Dieser Beitrag wurde erstmalig auf Bärn Today veröffentlicht.
Was sind bei älteren Menschen momentan die grössten Herausforderungen im digitalen Bereich?
Das Thema «Sicherheit im Internet» ist für viele ältere Menschen ein grosses Thema. Viele haben Respekt oder gar Angst vor den neuen digitalen Möglichkeiten und Herausforderungen. Betrügereien, Datenmissbrauch oder Fehlinformation drohen im Netz – darüber berichten die Medien fast täglich. Besonders im Bereich von digitalen Finanztransaktionen wie E-Banking, online-Einkäufen, elektronischen Rechnungen oder Twint herrscht Verunsicherung. Menschen, die nicht mit Computer und Smartphone aufgewachsen sind – die «digital immigrants» – wollen die Funktionsweise der neuen Technologien verstehen, um sich so sicher und souverän im Netz bewegen zu können.
«Viele ältere Menschen haben grossen Respek vor den digitalen Möglichkeiten und Herausforderungen.»
Daniel Roth
Was geben Sie solchen Leuten in Ihren Kursen mit auf den Weg?
Die digitale Teilhabe aller ist erklärtes Ziel der Technikhilfe von UND Generationentandem. Mit der Kursreihe «Digitales Wissen» vermitteln wir Grundlagen und Hintergrundwissen zu häufigen Fragestellungen von nicht so versierten AnwenderInnen: Finanzgeschäfte im Internet, Digitale Identität, Social Media, Fake News, Handhabung Smartphone. Durch das Verstehen der Prinzipien und Funktionsweisen gewinnen die TeilnehmerInnen Selbstvertrauen und öffnen sich für digitale Welten. Wir legen dabei grossen Wert auf eine detaillierte Erklärung und konkrete Anwendungsbeispiele. Neben den Fragerunden und Gesprächen im Kurs erhalten die TeilnehmerInnen ein Handout und ein Linkblatt, um selbständig weiter zu üben. Beispielsweise haben wir einen Kurs zum Thema Messenger-Apps durchgeführt und dabei die Funktionsweise der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung behandelt, um das Verständnis für die technischen Hintergründe der Programme zu ermöglichen.
In Ergänzung zu den Kursen unterstützen wir SeniorInnen mit der individuellen Technikhilfe persönlich und vor Ort bei der Lösung von digitalen Problemen.
Wie ist es bei jüngeren Leuten? Womit haben die zu kämpfen?
Die jüngeren Leute sind in den Anwendungen sehr versiert – das wurde ihnen gewissermassen in die Wiege gelegt, Doch obwohl sie mit vielen Programmen vertraut, stelle ich fest, dass oft Hintergrundwissen fehlt. Das Bewusstsein für Datenschutz und die Auswirkungen, die das eigene Online-Verhalten auf Spuren hinterlässt, scheint bei vielen nicht vorhanden zu s
«Das Bewusstsein für Datenschutz und die Auswirkungen, die das eigene Online-Verhalten auf Spuren hinterlässt, scheint bei vielen nicht vorhanden zu sein.»
Daniel Roth
Welche Tipps würden Sie hierzu jungen Leuten geben?
Weiterbildung zu digitalen Themen muss auch für die Jungen ein Thema sein. Es genügt längst nicht, sämtliche Anwendungen nutzen zu können und jede Neuerung, die im im Internet lanciert wird, kritiklos zu übernehmen. Es gibt qualitativ hochstehende Bildungsplattformen und Foren im Internet, wo wir uns detailliert informieren und uns eine eigene Meinung bilden können. Wer oder was steht beispielsweise hinter Tiktok, wie erkenne ich Fake News, wie kann ich Werbung verhindern, wer braucht meine Daten wozu? Hier wissen auch die Jungen kaum Bescheid.
Anscheinend gibt es immer mehr Jugendliche, die gut mit dem Smartphone umgehen können, am Computer jedoch grosse Schwierigkeiten haben. Haben sie dies auch schon festgestellt?
Ich beobachte, dass bei jungen Menschen vermehrt die Nutzung von Smartphones im Vordergrund steht. Bisher habe ich aber keine Probleme beim Umgang mit Computern bei dieser Altersgruppe feststellen können. Viele Jugendliche wickeln heutzutage fast alles über ihre Smartphones und haben daher möglicherweise weniger Erfahrung mit PCs oder Laptops.
Haben Sie das Gefühl, dass die Handyabhängigkeit immer grösser wird?
Das stellt sicher ein Problem dar. Insbesondere hinsichtlich der Aufmerksamkeitsspanne, da auf Plattformen wie Tiktok in Sekundenkadenz neue Inhalte präsentiert werden oder auf whatsapp eine neue Nachricht eintrudelt. Jeder neue Impuls führt zu einem kleinen Schub an Dopamin, wodurch das Verlangen nach immer mehr Stimulation zunimmt. Vielen Menschen fällt es unterdessen schwer, in Ruhe oder konzentriert ein Buch zu lesen oder einfach gar nichts zu tun oder die echte Welt um sich herum zu beobachten.
Phishing-Mails, Spamseiten et cetera werden immer dreister. Wie kann man sich davor schützen?
Es gestaltet sich tatsächlich zunehmend anspruchsvoller, Fälschungen als solche zu erkennen. Vorsicht lohnt sich – lieber vor dem nächsten «Klick» nochmals genau hinschauen. Bei E-Mails sollte beispielsweise darauf geachtet werden, wer der Absender ist. Auch bei angebotenen Links ist Vorsicht geboten: Lieber einmal zu wenig als einmal zu oft klicken. Man sollte sich überlegen, ob es plausibel ist, dass man von diesem Absender kontaktiert wird. Wenn der Text sehr allgemein gehalten ist und man nicht persönlich angesprochen wird, kann es sich um Spam handeln.
«Vorsicht lohnt sich – lieber vor dem nächsten «Klick» nochmals genau hinschauen.»
Daniel Roth
Das Gleiche gilt, wenn man aufgefordert wird, persönliche und sensible Daten preiszugeben. Wenn der Text Fehler enthält und das Deutsch holprig ist oder wenn man unter Zeitdruck gesetzt wird, handelt es sich wahrscheinlich auch um Betrug. Auf der Website einer Bank sollte man darauf achten, dass es sich um eine gesicherte Verbindung handelt, also um «https» mit einem Schloss in der Browser-Adresszeile. Dies zeigt an, dass es tatsächlich die Webseite ist, für die sie sich ausgibt.
Gibt es Erlebnisse aus ihren Kursen, die Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben sind?
Die Menschen, die unsere Kurse besuchen, verfügen über unterschiedliche Kenntnisse. Einige haben möglicherweise wenig oder kein Verständnis für grundlegende digitale Tools wie den Browser oder den Windows Explorer. Nichtsdestotrotz haben sich diese Personen dazu entschlossen, an unseren Kursen teilzunehmen: Das ist ein grosser Schritt. Es gibt auch viele Menschen, die aufgegeben haben und glauben, keinen Zugang zur digitalen Welt mehr zu bekommen.
Ich möchte zwei positive Beispiele nennen: Ein älterer Herr hatte Schwierigkeiten bei der Bedienung seines Smartphones und war unsicher im Umgang mit Whatsapp und dem Speichern von Bildern. Ich besuchte ihn mehrmals und half ihm bei der Bedienung seines Geräts. Er hatte einen Dackel, welcher häufig hustete. Bei Besuchen beim Tierarzt war dieses Husten jedoch nicht mehr zu hören. Als er mir dies erzählte, erklärte ich ihm, wie er Videos machen kann mit seinem Smartphone und schliesslich gelang es ihm, das Husten seines Hundes auf Video aufzunehmen und dem Tierarzt zu zeigen.
Eine weitere Person, eine über 90-jährige Frau, hatte Schwierigkeiten beim Lesen aufgrund ihrer Sehprobleme. Ihre Töchter schenkten ihr ein iPad, und ich half ihr, die Bedienung zu erlernen. Am Anfang war das eine grosse Herausforderung, was sie sehr frustrierte. Mit der Zeit jedoch verbesserte sie sich und jetzt liest sie Buch um Buch auf ihrem iPad. Sie ist heute digital fitter als noch vor einigen Jahren.
Konzept «Digitale Teilhabe» UND Generationentandem
Alle Menschen sind gefordert, mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Damit niemand zu einem «gestrandeten Zeitreisenden» wird, sind die jüngeren Generationen gefragt. Der Thuner Verein «UND Generationentandem» baut Brücken zwischen den Generationen, vermittelt digitales Wissen und hilft individuell und niederschwellig bei der Navigation durch den digitalen Dschungel.
Die digitale Teilhabe wird in fünf Tätigkeitsfeldern gefördert:
– Kursreihe «Digitales Wissen»
– Individuelle Technikhilfe von Jungen für Ältere
– Podien und Kurse für Gemeinden, Vereine und Sozialpartner / Partner Wirtschaftsraum Thun
– Wissensvermittlung im digitalen Raum (Blog)
– Regionale und deutschschweizweite Vernetzung zum Thema «Digitalisierung der Gesellschaft»
Informativer Artikel, gut dargestellt. Merci Daniel.
Ein spannendes Buch der Autorin Sarah Spiekermann: Digitale Ethik, Ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert, Droemer, 2019. Als langjährige Beraterin im Silicon Valley und jetzige Professorin für Wirtschaftsinformatik in Wien fragt sie, was die Digitalisierung mit dem Leben der Menschen macht. Sie zeigt auf, was es braucht, damit die Menschheit frei und weise werden kann und nicht das Gegenteil. Sehr spannend!