Eine Welt ohne Geld? Ein Tandem fantasiert

Solange Sie Geld besitzen, können Sie vieles kaufen, was Sie sich wünschen. Wie aber sähe die Welt aus, wenn wir nur tauschen, nicht aber kaufen würden?

Wie wäre es, wenn wir nur tauschen würden? Bild: Noemi Porfido

Währung der Zukunft?

In unserem schnelllebigen Alltag wird Zeit zu einem kostbaren Gut. Freiwillig Zeit investieren in ein «Zeitvorsorge-System» – ein bedenkenswerter Ansatz.

Gaby Jordi (67)

Die Stichworte «Zeit schenken», «Zeit statt Zeug» oder «Tauschen statt kaufen» führen einen im «Netz» auf die Fährte einer anderen Art des Tauschhandels. Wikipedia definiert den Begriff «Tauschhandel» so: «Der Tauschhandel ist eine Form des Handels, bei der Waren oder Dienstleistungen gegen andere Waren oder Dienstleistungen getauscht werden, ohne die Verwendung von Geld».
Sind sich AnbieterIn und EmpfängerIn handelseinig, steht einem solchen Tausch nichts im Wege – vor allem kein Geld. Diese Handelsart ist kein neues Phänomen. Wenn in Krisenzeiten das Vertrauen ins Geld schwindet, hat der Tauschhandel Hochbetrieb.

«Wird Zeit zur Währung der Zukunft?», fragt Gaby Jordi. – Bild: Mariëlle Schlunegger

Häufig wird heutzutage Tauschhandel gleichgesetzt mit Flohmarkt. Hier hat der Kunde die Möglichkeit zu tauschen und den Preis auszuhandeln. Dabei sind die freiwilligen Engagements von Menschen im ehrenamtlichen Bereich wichtig. Immer wieder werden Anstrengungen unternommen, ein «Zeitvorsorge-System» auf die Beine zu stellen. Zum Beispiel stehen «junge Alte» Betagten unterstützend bei, um später für die geleistete Sozialzeit selber betreut zu werden. So wird Zeit statt Geld gespart für die Altersvorsorge. Sozusagen ein zeitverschobener Tauschhandel. In der Stadt St. Gallen besteht ein solches Projekt: www.zeitvorsorge.ch. Bei Strom-, Wasser-, Krankenkassenrechnungen sowie dem alltäglichen Einkauf beim Detailhändler wird es allerdings nichts mit dem Tauschhandel.
Am ehesten möglich ist dieser im Bereich von freiwilligen Leistungen, in die Menschen ihre freie Zeit investieren. In unserem schnelllebigen Alltag wird (freie) Zeit zum kostbaren Gut. Wird Zeit gar zur Währung der Zukunft? ☐


Heute zahle ich nicht, heute tausche ich nur

Manchmal frage ich mich, ob es möglich wäre, ohne Geld und nur mit Handel zu leben. Ich kann es ja einfach ausprobieren. Ein Tag in meinem Leben ohne Geld.

Vincent Engler (12)

Aufstehen, Zähne putzen, duschen, frühstücken: Für mich alles gratis, die Eltern bezahlen Zahnpasta, Duschmittel und Frühstückstee. Ich muss nur tun, was man von mir erwartet. Das ist für mich kein schwerer Tausch. Zur Schule gehen mit dem Fahrrad, das kostet mich Muskelkraft, aber dafür kein Fahrgeld. In der Schulpause fragt mich Bob: «Gibst du mir einen Franken, wenn ich zwanzig Klimmzüge nacheinander schaffe?» Ich: «Heute gibt’s kein Geld, weil ich heute nur tausche, also kriegst du meine Hochachtung.» Schon die erste Entäuschung, der Handel kommt nicht zustande. Später: O Schreck, die Bibliothekarin ruft mich zu sich, denn ich habe schon die zweite Mahnung verschlampt. Sechs Franken Busse! Jetzt bewährt es sich, dass ich Stammkunde bin, und ich darf ihr beim Einräumen der Bücher helfen, Schwein gehabt. Diesmal kam der Handel zustande. Heimweg: Lina behauptet, mit den neuen Bubble-Kaugummis könne man die grössten Blasen machen.

Einen Tag mal nur tauschen statt zahlen. Das versucht Vincent Engler. – Bild: Mariëlle Schlunegger

Der Kiosk liegt auf dem Heimweg aber Lina hat nur Geld für eigene Kaugummis. Der Kioskverkäufer lässt sich auf keinen Handel ein. Meine Mutter hat zu Mittag gekocht. Heute spüle ich das Geschirr. Meine Mutter freut sich sehr und will mir einen Franken schenken. Ich frage sie, ob sie nicht für mich zum Kiosk gehen kann, um Kaugummis zu kaufen. Die Mutter schüttelt verständnislos den Kopf. Sie weiss nichts von meinem Versuch. Wieder schief gegangen! Nachmittag: Aufgaben machen ist gratis. Lego spielen auch. Geschirrspülen nach dem Abendessen mag ich nicht mehr, schliesslich ist die Sache mit dem Franken ja nicht zustande gekommen. Fazit: Mit den richtigen Beziehungen und viel Verständnis kann ich ohne Geld leben. Dass es für Erwachsene auch so leicht möglich ist, bezweifle ich sehr, auch wenn Kaugummi und Wetten vielleicht nicht mehr so wichtig sind. Trotzdem werde ich in sechs Jahren meinen Versuch fortsetzen: eine Reise durch Europa möglichst ohne Geld – vielleicht nur mit den Einnahmen als Strassenmusiker? ☐


Mehr zum Schwerpunkt «Geld»

Geld regiert die Welt? Vielleicht – ganz sicher aber die Beiträge zu diesem Schwerpunkt. Die Redaktion hat sich im Frühling 2018 vertieft: In unser Geldsystem und ganz neue Ideen.