«Das isch doch ohnmächtig» pflegten meine Eltern sich aufzuregen, wenn ihnen eine Situation unmöglich vorkam, wenn etwas sich nicht vernünftig lösen liess. Nicht sie waren «ohnmächtig», sondern die Angelegenheit; ihnen fehlte aber die Macht, etwas zu ändern. Machtlos waren sie. Deswegen mussten sie nicht gerade in Ohnmacht fallen, wie das – auch so ein altes Bild – die Damen seinerzeit reihenweise taten, fast tun mussten. Ob wegen des einschnürenden Korsetts, wegen ihrer anerzogenen Empfindlichkeit, wegen schlechter Luft oder warum sonst. Ohnmächtig zu werden ist seit jeher eine physische, eine medizinische Erscheinung. Die grossen Fragen aber drehen sich um «mächtig» und «Macht».
Natürlich schaue ich im Herkunfts-Duden vorbei. Aha: «Macht» stammt nicht von «machen» ab. All die Macher – die ja oft wirklich mächtig werden – finden sich da kaum gerechtfertigt. Das Wort kommt von «mögen». Dieses meint heute zumeist «gern haben»; doch für uns wichtig, und im Dialekt noch stärker, heisst es «können, imstande sein, die Kraft haben».
«Dass Macht das Weltgeschehen bestimmt, steht ausser Frage. Und sie scheint sich immer mehr zu konzentrieren: in Zirkeln, in Konzernen, in Weltmächten.»
Heinz Gfeller
Da werden Dinge möglich: Auch dieses Wort kommt vom selben Verb. Ebenso wie «vermögen» – bei dem wiederum unser Dialekt noch mehr enthält: «I verma das (nid)»! Wir wissen auch, wie sehr uns unser Vermögen, unser Geld, zu Macht verhilft.
Jemand hat Macht über etwas, mehr noch: über Andere. Kann auch heissen: Gewalt. Jemand verdankt es vielleicht seiner Kraft – aber welcher? der körperlichen, der psychologischen, sozialen? –, dass er sich über Menschen erhebt. Je komplizierter das gesellschaftliche Gebäude, desto raffinierter die Wege, zu Macht zu gelangen. Durchschauen wir sie noch? Den Machtpoker? Welchen Manipulationen sind wir ausgeliefert? Dass Macht das Weltgeschehen bestimmt, steht ausser Frage. Und sie scheint sich immer mehr zu konzentrieren: in Zirkeln, in Konzernen, in Weltmächten, die eigenmächtig handeln, die über-, ja allmächtig werden. «Die Kraft und die Herrlichkeit» schreiben wir noch, im Gebet, Gott zu. Welchen Machthabern aber in der nackten Realität?