Siderato holt die Sterne vom Himmel

Mathematiker und Zauberkünstler. Peter Mürner – Siderato – ist beides in einer Person. Er befindet sich mit Taschenrechner und Zauberhut immer mal wieder in einem Rausch, wie er selber sagt. Wir haben ihn zum Gespräch getroffen.

Siderato freut sich auf das Interview. – Bild: Mariëlle Schlunegger

Peter Mürner, als Zauberkünstler Siderato, erscheint mit seinem Arztköfferchen. Behutsam stellt er es auf den Tisch. Gespannte Aufmerksamkeit allerseits. Verschmitzt lächelnd entnimmt er dem geheimnisvollen Köfferchen ein Kartenspiel – oder ein Seil – oder zwei Würfel, je nachdem, welches seiner Zauberkunststücke er vorführen will. Im Lauf der letzten 30 Jahre hat er Hunderte von Kunststücken eingeübt, registriert und dokumentiert. Monatlich lernt er eines oder zwei dazu. Diesmal erklärt er das Zusammenspiel der Generationen anhand eines  Seils. Die zwei Enden bedeuten Jung und Alt. Er verknüpft die Seilenden als Symbol für  Zusammenarbeit, die so harmonisch wird, dass der Knoten – wie von Zauberhand – verschwinden darf. Jetzt bildet das Seil einen Ring. Ungläubiges Staunen.

Peter Mürners Laufbahn als Zauberkünstler hat angefangen mit Vorführungen für seine Kinder, an Familienfeiern und Kindergeburtstagen. Heute kommen viele Anfragen für verschiedene Anlässe. Annehmen kann er nur etwa einen Drittel, denn er ist noch anderweitig beschäftigt, unter anderem als Dozent für Mathematik.

Wie lässt sich ein solcher Mann mit dem Thema Rausch in Verbindung bringen? Er erzählt von berauschenden Erlebnissen in seinem Leben, von Maria, seinem ersten Schulschätzeli in der ersten Klasse, vom rauschenden Ball als Kadetten-Hauptmann, vom Freifach Astronomie unter dem Thema  «Sind wir allein?», vom ersten kleinen «Räuschlein» in der Studentenverbindung «Halleriana Bernensis», hervorgerufen durch den Genuss von ein, zwei «Bierchen».

Fast nichts ist unmöglich

Er erklärt: «Ansonsten haben aber meine Rauscherlebnisse nichts zu tun mit Rauschmitteln. Unter Rausch verstehe ich ein emotionales Hochgefühl. Dass ich als Mathematiker auch ein Zauberkünstler sein kann, so etwas Abstraktes zum einen und Expressives zum andern, können viele Leute nicht verstehen. Ich erlebe jedoch bei beiden Tätigkeiten Rauschzustände, überdies auch noch am Fernrohr bei der Beobachtung der Milchstrasse, der Jupitermonde, der Saturnringe oder des Andromedanebels.» In den Zauberkünstler Siderato verwandelt  sich Peter Mürner durch das Aufsetzen des Zauberhutes.

Magischer Moment mit Hut und Seil. – Bild: Homepage Siderato

«Von da an bin ich in einer andern Rolle und glaube daran, dass ich  Zauberkunst vorführen kann, die beim Zuschauer und bei der ZuschauerIn die Illusion hervorruft, dass alles möglich ist, dass Wunder passieren. Wenn ich in die Augen der Kinder und Erwachsenen sehe, dieses Staunen, die Überraschung, dann bin ich in einem Hochgefühl. Ausser dem Hut trage ich keine Verkleidung. Im Sommer trete ich mit kurzen Ärmeln auf. Ich könnte alle meine Kunststücke in der Badehose vorführen.»

Die Gratwanderung bestehe darin, die Menschen zwar zu täuschen, aber unterhaltend und freundlich zu täuschen. Der Intellekt müsse Forfait geben, denn er befinde sich stets auf der falschen Fährte, habe kaum eine Chance, zu verstehen. Siderato will, dass sich die Leute, die auf die Bühne kommen, wohl fühlen, nicht übertölpelt.

Siderato will verzaubern. Wenn die ZuschauerInnen mit dem Herzen dabei sind, aufmerksam mit den Sinnen auf den Moment fokussiert, vergessen sie die Alltagssorgen und sind glücklich.

«Ob der Rausch, den ich selber spüre, sobald ich auf die Bühne komme, auch die ZuschauerInnen erfasst, merke ich bereits bei der ersten Nummer. Der Applaus zeigt mir, dass ich sie erreicht habe. Und wenn sie dann bei der dritten Nummer vor Verblüffung vergessen zu applaudieren, ist das auch gut.»

Auf die provokative Frage, ob er süchtig sei nach der Zauberei, erklärt er gelassen: «Nein, das nicht, aber ich habe die Kunststücke mit grosser Anstrengung erarbeitet und freue mich auf jede Aufführung.» Zauberkunststücke sind in Büchern der Geheimliteratur, die nur Mitgliedern des Magischen Rings zugänglich sind, beschrieben. Schon nur zu begreifen, wie alles funktionieren soll, ist harte Arbeit. Er trainiert zuhause immer vor dem Spiegel, im Scheinwerferlicht, oft vor der Filmkamera. So sieht er, was das Publikum sieht. «Und wenn ich den Eindruck habe, der dort drüben könne ja richtig zaubern, dann weiss ich, dass es ein gutes Kunststück ist. Die Präsentation ist die Belohnung für den grossen Aufwand.»

Auftritte im kleinen Kreis nennt er Mikromagie, die Salonmagie eignet sich für grössere Geburtstagsfeiern und Hochzeiten mit um die 50 Personen und die Bühnenmagie für abendfüllende Programme oder Moderationen vor grossem Publikum. «Ich habe sehr gern Mikromagie. Das ist unmittelbar. Da passiert alles genau hier, im Abstand von einem halben Meter. Schön ist auch Bühnenmagie wie letzthin im Kursaal vor 1700 Leuten, mit zwei Grossleinwänden hinter mir. Ich stehe da und weiss: Jetzt bin ich dran.»

Peter Mürner spricht über sein Gefühl auf der Bühne. – Bild: Mariëlle Schlunegger

Üben, üben und nochmals üben

In einem angenehmen emotionalen Rauschzustand befindet sich Peter Mürner, wenn er viel Zeit für ungestörte anspruchsvolle Aktivitäten zur Verfügung hat. Für einen Mathematiker sei das speziell wichtig. Schon Euklid habe gesagt, es gebe keinen Königsweg in der Mathematik. «Keiner wird in der Sänfte ans Ziel getragen. Beim Lösen eines mathematischen Problems oder bei der Lektüre eines anspruchsvollen Beweises bin ich allein. Das ist eine einsame Tätigkeit. Als Forscher kann ich in einen Rausch hineinkommen. Da gehe ich nicht ins Bett, weil ich dranbleiben will, weil es mir keine Ruhe lässt, bis ich am Ziel bin.»

Hierin sieht Peter Mürner die Gemeinsamkeiten von Mathematik und Zauberkunst: Das Verbohrtsein in etwas, das Erfordernis zu üben, üben und nochmals üben. «Das Kunststück mit den Metallringen, da übst du ein halbes Jahr, und die Ringe fallen immer wieder runter, immer wieder. Ich übe auf dem Bett, sonst gehen die Ringe kaputt, zerschlagen. In der Mathematik genau gleich. Irgendeiner hat ja diesen Beweis bereits erbracht. Wenn ich in einem mathematischen Artikel Bemerkungen lese wie: `Nach kurzem Nachdenken merkt man, …`, `Wie leicht zu sehen ist, …`, `wie leicht erhellt, …`, dann weiss ich, dass das Verständnis äusserst herausfordernd ist.»

Dann das Heureka-Gefühl, das «Hurra, ich hab`s gefunden!», wenn das Ziel erreicht ist.

Siderato im Rausch, als Zauberkünstler, als Mathematiker und als ein Mensch, der den Nachthimmel beobachtet. Sein Name leitet sich übrigens ab vom lateinischen sidera, also Sterne: Siderato holt für uns die Sterne vom Himmel.


Zur Person

Siderato, privat Peter Mürner, Prof. Dr. phil. nat., lebt in Oberhofen. Er ist Dozent für Mathematik an der Privaten Hochschule für Wirtschaft in Bern, Präsident der Fondation Johanna Dürrmueller-Bol, Experte für Mathematik – Maturaprüfungen. Und er erteilt Mathemagie- Kurse für besonders begabte Kinder. Ausserdem interessiert er sich für Astronomie, führt einen Haushalt und treibt Sport.

Bild: Mariëlle Schlunegger