Wie kommt jemand dazu, mit Vehemenz an abstruse Ideen zu glauben? Markus Kovic, einer der Experten im Generationentalk, konnte aus eigener Erfahrung davon berichten. Er wuchs als Jugendlicher in der Popkultur der Neunzigerjahre auf. Science-Fiction, Glaube an Ufos und Verschwörungstheorien waren im Umlauf und faszinierten ihn. Er habe alles geglaubt. Anfänglich war es Unterhaltung, dann wurde daraus Ernst und am Ende verfiel er dem Tunnelblick. Gesellschaftliche Ereignisse wie der Tod Dianas beflügelten die Fantasie: «Da kann doch etwas nicht stimmen.» Damit die Eltern zu provozieren, kam als weiteres Motiv dazu.
Wie wird man Verschwörungstheoretiker?
Wir sind alle geneigt, die Ursachen solcher Phänomene auf persönliche oder psychologische Gründe zurückzuführen: Ängste, Unsicherheit, Isolierung, Ohnmachtsgefühle oder das Bedürfnis nach dem Besonderen. Diese Sicht ist auch richtig: Die Zugehörigkeit zu einer Verschwörungstheorie gibt Identität, stärkt das Gefühl, jemand zu sein und gibt Sinn.
Diese persönlichen Gesichtspunkte dürfen aber nicht übersehen lassen, dass im Hintergrund oft auch soziale Gründe dafür verantrsortlich sind. Armut, mangelnde Infrastruktur und die seit Jahrzehnten lastende Ungleichheit legen den Nährboden für extreme Ansichten.
«Es kann jedem passieren.»
Laurent Luks
Trotzdem ist es nicht eine bestimmte Gruppe von Menschen, die dafür anfällig wäre. Alle Gesellschaftsschichten, alle Bildungsstufen, alle Altersklassen sind vertreten. «Es kann jedem passieren», sagt Laurent Luks. Verschwörungstheorien sind auch nicht auf ein bestimmtes Thema ausgerichtet. Wer dafür anfällig ist, wer die Grundlage dafür in sich trägt, sucht sich ein Thema.
Verschwörungstheorien gab es immer. Es wird sie wohl auch weiterhin geben, auch wenn Covid abgeklungen sein wird. Was unsere Zeit geneüber früher unterscheidet, ist der Social Media-Einfluss. Aber auch früher heizten Medien die Themen an. Beim Tod Dianas verdienten Boulevardzeitungen ihr Geld mit dicken Schlagzeilen. Social Media unterscheiden sich darin, dass sie Theorien in grosser Geschwindigkeit weit verbreiten, dass sie die Verbreitung von Wut und Hass erleichtern, dass sie Menschen in sogenannten «bubbels» zusammenführen um sich gegenseitig aufzustacheln.
Doch wer ist nun Verschwörungstheoretiker?
Nicht jeder, der die Mainstream-Medien kritisch hinterfragt, ist schon Verschwörungstheoretiker. Laurent Luks bringt es auf den Punkt: «Kritisch Denkende hinterfragen alles, auch sich selbst. Letzteres tut der Verschwörungstheoretiker nicht». Die Frage ist: Setze ich mich mit der Wirklichkeit auseinander, um mir eine Meinung zu bilden oder identifiziere ich mich mit einer Meinung und suche dann die Argumente dafür? Ein weiteres Indiz ist die Reduktion einer Situation auf Gut und Böse. Diana war die Gute, das Königshaus repräsentierte die Bosheit. Komplexe Situationen werden vereinfacht. Ein simples, einfach zu verbreitendes Weltbild entsteht.
«Kritisch Denkende hinterfragen alles, auch sich selbst. Letzteres tut der Verschwörungstheoretiker nicht»
Laurent Luks
Das alles kann verheerende Folgen annehmen. Beziehungen werden gestört, bis in die Familien hinein entsteht Unverständnis, man treibt sich gegenseitig hoch in verhärtende Positionen. Der Dialog wird schwierig. Realitätsverlust führt zu irrealen Handlungen, wie wir das in der Stürmung des US-amerikanischen Capitols erlebt haben. Damit übergreift das Problem die einzelne Persönlichkeit und wird zum sozialen Problem. Die Gesellschaft spaltet sich in gegnerische Lager – wir erinnern uns gut an die Situation mit den Covid-Massnahmen. Und was vielleicht das Schlimmste ist: Der Weg des Dialogs wird immer mehr verbaut.
Wie umgehen mit betroffenen Menschen?
Wichtig ist, zu verstehen, was dem Problem zugrunde liegt. Denn jeder Mensch ist anders, entscheidet sich für extreme Ansichten aus seiner konkreten Situation heraus.
Mit Fakten argumentieren nützt meist nichts, provoziert oft Verteidigung mit Kontra-Fakten, die sich im Internet leicht finden lassen. Zuerst kann es sinnvoll sein, Zweifel an den geäusserten Ansichten vorzubringen. Entscheidend ist es, die Beziehung zu pflegen. Um die Verhärtung aufzulösen, muss eine Bezugsperson den Kontakt herstellen, noch bevor sie das heikle Thema anspricht. Das kann die Familie sein, aber auch ein Sporttrainer, eine Lehrerin. Die Bezugsperson ihrerseits muss prüfen, ob sie die nötigen Ressourcen dafür hat oder ob sie vielleicht dafür selbst professionelle Hilfe braucht.
Eine andere Frage ist, was wir als Gesellschaft für diese Menschen tun können. In der Schule können wichtige Themen behandelt werden: Mobbing, Gewalt, Resilienz. Der Staat muss Schwachpunkte in seiner Politik offenlegen und zu seinen Mängeln stehen. Die grundlegenden Fragen müssen gesellschaftlich aufgezeigt und abgearbeitet werden. Aber auch die positiven Seiten staatlichen Wirkens sollen sichtbar werden. Und natürlich hilft alles, was die zugrundeliegenden Faktoren wie Armut, Isolation und Ungleichheit verbessern kann.
Was ist der Generationentalk?
Zwei Personen – ein Thema: Das ist der Generationentalk von UND Generationentandem. Jeden Monat diskutieren Jung und Alt miteinander über brisante Themen. Der Talk dauert zwischen 30 und 45 Minuten. Danach hat das Publikum die Gelegenheit, sich an der Diskussion zu beteiligen. Der Generationentalk, moderiert von einem ModeratorInnen-Team von UND, trifft seit Mitte 2016 stets den Nerv der Zeit und setzt sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinander.
Der Talk wird vom generationendurchmischten Redaktionsteam professionell aufgezeichnet und fotografisch dokumentiert. Alle Talks sind dann hier als Podcast nachzuhören.
Der Generationentalk wird 2022 gefördert von der Burgergemeinde Bern.