Sensibel und lärmgeplagt ein Audiologe im Gespräch

Unsere Ohren werden heute oft dauerbeschallt. Zum Teil freiwillig, sehr oft auch unfreiwillig sind wir verschiedenartigen und unterschiedlich lauten Geräuschen ausgesetzt. Der Hörgeräteakustiker Martin Krebs gibt Auskunft.

René Mathys (64), Irène Sprenger (66)

Was hesch gseit…? Wenn wir nicht mehr gut hören, braucht’s Hilfe vom Profi.
– Bilder: Walter Winkler/Mariëlle Schlunegger

Was ist Lärm? Gibt es eine absolute Grösse oder handelt es sich um rein individuelle Empfindungen?
Martin Krebs: Ob ein Geräusch als störend und unangenehm und somit als Lärm empfunden wird, ist individuell. Um festzuhalten, ab wann Lärm gefährlich wird für das Gehör, brauchen wir bestimmte Messtechniken. Die Grenze zum Lärm ist nicht einfach zu bestimmen. Relevant sind Lärmdosis oder Expositionsdauer. Wer beispielsweise während acht Stunden einem mittleren Lärmpegel von über 85 Dezibel (dB) ausgesetzt ist, braucht ein Gehörschutzmittel. Dauerlärm stellt verschiedenste Anforderungen an den Gehörschutz. Im Extremfall wird zum Beispiel eine Kabine zur Abkapselung nötig, sei es, um die Lärmquelle Maschine zu isolieren oder die Person, welche die Maschine bedient. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva untersucht Betriebe mit hoher Lärmemission regelmässig in Hinblick auf Einhaltung der Lärmschutz-Verordnung. Auch das Freizeitverhalten ist heute vielfach problematisch, die Leute lassen sich oft dauerbeschallen – das Gehör kann sich so nicht mehr erholen. Im Bezug auf Lärmempfindlichkeit und Schädigung durch Lärmbelastung sind die Menschen nicht gleich. Deshalb sind die Anforderungen an den Schutz des Gehörs individuell. Bereits kurzzeitiger Lärm kann eine Hörschädigung verursachen, dessen muss man sich bewusst sein!

Sie werden mit lärmbedingten Hörstörungen konfrontiert. Gibt es dabei reversible und irreversible?
Lärmige Freizeitaktivitäten, Feuerwerk, Nägel-Einschlagen – je nach Untergrund kann dies einen lauten Knall verursachen – und vieles mehr ist mögliche Ursache bleibender Schäden. Wenn die Behandlung nach einem Knall- oder Schalltrauma möglichst unmittelbar erfolgt, erholt sich das Gehör in der Regel wieder, aber nicht in jedem Fall. Als Folge eines Konzertbesuches können ein Pfeifen im Ohr, ein sogenannter Tinnitus, oder auch eine Hörminderung auftreten – beides vorübergehend oder bleibend.

«Blindheit trennt die Menschen von Dingen – Gehörlosigkeit trennt die Menschen von den Menschen.»
Helen Keller, 1880-1968, amerikanische Schriftstellerin und Sozialaktivistin, selber taubblind

Welches sind Ursachen für lärmbedingte Hörprobleme?
Impulslärm, durch Schiessen oder Maschinen, Dauerbelastung, sehr laute Musik, Holz sägen oder spalten. Auch laute Musik ab Kopfhörern kann eine Schwellenbelastung hervorrufen. Im Normalfall hat das Gehör die Fähigkeit, sich im Schlaf wieder zu erholen. Generell ist unser Leben in allen Aspekten lauter geworden.

Wird Lärm von Menschen, die Hörgeräte tragen, anders empfunden als von anderen?
Für Hörbehinderte ist Lärm ein riesengrosses zusätzliches Problem. Man unterscheidet hier zwischen Nutz- und Störschall. Das, was der Gesprächspartner sagt, ist Nutzschall, der Rest stört. Hörbehinderte bekommen viel nicht mit und fühlen sich dann ausgeschlossen – das kann tiefgreifende Auswirkungen auf die Psyche dieser Menschen haben.

Bild: Mariëlle Schlunegger

Mir fällt die hohe Dichte an Hörgeräte-Geschäften auf. Warum ist das so?
Es gibt wohl mehr Optiker als Hörgeräte-Akustiker. Obwohl sich die Situation langsam verbessert, entspricht der Anteil an hörbehinderten Menschen, die mit Hörsystemen versorgt sind, längst noch nicht der Anzahl Menschen, welche Hörprobleme haben und von einer Hörhilfe profitieren könnten. Oft ist unklar, weshalb eine solche abgelehnt wird – Angst vor Stigmatisierung, Hemmungen, kosmetische Probleme…

Sind die Hörgeräte eigentlich heute komplizierter?
Je nach Art und Ausmass der Hörbeeinträchtigung muss man den richtigen Hörhilfe-Typ einsetzen. Es gibt verschiedenste Hörsysteme, technisch komplexe Geräte und zum Teil in der Bedienung etwas anspruchsvoll. Die Betroffenen benötigen zum Teil Hilfe um die Funktion sicherzustellen. An die Geräte und den richtigen Umgang mit ihnen muss man sich gewöhnen. Wichtig ist auch zu wissen, dass mit Hörsystemen das Gehör nicht zu hundert Prozent wiederhergestellt werden kann. Eine gute Versorgung mit Hörgeräten bedeutet immer eine Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten von hörbeeinträchtigten Menschen und ihrer sozialen Situation und somit ebenfalls einen Gewinn für ihr Umfeld. Dieses ist immer auch mitbetroffen und bekommt schon mal vorgeworfen: «Ich würde schon gut hören, wenn ihr nur laut genug reden würdet!».

Welche Möglichkeiten gibt es, ausser der Versorgung mit Hörgeräten?
Es gibt verschiedene Arten von Hörstörungen: Schall-Leitungsstörungen mit Ursache im Mittelohr, Schall-Empfindungsstörungen mit Ursache im Innenohr – und sogar kombinierte, deren Ursachen sowohl im Innen- als auch im Mittelohr liegen. Innenohrschwerhörigkeiten begegnet man in aller Regel nur mit Hörgeräten. Je nach Art der Mittel- ohrprobleme sind auch Operationen möglich. Die Schall-Verarbeitung, geschieht im Gehirn. Bei Ertaubung im Erwachsenen-Alter besteht die Möglichkeit, ein sogenanntes Cochlea-Implantat im Innenohr einzusetzen und das Hörvermögen durch elektrische Stimulation des Hörnervs zu verbessern.
Das Hörvermögen ist von zentraler Wichtigkeit für die Kommunikation: um zu verstehen, sich verständlich zu machen, sich verstanden zu fühlen. Wenn sprachliche Kommunikation nicht (mehr) möglich ist, können einschneidende Probleme für das psychische Wohlbefinden einer Person entstehen. ☐


Zur Person

Martin Krebs (61) absolvierte nach der Grundausbildung als Elektriker eine Fachausbildung zum Hörgeräte-Akustiker sowie eine Zusatzausbildung als Pädakustiker, speziell für die Arbeit mit Kindern. Seit über 30 Jahren arbeitet er in der Universitätsklinik für Hals- Nasen und Ohrenkrankheiten am Inselspital Bern. Das Audiologie-Team besteht aus dem Stationsleiter Professor Dr. Martin Kompis, Herrn Krebs sowie Frau Meyer und Frau Bernath, beide ebenfalls ausgebildete Hörgeräte- und Pädakustikerinnen. (rma)


Auswirkungen von Lärm auf die Gesundheit

Von der lautlosen Hörschwelle (bei 0 dB festgelegt) über Blätterrauschen (10-20 dB), normale Unterhaltung (60 dB), Strassenlärm (80 dB), Motorsäge (100 dB), Disco (110 dB) steigen die Dezibel-Messungen bis zur Schmerzgrenze von 120 dB und dem Lärm von Explosionen, startenden Düsenjets und extrem lauten Rockkonzerten (130 dB). Wichtig dabei: Diese Skala ist nicht linear, sondern logarithmisch zu verstehen. Das heisst: 10 dB sind 10 mal lauter als 0 dB, 20 dB jedoch nicht etwa 20, sondern 100 mal lauter als 0 dB, 30 dB 1000 mal und so weiter. Unsere Welt wird immer lauter, und starke Lärmbelastungen machen auf Dauer krank. So erstaunt es kaum, dass neben direkten Auswirkungen auf das Gehör auch die Zahl lärmbedingter körperlicher und psychischer Erkrankungen zunimmt; beispielsweise Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Konzentrationsmangel, Lernstörungen, Depressionen, Angstzustände. Laut Viktor Weichbold (Philosoph, Theologe) und Arzt an der Klinik für Hör- Stimm- und Sprachstörungen der Uni Innsbruck, induziert störender Lärm auch aggressive Impulse und wird in Zukunft eine bedeutende Rolle spielen als Ursache von Gewalt. Viele Tiere verfügen über ein sensibleres Gehör als Menschen. Sie leiden zum Teil erheblich unter Lärm, versuchen den Quellen auszuweichen oder werden in ihrem Verhalten in einer Weise gestört, die Folgen auf ihre Überlebens-Chanchen haben kann. isp


Weitere Infos

www.suva.ch
www.laerm.ch


Schwerpunkt Lärm

Wie lärmen Alt und Jung? Welcher Lärm stört Alt und Jung am meisten? Wie nehmen wir Lärm überhaupt wahr? Der Schwerpunkt im Winter18.

Bild: Manuel Meister