Erschienen am: 7.7.2024 | Auflage: 1’000 Exemplare
EDITORIAL
Luc Marolf (19)
Es war in der 2. Klasse, als meine Lehrerin Papierbögen verteilte und uns in die gut gehüteten Geheimnisse der Faltkunst einweihte. Papierflieger zu falten stand noch einigermassen im Rahmen meiner begrenzten Fingerfertigkeit, aber mehr lag – und liegt auch heute – nicht drin. Schon nach wenigen Minuten schmerzten meine Finger und ich wusste nicht, wie ich diese Falt-Folterstunde heil überstehen würde.
Wir falteten damals ein Spiel. Es hiess Himmel und Hölle. Und es war für mich in erster Linie die Hölle. Nach einer Stunde, die meisten meiner Mitschüler:innen waren schon nach zehn Minuten fertig, hatte ich es geschafft. Doch mein Spiel sah wortwörtlich vielfältig aus. Es war keineswegs so perfekt und präzise gefaltet wie die anderen aus der Klasse. Immerhin: Man erkannte es auf den ersten Blick. War es hässlich? Ich finde schon. Aber was heisst schon hässlich, oder gar schön?
Nach der Schulstunde brachten wir das Himmel-und-Hölle-Spiel nachhause. Andere Mitschüler:innen zeigten es stolz ihren Eltern. Ich habe seither nie mehr Himmel und Hölle gespielt. Vielleicht vergilbt meine Faltkunst irgendwo in unserem Keller. Und jedes Mal, wenn ich ein Blatt Papier falten muss, regt sich Widerstand in mir drin. Ich habe mich entschieden: Falten – nein, danke!
Eigentlich schade, oder? Nicht, dass ich mein Faltspiel schönreden möchte… Aber es zeigt: Solch einfältige Aufgaben schüchtern uns ein, wir vergleichen uns mit den anderen. Dabei ist Vielfalt gross-artig! Der Schwerpunkt in diesem UND-Magazin ist dem Motto «Vielfalt – statt Einfalt» gewidmet. Wir bilden Vielfalt auf den folgenden Seiten ganz vielfältig ab: im Blumengarten, im Blutbuchenwald, im Dialektdschungel. Ich wünsche frohe Lektüre!
