
Johannes Utzinger (74) hat sich schon am Gymnasium – auf dem ein kleines Observatorium thronte – dafür interessiert; hat dann Astronomie studiert und lange Zeit am entsprechenden Institut der Uni Bern gearbeitet, nicht als Astronom zwar, sondern als Elektro-Ingenieur. Eine Hauptaufgabe: im Team ein System zu entwickeln, um die Entfernung von Satelliten zu messen.
Barbara Muntwyler (35) ist Lehrerin und Schulleiterin in Bern. Ihr Interesse an der Astronomie wurde schon mit 12 Jahren geweckt und führte sie stets weiter: von der Jugendgruppe bis zum Präsidium der Astronomischen Gesellschaft; sie veranstaltet Führungen in der Sternwarte, Reisen, Lager.
Was die Wissenschaft sagt
Der Laie erhält eine kompakte Darstellung: Schon länger ist bekannt, dass sich Galaxien voneinander entfernen, je älter, desto schneller. Aber wie soll ich mir das Universum vorstellen? Endlich oder unendlich? Eine These lautet: «endlich, aber ohne Grenzen»; die Zeit mit einbezogen, sei das Universum ein vierdimensionales Gebilde. Ein solches kann ich nicht sehen, nur denken. Ein Vergleich mit Dreidimensionalem soll helfen: Eine (zweidimensionale) Fläche zu einer Kugeloberfläche (in die dritte Dimension) gekrümmt, ist in sich geschlossen, endlich, aber ohne Grenzen. Nun gibt es eben einzelne Beobachtungen, welche Thesen wie die Krümmung des Raums stützen, aber nur in der Nähe von massereichen Sternen. Es ist nicht entschieden, ob dies für das Universum als Ganzes zutrifft. Die Frage, ob endlich oder unendlich, bleibt vorderhand offen.
«Haben die letzten 100 Jahre das Wissen gewaltig ausgeweitet, so fragen wir uns erst recht, was die nächsten 100 bringen werden.»
Barbara Muntwyler
Muss ich solches nun einfach glauben? Selbst ein Laie kann gewisse Effekte erkennen – die ExpertInnen müssen sie ihm jedoch deuten. Es geht nicht nur um sichtbares Licht; neben dem Teleskop kommt etwa Spektralanalyse zum Zug. Eigentlich sei unsere Alltags-Physik dieselbe wie die im Weltall. Natürlich kommen stets unterschiedliche Theorien auf; doch ein aktueller Stand gilt als gesichert, auch was das Alter des Universums betrifft: 13,8 Milliarden Jahre sind seit dem Urknall vergangen.

Stimmt denn das?
Wir müssen, sagt Barbara, an die Wissenschaft als System glauben. Müssen darauf bauen, dass ExpertInnen zuverlässig und miteinander arbeiten. Für allen Fortschritt ist es wichtig, dass Grundlagenforschung betrieben wird; sie ist diejenige, die das Unbekannte erkundet: «Man weiss nie, was herauskommen wird». Haben die letzten 100 Jahre das Wissen gewaltig ausgeweitet, so fragen wir uns erst recht, was die nächsten 100 bringen werden.
Die Zeit, die wir individuell erleben, ist begrenzt. Aber wir können sie forschend erweitern. Dabei, so Johannes, wechseln wir auch den Standpunkt, sehen uns selber nicht nur, wie üblich, von innen, sondern von aussen; und diese Art «Schizophrenie» sei nützlich für die Erkenntnis. Barbara relativiert allerdings die «Aussensicht»: Wir sehen zwar weit hinaus, aber Orte jenseits unseres Sonnensystems zu erreichen – mit Satelliten oder gar einer bemannten Mission –, das kriegen wir (noch?) nicht hin. Die Sonde «Voyager» ist seit 1977 unterwegs, hat vor zehn Jahren unser Sonnensystem verlassen; der Kontakt zu ihr wird bald abreissen, sie wird auf ewig in die unendlichen Weiten driften.

Sollen wir alles, was die Wissenschaft herausfindet, umsetzen? Nein, da sind sich die drei einig; Beispiele wie die Kernenergie drängen sich auf. Selbst die Astronomie führt da zu Problemen – sollen wir etwa auf anderen Planeten Eingriffe vornehmen? Wissenschaft ist eben, meint Johannes, nur eine Seite; eine zweite, geistige muss sie ergänzen.
Wer interessiert sich denn fürs Weltall – und wer für existentielle Fragen, die es wohl aufwirft? Barbara, mit ihrer Erfahrung aus astronomischen Führungen, oft mit Kindern, ist überzeugt: Alle! Das Beobachten fasziniert, lässt einen still und nachdenklich werden. Die Spannung zwischen unserer Winzigkeit und jenen riesigen Dimensionen leitet zu den Grundfragen.
Das «metaphysische Gruseln»
Der Sternenhimmel mag wunderschön sein – er kann mir auch Angst einjagen. Wie klein ich bin; wie kurz auch mein Dasein; wie stumm vielleicht das All. Mani Matter gibt dem Bedrohlichen einen humoristischen Namen; doch es geht um den Sinn des Lebens. Darum kommt das Gespräch auf unser Lebensgefühl und auf Glauben, auf die Religion(en).
«Dass unser Leben begrenzt ist, macht es wertvoll. Und spannend. Wir sollen etwas gestalten, andere inspirieren. Jeder Mensch kann Wellen auslösen.»
Barbara Muntwyler
Viele AstrophysikerInnen – wie Einstein, Hawking – seien religiös eingestellt, bringt Barbara vor; keiner allerdings vertritt eine Schöpfungs-Theorie. Der Urknall, der scheint heute anerkannt; doch wer hätte ihn ausgelöst? Ob es einen Gott gäbe, der den Entwicklungen, die er in Gang gesetzt hat, nur beiwohnt?

Barbara möchte keinen Gott an jene «Leerstelle» setzen. Aber sie findet Spiritualität nötig, und sie diskutiert gern verschiedene Anschauungen dazu. Sich mit der Natur, dem All verbunden zu fühlen, stellt sie den Religionen gleich. Johannes findet Kirchen – als feste Institutionen – nicht berechtigt, weil sie Denkfreiheit behindern. Aber es ist ihm wichtig, sich dem Bereich, in dem wir leben und wirken können, zugehörig zu fühlen. Wir sollen weiter kommen und etwas ausrichten. Zu dem Lebensbereich gehört auch der Sternenhimmel. Dieser ist für ihn eine vertraute «Landschaft» geworden. Auch Laien können eine solche Vertrautheit durchaus erreichen; es braucht einfach Zeit. Zeit zum Beobachten.
«Die Zeit, die wir individuell erleben, ist begrenzt, aber wir können sie forschend erweitern. Dabei wechseln wir auch den Standpunkt, sehen uns selber nichr nur von innen, sondern auch von aussen.»
Johannes Utzinger
Barbara ergänzt: Dass unser Leben begrenzt ist, macht es wertvoll. Und spannend. Wir sollen etwas gestalten, andere inspirieren. «Jeder Mensch kann Wellen auslösen.»
Keine Angst also …
Schwerpunkt «unendlich»
Zwischen dem 1. Januar und 31. März beschäftigt sich UND Generationentandem mit dem Schwerpunkt «unendlich». Dieser Beitrag entstand in diesem Rahmen und erschien bereits in der 44. Ausgabe des UND-Magazins.
Hier findet ihr weitere Beiträge zum Schwerpunkt «unendlich».