Macht Geld glücklich? Das sagt die Glücksforschung

Die Frage nach dem Glück wird heute auch wissenschaftlich gestellt. Die Glücksforschung sucht nach den Bedingungen des Glücks.

Das ist Alain. Er lebt mit vier Kollegen in einem Wald der Region Bern in einem Zelt. Unser Fotograf hat ihn und einen Kollegen beim Betteln vor einem Supermarkt getroffen und durfte ihn fotografieren. Alain sagt, er sei «zufrieden». – Bild: Walter Winkler

Die Frage, was glücklich macht, ist alt. Schon römische Philosophen im ersten Jahrhundert beschäftigten sich damit. Heute wird die Frage wissenschaftlich behandelt. Die Wissenschaft «Glücksforschung» ist noch jung und deshalb zum Teil widersprüchlich. Die Definition von Glück ist umstritten, die Methoden sind vielfältig. Doch ein paar Resultate können bereits als gesichert angesehen werden.
Der Glücksforscher Matthias Binswanger, Autor des vielgelesenen Buches «Die Tretmühlen des Glücks», geht davon aus, dass 50 Prozent eines glücklichen Lebens genetisch programmiert sind. Klima, Atmosphäre, Musik, überhaupt die Lebensfreude eines Volkes bestimmten zur Hälfte das Glück des Individuums. Doch wie ist es nun mit dem Geld? Ja, Geld macht glücklich, sagt die Glücksforschung, aber es geht nicht linear aufwärts. Bis zu einem gewissen Reichtum fördert Geld das Glück, dann aber nimmt die Wirkung zunehmend ab. Man spricht vom Gewöhnungseffekt. Wer zum Beispiel in Deutschland ein monatliches Einkommen von 15‘000 Euro hat, erlebt einen grossen Glückszuwachs, wenn der Betrag sich verdoppelt. Von hier an aufwärts hingegen nimmt die Wirkung ab, und irgendwo zwischen 80‘000 und 100‘000 Euro ist kein Glückszuwachs mehr spürbar.
Ein anderer Aspekt lässt aufhorchen: Ehrlich verdientes Geld macht glücklich. Wer sein Geld durch Ausbeutung, Unehrlichkeit oder Manipulation verdient, hat keinen Gewinn an Glück. Ähnlich hat sich Jean-Jacques Rousseau im 18. Jahrhundert geäussert: «Das Geld, das man besitzt, ist das Mittel zur Freiheit, dasjenige, dem man nachjagt, das Mittel zur Knechtschaft.» Ist doch tröstlich für alle, die sich über die Ungerechtigkeit der Welt beklagen!
Noch ein Ergebnis lässt uns aufhorchen: die Unterscheidung zwischen kurzfristigem und langfristigem Glück. An der Harvard-Universität in den Vereinigten Staaten läuft eine Studie zum «Langzeitglück» mit 724 Erwachsenen und ihren Kindern, nun seit über 75 Jahren. Das Ergebnis war in all den Jahren eindeutig: Nicht das Geld macht langfristig glücklich, nicht einmal die Gesundheit, sondern mit grossem Abstand sind es die sozialen Beziehungen. Dabei ist nicht entscheidend, wieviele FreundInnen und Verwandte jemand hat. Es genügen für das langfristige Glück ein paar Menschen, die uns so akzeptieren und lieben, wie wir sind und uns die Gewissheit geben, in Krisenzeiten nicht allein zu sein. ☐


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