
Das Podium zum Thema «Digitale Nachhaltigkeit und nachhaltige Digitalisierung» im Rahmen der Digitaltage Schweiz und in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsraum Thun lockt rund 170 zumeist jugendliche Interessierte ins Bistro des Gymnasium Thun Schadau. Heute werfen Fachleute aus Wissenschaft, Politik und Praxis einen Blick in die Zukunft der digitalen Welt. Welche Chancen und Risiken bringen Social Media, Big Data und neue Technologien? Wie profitieren wir davon? Wie können wir unser Wissen für alle zugänglich machen und auch für künftige Generationen digital sichern? Wie belastend ist die Digitalisierung für unsere Umwelt? Und welche Gefahren müssen wir als Gesellschaft und als Individuen im Auge behalten?

Der Moderator Luc Marolf hat anregende, zum Teil auch provozierenden Fragen zusammengestellt. Die Podiumsgäste sind Jasmin Nussbaumer (36), Co-Leiterin des Digital Sustainability Lab der Universität Bern, Lukas Baumgartner (45), CEO der Internetagentur Iqual, EVP-Politiker Marc Jost (48), der sich im grossen Rat mit der Digitalisierungsstrategie des Kanton Berns beschäftigt hat und Markus Tiede (37), Vizepräsident von CH Open, Verein zur Förderung von Open Source Software in der Schweiz.
Wir sind rund um den Globus vernetzt, immer und überall erreichbar, die Wettervorhersage stets auf Abruf und ein Zugticket ist mit einem Klick erworben. „Digitalisieren lässt sich alles, was nicht materiell ist“, erklärt Markus Tiede. Die Gäste sind sich schnell einig, dass die Digitalisierung eines Ablaufes vor allem dazu beiträgt, dessen Effizienz zu steigern und ortsunabhängig und gleichwohl gemeinsam in Teams zu arbeiten.
«Digitalisieren lässt sich alles, was nicht materiell ist.»
Markus Tiede
Dies hat aber auch einen Preis: Auf den sozialen Medien zum Beispiel geben wir mehr oder weniger freiwillig Daten an Anbieter weiter. Das können sehr offensichtliche Daten sein wie Name, Telefonnummer, Adresse. Es können aber auch weniger bewusste Daten sein: Wie lange sind wir auf einer Webseite ist, welche Links klicken wir an, wie lange verweilen wir bei einem Video und noch sehr viel mehr. Für Marketingunternehmen sind diese Informationen besonders interessant, weshalb Plattformen wie Facebook, Instagram oder TikTok diese auch verkaufen. Diese Art von Datensammlung ist vielen NutzerInnen des Internets – gefährlicherweise – nicht bewusst.

«Es ist wichtig, in Bezug auf diese Datensammlungen im Hintergrund mehr Transparenz zu schaffen», sagt Jasmin Nussbaumer, eine Vertreterin der Idee «Open Data». Auch für Markus Tiede braucht es ein Umdenken und vorallem auch Aufklärung der breiten Bevölkerung über das Funktionieren der digitalen Welt. Er sieht die Zukunft der Digitalisierung in der Weiterentwicklung von Open Source.

Was bedeutet eigentlich Open Source?
Das Ziel von Open Source ist, dass Software kostenlos von Dritten genutzt, bearbeitet oder weiterentwickelt werden kann. Wissen wird weltweit geteilt und Software wird effizient verbessert und so nachhaltiger genutzt. Aktuell wird noch immer viel Software von Konzernen mit Monopolstellung hergestellt und dann gebührenpflichtig und nur für eine kurze Zeit zur Verfügung gestellt. In der Schweizer Politik ist man da unterdessen etwas nachhaltiger unterwegs. So teilen sich zum Beispiel bereits einige kantonale Verwaltungen Software und verbessern diese laufend gemeinsam.
Und was heisst Open Data?
Während es bei Open Source um Software geht, geht es bei Open Data um tatsächliche Daten – also um Information. So sollen beispielsweise wissenschaftliche Informationen für alle zugänglich gemacht werden. Jasmin Nussbaumer plädiert hier dafür, dass sämtliche Daten, die der Staat über eine Person sammelt und verarbeitet, für diese Person einsehbar sein sollte. So schaffen wir Transparenz und Vertrauen und nutzen Daten nachhaltig.

Ist das nicht sehr riskant?
Wenn die Codes hinter den Programmen für alle einsehbar sind, können dann Sicherheitslücken nicht ausgenutzt werden? Im Gegenteil – für Jasmin Nussbaumer stellt dies eher eine Chance dar: «Sicherheitslücken können so auch von allen beseitigt werden und sicherere Software kann entwickelt werden».

Digitale Nachhaltigkeit versus nachhaltige Digitalisierung – wo liegt der Unterschied?
Open Source und Open Data dienen also der digitalen Nachhaltigkeit: Mehrere Menschen nutzen eine Software oder einen Datensatz. So bleiben diese aktuell und können über längere Zeit – für immer und in der Zukunft – genutzt werden. Das reduziert natürlich auch die relativen Kosten der Herstellung. Doch es braucht nicht nur digitale Nachhaltigkeit, sondern auch eine nachhaltige Digitalisierung. Denn die Digitalisierung hat auch einen ökologischen Preis, so Jasmin Nussbaumer.
«Die Digitalisierung hat auch einen ökologischen Preis».
Jasmin Nussbauner
Streaming verursacht beispielsweise einen hohen CO2-Ausstoss, auch die Herstellung von Software und Geräten benötigt viel Energie. Dem entgegenzuwirken ist aber gar nicht so aufwändig, betont Jasmin Nussbaumer: Schon ein einfaches Herunterschrauben der Ausgabequalität bei Serien auf Netflix & Co. kann den Energieverbraucht bereits signifikant reduzieren.
Blick in die Zukunft – und wer trägt die Verantwortung?
Im Privaten sind wir mit der Digitalisierung schon relativ weit, stellt Marc Jost fest. In der Wirtschaft und in der Politik sieht das etwas anders aus. Der Kanton Bern will zwar bis 2030 die gesamte Verwaltung digitalisieren, diese Frist hält Marc Jost aber eher für optimistisch, denn während viele InternetnutzerInnen in ihrem Privatleben relativ frei mit ihren Daten umgehen, sind sie ablehnend und kritischer, wenn es um die Datensammlung durch den Staat geht.

Es gab zum Beispiel verschiedene Versuche, E-Voting einzuführen, doch aufgrund verschiedener Sicherheitslücken und dem fehlenden Vertrauen der NutzerInnen kam das bisher nicht zustande. Und doch ist die Politik bei der Digitalisierung um einiges weiter als die Privatwirtschaft, so Lukas Baumgartner, denn die Politik musste schon immer vorsichtig mit den Daten ihrer BürgerInnen umgehen, um ihr Vertrauen zu behalten. Die Wirtschaft ist das noch am Lernen.
«Die Politik ist bei der Digitalisierung fortschrittlicher als die Wirtschaft»
Marc Jost
Wird auch Analoges überleben?
Zum Schluss fragt Luc Marolf die Gäste nach ihren Lieblingsbüchern. Doch schnell wird nicht mehr über den Inhalt, sondern über die Form diskutiert: Buch in Papier oder auf einem Display lesen? Hier herrscht Uneinigkeit, die einen haben sich schon lange an E-Books gewöhnt, andere halten den Geruch eines Buches jedoch für unersetzlich. Vielleicht gibt es also doch Materielles, das auch materiell bleibt. Und zwischenmenschliche Begegnung im virtuellen Raum wird das persönliche Gespräch und reale gemeinsame Erlebnisse nie ersetzen.
Moderation: Luc Marolf (17)

