
Esther: Seit ein paar Monaten.
Grossvater: Danke für die Information. Das muss ich gleich deiner Mutter erzählen. Tschüss Liebes, arbeite nicht zu viel (hängt auf, wendet sich seiner Frau zu).
Stell dir vor, Trudi, Rolf ist ausgezogen.
Grossmutter (spielt mit abgeschaltetem Hörgerät, Grossvater muss zuerst laut wiederholen): Gott sei Dank. Ich hab es immer gesagt, er ist einfach nicht beziehungsfähig.
Grossvater: Aber unsere kleine Esthi hat es nicht leicht, und jetzt ist auch noch Miriam krank.
Grossmutter: Und wir sollen die Kinder hüten?
Grossvater: Davon hat sie gar nichts gesagt. Und ausserdem weiss sie, dass wir nur noch ein Kind hüten können, nicht beide auf einmal. Schon gar nicht, wenn sie krank sind.
Das Telefon klingelt.
Grossmutter: Und was sagst du ihr jetzt?
Grossvater (nimmt ab): Hör mal Liebling…
Thomas: Liebling? Ich bin es, Thomas. Hallo Leo, du bist ja gut gelaunt. Umso besser. Ich sag‘s dir gleich, Regi ist krank. Könnt ihr die Kinder ein bis zwei Tage hüten?
Grossvater: Nur ein Kind, sonst macht es uns keine Freude. Wir sind nicht mehr die Jüngsten. Und sie sollen uns doch Freude machen, unsere Enkel, oder? Ich schlage vor, heute Sven und morgen Jaelle?
Thomas: Klar. Die Freude ist das wichtigste. Und danke. Ich bringe euch Sven vorbei. Ich bin etwas in Eile, grüss Trudi, bis bald.
Grossvater: Und grüss unsere Tochter von uns. Aufgehängt.
Bei Thomas und Regi zuhause.
Regi: Und was ist mit Jaelle? Immer wird sie von euch ausgeschlossen.
Thomas: Das stimmt doch nicht. Deine Vorwürfe gehen mir langsam auf den Sack.
Regi: Siehst du! Sack geht gar nicht, das ist ein Verstoss gegen die sprachliche Gleichberechtigung. Ich habe heute ein wichtiges Meeting mit meiner Chefin, es geht um meine Beförderung. Soll Jaelle allein zuhause bleiben? Oder willst du künftig auf meinen Lohn verzichten? Ist es das, was du willst?
Thomas: Ich habe gemeint, du bist krank?
Regi: Idiot, das ist doch nur eine kleine Notlüge. Wenn meine Eltern hören, dass wir beide beruflich beziehungsweise du pseudoberuflich unterwegs sind, klappt das nicht. Du rufst jetzt sofort wieder an und sagst ihnen, dass sie beide Kinder hüten müssen. Sag ihnen, in Ungarn bekommen die Grosseltern Mutterschaftsurlaub, damit die Kinder, die sie schliesslich in die Welt gesetzt haben, in ihren Karrieren nicht gestört werden. Das ist ja nicht zu fassen.
Thomas versucht anzurufen, es ist besetzt.
Thomas: Besetzt.
Regi: Shit.
Bei den Grosseltern zuhause.
Silvia (am Telefon): Guten Tag Paps. Freudige Nachricht. Ich bringe euch die Kinder für zwei oder drei Tage. Mein Martin muss ein paar Tage nach Indien. Und ich habe ein wichtiges Meeting in China, an dem ich den Chinesen unsere Offerte für einen Grossauftrag präsentieren muss. Wenn es klappt, kann unsere Firma 10 Millionen Chinesen schulen für den Einsatz unserer Roboter-Psychiater für Roboter mit Gefühlsstörungen. Und ich darf das Projekt leiten als Project-Director.
Grossvater: Hä?
Silvia: Ich bin so glücklich, Paps, wenn das klappt mit diesem Auftrag. Stell dir vor, bald müssen die Menschen nicht mehr arbeiten, die Arbeit übernehmen die Computer und Roboter. Deshalb ist es so wichtig, dass die Roboter emotional richtig ticken, emotionale Intelligenz, verstehst du?
Grossvater: Ja schon, Liebes, aber was machen die Menschen, wenn sie nicht mehr arbeiten?
Silvia: Keine Ahnung, die Roboter mit ihrer künstlichen Intelligenz werden sich bestimmt etwas ganz Wundervolles für uns einfallen lassen. Oh, ich muss, in einer halben Stunde bin ich bei euch, Tschüss Paps, grüss Mam, und freut euch für mich!
Grossvater (erschöpft): Silvia bringt uns in einer halben Stunde ihre Kinder für drei Tage. Sie muss zum Psychiater für Roboter. (holt Schnapsflasche und Glas, trinkt).
Grossmutter: Die Ärmste. Ich hab immer gesagt, dass ihr Martin nicht guttut. Er sieht sie mit seinen -wie nennt er das, seinen globalen Visionen? gar nicht mehr.
Grossvater: Nein, du hast mich falsch verstanden, es geht um Psychiater für Roboter.
Grossmutter: Ist es wirklich schon so schlimm? Sie hält sich für einen Roboter? Vielleicht ist es besser, die Kinder bleiben ganz bei uns, bis sie wieder gesund ist?
Grossvater: Vielleicht hast du Recht.
Grossmutter: Es tut mir in der Seele weh, wie Martin sein Geld verschwendet statt etwas auf die hohe Kante zu legen.
Grossvater: Er verschwendet sein Geld nicht, Trudi, er investiert. Du musst deine Seele nicht auch noch damit belasten.
Grossmutter: Ach Leo. Du hast doch nur Angst, dass ich auch noch zum Psychiater muss. Zum Computerpsychiater, so weit kommt es nämlich, wenn die ganze Rasselbande hier Einzug hält.
Das Telefon klingelt.
Dölfi (Grossvater nimmt Hörer ab und kommt nicht zu Wort.): Hoi Vater. Schlechte Nachricht. Ich habe die Seuche im Stall. Kannst du bitte sofort kommen, ich weiss nicht mehr weiter. Beeil dich!
Grossvater: Ich muss zu Dölfi. Er hat die Seuche im Stall.
Das Telefon klingelt.
Esther: Ich bin mit den Kindern schon unterwegs. Tut mir leid Papi, es geht nicht anders. Nur noch dieses Mal. Tschüss Papi.
Das Telefon klingelt.
Regi: Hallo Papilein. Thomas ist gerade abgefahren mit den Kindern, Jaelle freut sich so auf dich und die Geschichte von diesem Rösslein, wie heisst es schon wieder, egal (sie hustet und schnäuzt laut in das Telefon). Ich muss Schluss machen und dringend zum Arzt. Viel Spass mit den Kindern. Und grüss Mutter.
Grossvater: Esther und Thomas sind auch unterwegs mit den Kindern. Ich gehe dann mal zu Dölfi.
Grossmutter: Typisch. Wenn ich dich brauche, machst du dich aus dem Staub. Wie viele Enkel kommen jetzt? Die beiden von Esther, die beiden von Regi, die beiden von Silvia. Das sind total…?
Grossvater: …Sechs.
Grossmutter: Kannst du mir bitte ihre Namen aufschreiben, ich vergesse sie immer. Und schreib die Namen ihrer Eltern dazu (nimmt Schnapsglas, trinkt, will weggehen).
Das Telefon klingelt. Die Grossmutter stellt das Hörgerät ab, Grossvater stellt demonstrativ das Gebiss neben den Stuhl.