
Früher war der Buchmarkt vielleicht übersichtlicher: Es kamen insgesamt viel weniger und weniger oft Neuerscheinungen auf den Markt. Heutzutage erscheinen pro Jahr fast unfassbar viele Bücher – meist zwei- bis viermal pro Jahr und sehr oft noch «Schnellschüsse» dazwischen. So gibt es vor den Sommerferien, vor Weihnachten oder dann, wenn es zu lange Pausen im Produktionsjahr gibt, zusätzlich neue Titel.
«Generationenlesen»
Lesetipps gibt es bereits viele: vom Schaufenster der Buchhandlung über Medienbesprechungen zu Blogs bis hin zu privaten Empfehlungen. Warum also noch ein neues Format?
Wir sind zwei Frauen in verschiedenem Alter, die mit und von Büchern leben. Diese Chance, unsere Ideen zusammenzutragen, wollen wir uns nicht entgehen lassen: Junge und Alte gleichzeitig ansprechen, auf Bücher aufmerksam machen, die das Potenzial haben, beide Generationen zu bereichern. Unser Ziel ist natürlich vor allem, zum Lesen zu animieren und mit kontroversen Besprechungen oder gemeinsamer Begeisterung die Neugier neuer Leser wecken. Wir werden künftig also sechsmal jährlich berichten, was wir in der Zwischenzeit gelesen haben, und beide über einen vorher abgesprochenen Titel schreiben.
Heidi: Querbeet mit System
Wie gerne lasse ich mich verführen: Kleine, feine, hübsch gemachte Büchlein sind mir die liebsten. Da führe ich gleich Arno Camenisch «Der letzte Schnee», Engeler, 2018 an. Doch darf es auch hin und wieder ein dicker Schinken oder ein Mehrbänder sein. Verschlungen habe ich zum Beispiel die vier Bücher von Elena Ferrante, weil sie mir viel über Frauen, Italien und mich selbst erzählt haben.
Klingende Autorennamen sind die einfachste Empfehlung, ein gelungenes Debut hingegen ein besonderes Fest, wie etwa Anne Catherine Bomann «Agathe», Hanserblau, 2019. Sie schreibt über einen Psychiater, der kurz vor der Pensionierung steht und glaubt, ihn könne nichts und niemand mehr erschüttern; und siehe da, da passiert ihm Agathe. Wunderhübsch.

Marlene: Sorgfältiges Auswahlverfahren
in der Mittagspause
In meinen Bücherregalen stapeln sich vor allem Romane, ab und zu abgelöst von einem schönen Bilderbuch, beispielsweise «Hier sind wir» von Oliver Jeffers, oder einer spannenden Kurzgeschichtensammlung von Stephen King. Am liebsten suche ich mir neue Bücher aus, wenn ich in der Mittagspause im Erdgeschoss meiner Lehrbuchhandlung Stauffacher auf den Tischen mit den Neuerscheinungen herumschmökere, Klappentexte lese und Cover bestaune. So ist mir auch «Kurt» von Sarah Kuttner, S. Fischer Verlag, 2019, ins Auge gesprungen: «Kurt» kommt in einer toller Aufmachung daher und auf der ersten Seite wird man von einem Gedicht von Erich Fried empfangen – der Start ist geglückt, und der Rest, der folgt, ist noch viel besser. «Kurt» ist voller Liebe und noch mehr Schmerz, und mehr möchte ich darüber nicht sagen. Mein absolutes Lieblingsbuch in diesem Jahr – bis jetzt!
Heidi: Es muss nicht immer neu sein
Für den philosophischen Bücherabend lese ich die Porträts dreier Philosophinnen, darunter Hannah Arendt. Grund genug, deren berühmten Briefwechsel mit Mary McCarthy wieder hervor zu nehmen («Im Vertrauen», Briefwechsel 1949 bis 1975, de Gruyter). Weil ich noch nie etwas von Mary McCarthy gelesen habe, kaufe ich mir ihr berühmtestes Buch «Die Clique», btb, welches seit seinem Erscheinen im Jahr 1954 das Kultbuch für ganze Generationen von Frauen darstellt. Darin lese ich jetzt gerade und bin hingerissen: So geistreich, bissig, witzig sind die Schilderungen der Frauenschicksale im Manhattan der 30er-Jahre. Und, obwohl sie nicht mehr so schockieren wie damals, rütteln sie auch heute noch auf, stellen Verhaltensweisen in Frage und zeigen, wie vieles und gleichzeitig wie wenig sich bis heute in Bezug auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft geändert hat.

Marlene: Bücher auf Vorrat
Ich kaufe gerne Bücher auf Vorrat, und dieser Vorrat beansprucht mittlerweile Platz in zwei Billy-Regalen. Es muss für mich nicht immer eine Neuerscheinung sein – Backlisten (von bereits erschienenen Titeln) finde ich ebenso spannend. Mit einer Gruppe von Freunden habe ich kürzlich «Der Report der Magd» von Margareth Atwood gelesen, eine Geschichte, die mittlerweile auch als Serie auf Netflix ist. Ein dystopischer Roman, welcher das Amerika in naher Zukunft zeigt. In der Republik Gilead wird die Stellung der Frau neu definiert: Sie wird vollständig entrechtet, darf kein persönliches Eigentum mehr besitzen und hat sich vollständig dem Mann unterzuordnen. Desfred ist die Hauptfigur in der Geschichte, eine Magd und eine der wenigen Frauen, welche in dieser Welt noch fruchtbar sind. Sie lebt im Haus eines Kommandanten und ihre einzige Aufgabe ist es, als lebendige Gebärmaschine zu dienen und ein Kind für den Kommandanten auszutragen. Ein Buch, welches einen wachrüttelt und zu angeregten Diskussionen einlädt.

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Die Rubrik «Ausgelesen» erscheint mehrmals im Jahr, online und in einer gekürzten Version auch im Print.