SängerInnen, GitaristInnen, PianistInnen – an diese Personen denkt man wohl als erstes, wenn es um Musikproduktion geht. Doch bei jedem Lied macht die Technologie den letzten Schliff. Daniel Weiss erfand mit seiner Firma «Weiss Engineering» spezielle Konsolen, die die Dynamik eines Liedes verbessern oder ungewollte Laute entfernen. 2021 gewann der Ingenieur Daniel Weiss für seine Erfindung einen Grammy. Im Interview mit Moritz Urwyler erzählt er von seiner Karriere.

Moritz Urwyler: Was hat dich 1984 dazu bewogen, mit «Weiss Engineering» eine Audioengineering-Firma zu gründen?
Daniel Weiss: Ich arbeitete bei der Firma Studer. Ein «Mastering Engineer» aus Deutschland brauchte ein Interface zwischen zwei digitalen Audiogeräten. Weil wir ein solches Interface nicht anbieten konnten, stellte ich es in meiner Freizeit her. Solche Geräte waren damals eine grosse Marktlücke. Um 1982 war die CD herausgekommen und von da an wollte man alles digital bearbeiten (Equalizer, Dynamik etc). Zusammen mit Herrn Bernfeld machte ich das dann. Ich entwickelte und produzierte alles und er organisierte den weltweiten Verkauf. Wir produzierten über 70 Module über diese Jahre. Weil es ein modulares System war, konnte man es immer mehr ausbauen. Dieses System wurde de facto zum Standard im digitalen Mastering. Die technischen Daten sind immer noch up to date. Ein grosser Unterschied ist jedoch, dass wir damals nur eine Konkurrenzfirma hatten und jetzt sind es tausende.
Kann man sagen, dass du damals den richtigen Zeitpunkt erkannt hast um deine Dienstleistung anzubieten? In einer Zeit, wo sich die Musikindustrie mit dem Gebrauch der neuen CD stark veränderte?
Ja, das kann man so sagen. Damals waren auch die Wandler analog zu digital und umgekehrt noch relativ schlecht. Wegen den Qualitätsverlusten wollte man deshalb möglichst keine Umwandlung machen.
Hattet ihr mit eurer Firma bereits von Beginn an internationale Kunden?
Ja, die meisten Kunden hatten wir aus den USA. Das Mastering wurde sozusagen in den USA erfunden. Auch bei Schallplatten machte man bereits ein Mastering, dies war aber noch anders. Bei der CD wurde das Mastering dann kreativ, man konnte auch am Klang und an der Dynamik Dinge ändern.
Inspiriert von der Technik
Was ist deine Motivation, täglich deine Arbeit zu machen?
Um das zu erklären, möchte ich gerne bei unseren Produkten beginnen. Im Audio-Bereich stellen wir seit dem Jahr 2000 auch HiFi-Geräte für den Heimgebrauch her. Aus der Sicht des Konsumenten könnte man annehmen, dass Boxen, welche man heute kauft, das Beste sind, was es gibt. Doch aus der Sicht des Produzenten stimmt das nicht. Wenn man bei einem Haus vorbeigeht und jemand bei offenem Fenster Musik hört, dann kann man sofort feststellen, dass sie aus Lautsprechern kommt und nicht von einer Band. Wir möchten mit einem Produkt erreichen, dass man einen Konzertsaal nach Hause bringen kann.
Heutige Studioaufnahmen sind hochgezüchtete Kunstprodukte, doch das hat nichts mit einer Live-Aufnahme zu tun. Wenn man die Atmosphäre einer Live-Aufnahme nach Hause bringen möchte, dann kann man nicht mehr mit Stereo arbeiten. «3D audio» und «surround audio» sind im Bereich der Stereoanlagen ein Thema. Doch ich prophezeie, dass sich «3D audio» im Heimgebrauch nicht durchsetzen kann, im Kino allerdings schon. Diese Technologien werden meiner Meinung nach im Privatgebrauch ein Nischenprodukt bleiben. Wir versuchen jetzt eine Lösung anzubieten, die mit wenig Lautsprechern auskommt und ähnlich oder vielleicht besser funktioniert als «3D audio».
«Wir möchten mit einem Produkt erreichen, dass man einen Konzertsaal nach Hause bringen kann. Heutige Studioaufnahmen sind hochgezüchtete Kunstprodukte, doch das hat nichts mit einer Live-Aufnahme zu tun.»
Daniel Weiss
Ich habe gesehen, dass Weiss Engineering daran ist, die «livebox soundbar» zu entwickeln. Ist das auch ein Ansatz, um Live-Aufnahmen zuhause in einem realistischen Musikerlebnis zu hören?
Ja genau, es gibt beispielsweise Kunstkopf-Aufnahmen. Dabei wird ein Kunstkopf im Publikumsbereich eines Konzertsaals aufgestellt. Man erhofft sich, dass dann mit einer Aufnahme im rechten und linken Ohr ein möglichst realistisches Erlebnis beim Anhören entsteht. Diese Kunstkopfaufnahmen muss man dann immer mit Kopfhörern anhören. Doch auch mit Kopfhörern hat man den Eindruck, dass die Musik etwas ausserhalb der Ohren zu hören ist. Mit unserem Lautsprecher (livebox soundbar) erzeugen wir für das Hör-Erlebnis einen «künstlichen Kopfhörer». Mit dem sogenannten «cross talk cancelling» gehen alle Klänge vom linken Lautsprecher nur ans linke Ohr und alle vom rechten Lautsprecher nur ans rechte Ohr.

Wird das mit einer Messung, wo der Mensch im Raum ist, gemacht?
Das könnte man, wir haben das nicht so gemacht. Beim Zuhören mit unserem Produkt muss man jetzt noch auf einer «sweet line» sitzen, also symmetrisch zu den Lautsprechern. Nach vorne und hinten kann man aber rutschen. Das Prinzip ist vergleichbar mit einem «noise cancelling»-Kopfhörer. Die Klänge, welche vom rechten Lautsprecher zum linken Ohr und umgekehrt gehen, werden mit einem «gegenphasigen Signal» ausgelöscht. Deshalb muss man symmetrisch sitzen, damit diese Wege stimmen.
Gab es diese Technologie bisher bei Lautsprechern noch nicht?
Früher gab es mechanische Ansätze dazu, also noch vor der Digitalisierung. In der digitalen Welt ist es jetzt einfacher möglich. Heute gibt es sogar auf dem Handy diese Möglichkeit mit dem sogenannten «race-algorhitmus». Es gibt andere Leute, die das auch machen, aber als Produkt, wie wir es anbieten, habe ich es noch nie gesehen. Wir kamen auf die Idee der «soundbar» weil da der Abstand zwischen den einzelnen Lautsprechern fix ist. Es ist ein «all in one system» und man kann damit auch über das Internet streamen. Deshalb ist es praktisch, da man nur dieses Produkt braucht.

Aus der Arbeitspsychologie gibt es Konzepte, die zu beschreiben versuchen, unter welchen Bedingungen die produktivsten Ideen entstehen. Oft wird von «Flow» gesprochen, wenn sowohl die Anforderungen als auch das Können hoch sind. Arbeitest du eher nach «trial and error», um in den «Flow» zu kommen, oder hast du zuerst ein Konzept, welches du dann umsetzen möchtest?
Ja, die Arbeit beinhaltet schon oft «trial and error» (lacht). Man versucht natürlich die Wissenschaft hinter allem, was man macht, zu verstehen. Es gibt schon Zeiten, in denen ich so etwas wie einen «Flow» spüre. Wichtig ist, dass man ein Projekt immer wieder auch liegen lassen kann und dann nach einer gewissen Zeit wieder neu dahinter geht. So hat man dann wieder eine andere Sichtweise. So wie ich arbeite, hat es natürlich auch viel mit Interesse zu tun. Mich interessieren sehr viele Dinge; das ist manchmal vielleicht nicht optimal, da wir uns dadurch in unterschiedlichen Märkten befinden. Doch es ist extrem spannend. Beispielsweise sind wir jetzt auch im «gaming»-Markt oder wir bieten ein Gerät für Musiker an. Prinzipiell sind die verschiedenen Produkte aber alles Anwendungen des «cross-talk cancelling».
One in a Million?
Was ist bei euch das Alleinstellungsmerkmal, welches die Firma verglichen mit anderen so erfolgreich macht?
Es ist beispielsweise der Equalizer, der einen eigenen Klang hat. Ich weiss auch nicht genau warum, aber alle sprechen vom analogen Klang. Im Equalizer haben wir eine Filtersektion, die man mit verschiedenen Architekturen implementieren kann. Wir haben eine spezielle Implementation, die sonst wahrscheinlich niemand hat. Ich vermute, ein Teil dieses charakteristischen Klanges macht unseren Erfolg aus. Wir haben auch einen «upsampler» und «downsampler». Ein Signal mit 44,1 oder 48 kHz Abtastfrequenz wird zuerst verdoppelt, dann bearbeitet und schliesslich wieder halbiert. Der Anwender merkt es nicht, ausser an der Latenz, die dann etwas höher ist. Für das Mastering spielt es aber keine Rolle. Unsere «upsampler» und «downsampler» haben einen charakteristischen Klang. Viele denken, digital sei gleich digital, doch das stimmt nicht, jeder Sound hat seine Charakteristik. Im Digitalen kann man, wenn auch nicht im gleichen Ausmass wie beim Analogen, trotz der Arbeit mit Algorithmen sehr viele Varianten haben.
Ingenieur und Musiker
Du bist gewissermassen in zwei Welten zuhause. Zum einen im sehr technischen Gebiet als Elektroingenieur. Zum anderen in der Anwendung im Kontakt mit Studioleuten oder Musikproduzierenden. Machst du selbst auch Musik oder hast du das früher gemacht?
Ja, theoretisch immer noch, ich müsste mir einfach mehr Zeit nehmen zum Üben (lacht). Ich war jahrzehntelang in Bands und kam auch deshalb auf das Gebiet, wo ich heute arbeite. Mein Hörinteresse ist sehr breit. Ich fange jetzt wieder an Geige zu spielen. Früher spielte ich Elektrobass auch in Rock-Bands. Auch elektrische Musik interessiert mich sehr.
«Mein Hörinteresse ist sehr breit. Ich fange jetzt wieder an Geige zu spielen. Früher spielte ich Elektrobass auch in Rock-Bands.»
Daniel Weiss
Bekannte Kundschaft
Du sagtest in einem Interview, dass du dem Elektropop-Duo «Daft Punk» einen Equalizer verkauft hast. Für welches ihrer Alben haben sie diesen ursprünglich gekauft?
Dies war, als Daft Punk ihr Album «random access memories» mastern wollten. Sie haben es teilweise in Paris und teilweise in den USA gemacht. Thomas Bangalter von Daft Punk kam bei uns mit dem Flugzeug schnell vorbei und ging gleich wieder (lacht).
Mit Herbie Hancock, welcher eines meiner Idole ist, hattest du ja auch Kontakt. Bleibst du im Austausch mit diesen Musikern?
Der Audio Engineer von Herbie Hancock hatte Wandler von uns. Als Gegenleistung gab Hancock positive Kommentare zu unseren Produkten. Das ist sehr fair von ihm und natürlich ein spezieller Moment. Am stolzesten bin ich jedoch, dass ich mit dem Gitarristen Dweezil Zappa, dem Sohn von Frank Zappa, Kontakt hatte. Er ist auch einer unserer Kunden mit dem DS 1. Das ist wirklich ein sagenhafter Gitarrist, der rein technisch mindestens so gut ist, wie es sein Vater Frank war. Seine Konzerte sind ein wahnsinniges Erlebnis. Sonst habe ich im Allgemeinen mehr Kontakt mit Studioleuten als mit Musikern.
«Am stolzesten bin ich jedoch, dass ich mit dem Gitarristen Dweezil Zappa, dem Sohn von Frank Zappa, Kontakt hatte. Das ist wirklich ein sagenhafter Gitarrist, der rein technisch mindestens so gut ist, wie es sein Vater Frank war.»
Daniel Weiss
Der «Grammy» liegt hier vor uns. Oft sagt man ja, dass eher Musiker von so einem Award träumen als Ingenieure. Zwei Fragen dazu interessieren mich. Fokussierst du dich bei der Arbeit eher auf dastägliche Arbeiten, ohne an solche Erfolge zu denken? Und hast du als Kind von einer solchen Auszeichnung geträumt?
Vom Grammy habe ich so nie geträumt, ich wusste, dass mich amerikanische Kunden seit Jahren auf eine Nominationsliste gesetzt hatten. Es dauerte einige Jahre, bis es mit dem Award klappte. Ich denke, alle Menschen brauchen eine Form der Anerkennung. Auch wenn es schön ist, habe ich diese nicht in der Form eines Grammy gebraucht. Ich erhalte viel Anerkennung der Kunden. Diese ist auch ohne Grammy da und für mich am wichtigsten. Es ist beeindruckend zu sehen, dass auf dieser Liste der Grammy-Gewinner so riesige Namen stehen. Und ich bin nicht Amerikaner, was eher exotisch ist. Doch natürlich ist es schön den Grammy hier stehen zu haben.
«Vom Grammy habe ich so nie geträumt, ich wusste, dass mich amerikanische Kunden seit Jahren auf eine Nominationsliste gesetzt hatten. Es dauerte einige Jahre, bis es mit dem Award klappte.»
Daniel Weiss
Einflussreich und bescheiden
Ich habe den Eindruck, dass du wirklich bescheiden bist. Du hattest und hast einen sehr grossen Einfluss auf die Musikbearbeitung. Ich höre viel Quincy Jones. Er sagt oft, dein Beruf brauche beides, sehr rationales technisches Denken und auch Kreativität.
Ja genau – das ist eigentlich die Definition eines Ingenieurs. Wir versuchen das mit der Soundbar zu machen.

Was ist für dich als Hörer das Faszinierendste an der Musik? Denkst du, dass im Verlauf der Generationen sich diese Faszination verändert?
Musik ist für alle Generationen faszinierend. Die Jungen sind vielleicht «musikverrückter», weil man heute Musik immer dabeihaben kann, was früher schwieriger war. Das Leben wäre sicher ganz anders ohne Musik. Musik ist faszinierend, auch wenn man betrachtet, was für einen Einfluss sie auf die menschliche Psyche hat. Zu diesem Zusammenhang zwischen Musik und Psyche wird momentan viel Forschungbetrieben. Ich weiss noch: Als ich als Kind zum ersten Mal eine Aufnahme in Stereo gehört habe, war das wirklich ein grosses Erlebnis (lacht).