Es ist ein regnerischer Tag Mitte Mai. Mit Regenschirmen bewaffnet, spazieren Melina (27) und Helmut (66) der Aare entlang. Der Regen ist frisch und die Aare sieht eher ungemütlich aus. Diese Ausgangssituation lädt die beiden ein, über Wasser zu sprechen. Nicht nur das, auch der Sprung ins kühle Nass wird diskutiert. Schnell wird klar – Menschen haben ganz unterschiedliche Präferenzen und Gründe für das Bad im manchmal eisigen Gewässer. Die Unterhaltung inspiriert die beiden für das folgende Interview.

Helmut Segner (66): Melina, warum springst du ins kalte Wasser?
Melina Hasler (27): Der Sprung ins kalte Wasser hat bei mir verschiedene Gründe. Was wir alle kennen und viele Menschen auch sehr mögen, ist die Abkühlung in einem Gewässer an einem heissen Sommertag. Dazu gehöre auch ich. Nichts ist für mich schöner, als der Hitze zu entkommen und in das frische Wasser abzutauchen. Interessanter ist natürlich, wieso es bei mir kälter als zwanzig Grad sein darf und die Aussentemperatur nicht brütend heiss sein muss. In diesem Falle geniesse ich besonders die Kälte und die dazugehörende Mutprobe. Nach einer kalten Dusche fühle ich mich jeweils viel frischer und aktivierter. Es gibt also viele Gründe!
Helmut: Was löst der Kälteschock bei dir aus?
Melina: Der Ausdruck «Kälteschock» ist sehr passend – so kommt es bei mir zu einem veränderten Körperempfinden, welches auch nach dem Bad oder der Dusche noch anhalten kann. Die Kälte beruhigt mich, in der Zeit im Wasser existiert nur das Hier und Jetzt. Ein Moment der Achtsamkeit, der Präsenz. Alltägliche Sorgen spielen keine Rolle mehr. Dieser Schock, den Körper so intensiv zu empfinden, erlebe ich als erholsam. Manche Menschen erzählen mir, sie empfinden Schmerzen, wenn sie dieser Kälte ausgesetzt sind. Stechen, Atemnot oder Krämpfe. Ich dagegen erlebe dabei keinerlei solche Symptome.
«Das Gefühl, sich an einem eisigen Januartag in den See zu wagen, ist unbeschreiblich.»
Melina
Helmut: Mit welchen Argumenten würdest du versuchen, mich zu überzeugen, es ebenfalls zu versuchen?
Melina: Das Gefühl, sich an einem eisigen Januartag in den See zu wagen, ist unbeschreiblich. Währenddessen und natürlich danach! Die heisse Dusche zuhause, das Einkuscheln vor dem Cheminée, der Stolz. Zudem erlaubt man sich vermehrt Selbstfürsorge, schliesslich hat man sich ja gerade etwas Ausserordentlichem ausgesetzt und muss seinem Körper nun Sorge tragen.
Ob dabei das Immunsystem gestärkt wird, ist nur eine Hypothese, doch ich bin mir sicher, dass der Sprung ins kalte Wasser positive Effekte auf den Körper und die Psyche haben kann. Und zu guter Letzt, es ist ein Abenteuer! Jeder und Jede kann es probieren, es gibt kaum Gründe, dies nicht zu tun.
Helmut: Wie hast du denn herausgefunden, dass du Eisbaden magst?
Melina: Schon als Kind bin ich viel baden gegangen und habe die Zeit im Sommer mehr im Wasser als am Strand verbracht. Zu dieser Zeit war mir schlichtweg egal, wie kühl das Wasser war, Hauptsache schwimmen! Genauso wie kaltes Wasser mag ich auch Solbäder und nehme zuhause gerne ein heisses Bad. Erst in der Pubertät habe ich die «kalte Dusche» für mich entdeckt. Ich habe dabei herausgefunden, dass mir die Kälte hilft, bei starken Emotionen runterzufahren und mich zu beruhigen.
Helmut: Hast du irgendwelche Tricks, mit denen du dich motivierst, in das kalte Wasser zu gehen?
Melina: Natürlich fällt mir der Sprung ins kalte Nass nicht immer gleich leicht. Ich zwinge mich kaum zu dieser Aktivität. Meistens geschieht das Eintauchen ins kühle Nass spontan. Wenn ich nicht motiviert bin, sehe ich keinen Grund, dies zu tun. Was mir aber hilft (nicht nachmachen!), ist, einfach schnell reinzugehen, beziehungsweise lasse ich mich einfach fallen oder tauche kopfüber direkt ein. Je langsamer ich es probiere, desto schwieriger wird es.
Helmut: Reingehen ist das eine, aber wie ist es, wenn man wieder rauskommt, besonders wenn draussen kaltes Wetter herrscht?
Melina: Bis jetzt habe ich einige Male nach dem «Eisbaden» noch zu Fuss nach Hause gehen müssen. Dies war jeweils etwas unangenehm und ich habe ich mich danach fast immer erkältet. Heute bin ich vorsichtiger, da wird das Auto ganz nahe parkiert, ich trockne mich ganz schnell ab und nehme sobald als möglich zuhause eine warme Dusche. Früher hatte ich auch oft das Problem, dass mir nach dem Hallenbadbesuch beispielsweise die Haare eingefroren sind. Dies passiert mir manchmal noch und daran hat sich mein Körper offenbar gewöhnt. Für Anfänger ist dies natürlich nicht zu empfehlen.

Melina: Zur Abwechslung aber jetzt mal Fragen an dich: Welche Erfahrungen hast du in deinem Leben mit kaltem Wasser gemacht?
Helmut: Eigentlich eher unangenehme. Ich bin ein echter «Gförli» beim «Ins-Wasser-Gehen». In der Aare schwimme ich meist erst ab 20 Grad Celsius. Zum Glück gibt’s die Klimaerwärmung, da kommt das jetzt öfters vor. Ich habe viel mit Fischen gearbeitet, auch in der Antarktis, und da musste ich immer wieder die Hände ins kalte Wasser tauchen. Wenn einem dann so nach 1, 2 Minuten die Finger abfielen (zumindest fühlte es sich so an) – das waren keine Erfahrungen, die ich als angenehm empfunden habe.
Der einzige Anlass, wo ich mich in kaltes Wasser wage, ist in der Sauna. Nach 10, 15 Minuten auf 80, 90 Grad Celsius – da freue selbst ich mich auf den Sprung ins kalte Tauchbecken. Da habe ich es schon fertiggebracht, in Finnland auf dem zugefrorenen See durch ein Loch in der Eisdecke ins kalte Wasser zu springen. Aber nach der Hitze in der Sauna ist das wohltuend und ein angenehmes Prickeln erfasst den ganzen Körper.
Ich bin ein echter «Gfrörli» beim «Ins-Wasser-Gehen»
Helmut
Melina: Was hält dich davon ab, an einem lauen Frühlingstag in einen kalten See zu springen? Was würde dich dazu motivieren?
Helmut: Da fehlt mir dann die «innere Hitze». Ich würde vielleicht noch mit den Füssen ins Wasser gehen, aber das wäre das Maximum. Und ich finde auch den Gedanken schlimm, dann aus dem kalten Wasser an die im Frühling doch noch recht frische Luft zurückzukehren. Vielleicht wenn ich nach dem Bad direkt in einen schön geheizten Raum könnte, mit warmen Decken und einen dampfenden Kaffee – in dem Fall würde ich anfangen, nachzudenken: Wie ist das eigentlich mit dem kalten Wasser? Verliert man da viele Kalorien? Könnte das Eisbad also zum Abnehmen nützlich sein? Das wäre auch noch ein Argument.