Von falschen Glücksgefühlen

Thomas Heller verbrachte sein halbes Leben in der Drogenszene. Lange blieb er in der Abhängigkeit gefangen; aber er schaffte es, davon loszukommen. Seine Erfahrungen teilt er heute mit Jugendlichen, die er vor dem bewahren will, was er erlebt hat.

Thomas Heller, bereit zum Interview. – Bild: Darleen Pfister

Niemand sieht Thomas Heller (54) an, was er alles durchgemacht hat. Fit, gepflegt und fröhlich kann er heute sein Leben geniessen, was keine Selbstverständlichkeit ist.

Mit 14 Jahren begann er mit dem Konsum legaler Drogen, die bei Kollegen auf dem Tisch herumlagen. Er konnte ungehindert davon probieren, zuerst Alkohol und Zigaretten. Er war blauäugig und wurde innert kurzer Zeit nikotinsüchtig. Seine Eltern konsumierten weder Alkohol noch Zigaretten und deshalb wurde nie über das Thema Sucht gesprochen.

Für viele Menschen wird ihre Droge irgendwann langweilig. Sie brauchen einen stärkeren Kick. Zu diesen Leuten gehörte auch Thomas. In einem Buch las er, dass Heroin sehr schlimm sei, Cannabis und LSD dagegen kein Problem. Er merkte nicht, dass die Autorin selbst von allen drei Substanzen abhängig war, dies aber erst beim Heroin festgestellt hatte.

Cannabis, LSD und Heroin

So glaubte Thomas alles, was im Buch stand. Ohne grossen Aufwand konnte er bei einer Bekannten Cannabis probieren. Ab dann sah Thomas keine Grenzen mehr und schlitterte in die Abhängigkeit hinein. «Wenn mich etwas packt, mache ich es nicht halb, dann gebe ich Vollgas. So war das auch bei der Cannabis-Sucht.»

Auch LSD, das laut Buch ja nicht so schlimm sei, probierte Thomas. Und auch davon wurde er süchtig. Die Folgen waren psychotische Zustände und Kommunikationsprobleme.

In den 80ern kam Heroin auf, aber für ihn war das zunächst kein Thema, denn er war ja vorgewarnt. Trotzdem probierte er es aus. «Durch die Drogen war ich so selbstherrlich geworden, dass ich dachte, ich hätte sowieso alles unter Kontrolle.»

Thomas wurde unmittelbar von der Heroinsucht gepackt. Er realisierte seinen Zustand aber erst, als er mit 17 Jahren in die Psychiatrie eingeliefert wurde.

Danach waren Aufenthalte in der Klinik keine Seltenheit. Manchmal meldete er sich selber an. So konnte er nach zwei Tagen sagen: «Mir geht’s gut, ich kann gehen!»  Auch das Gefängnis sah er von innen. Aber nichts stoppte Thomas’ Suchtverhalten. Einmal unternahm er mit andern Abhängigen einen Versuch zur Selbsttherapie. Sie reisten zusammen nach Sizilien mit dem Ziel, von ihrer Sucht wegzukommen. Aus dem geplanten Entzug wurde nichts, weil die Kollegen leider wussten, wie sie zu Stoff kommen konnten.

Unsere Autorin mit Thomas Heller.- Bild: Darleen Pfister

Die Beschaffung bedeutete Dauerstress. Nach einer abgebrochenen Lehre als Bäcker und Konditor arbeitete Thomas als Hilfsarbeiter. Da er den Drogenkonsum finanzieren musste, schmuggelte und dealte er nebenbei: «Ich musste kriminell werden. Selbst wenn ich ein dickes Konto gehabt hätte, wäre das innerhalb kürzester Zeit leer gewesen. Ich hatte Freiheit gesucht, kam aber in einen verfluchten Alltagstrott hinein, viel schlimmer, als ich je erwartet hätte.»

Thomas konnte in seinem Rausch keine richtigen Gefühle mehr empfinden. Hunger, Trauer und Empathie für die Mitmenschen traten gegenüber der Sucht in den Hintergrund. Freude empfand er jeweils, wenn die Schmerzen des Entzugs wieder verschwanden.

Ohne physische und psychische Schäden kommt kein Abhängiger davon. Thomas wurde mehrmals in kritischem Zustand ins Spital eingeliefert. In solchen Zeiten machte sich seine Mutter starke Selbstvorwürfe. Sie sah einen Zusammenhang zwischen seiner Abhängigkeit und ihrer Scheidung. Dies beschäftigte ihn aber nicht so stark.

Die Zeit verging. Die Sucht beherrschte sein Leben. Aber dann tat er einen ersten grossen Schritt; er nahm an einem Methadonprogramm teil. Methadon ist eine chemische Ersatzdroge. Dadurch trat eine gewisse Stabilität ein. Er war aber nicht frei von Drogen. Immer wieder konsumierte er Kokain oder Cannabis.

Thomas erlebte wiederholt Familien, in denen die Kinder das ganze Drama der Drogenszene miterleben mussten, und er nahm sich vor, dies einem eigenen Kind niemals anzutun. In der Zeit des Methadonprogramms kam seine Tochter zur Welt und zum ersten Mal merkte Thomas, dass er nicht nur sich selber, sondern auch seine Mitmenschen schädigte. Auch wenn er seine Tochter nicht misshandelte, stand sie nicht immer an erster Stelle.  «Wenn ich ganz wenig Heroin in der Tasche hatte, musste meine Tochter um 19 Uhr zu Bett gehen, anstatt wie gewohnt um 20 Uhr. Ich merkte, dass mir das Gift wichtiger war als sie.»

Ein neuer Lebensabschnitt

Er merkte, dass sich an seinem Leben etwas ändern musste. In der Verzweiflung besann er sich auf seine christliche Grunderziehung und die Geschichten über Jesus. Durch das Beten spürte er die Kraft Gottes. Seitdem habe er kein Verlangen nach den Drogen mehr.

Aus psychologischer Sicht sagt man: Einmal süchtig, immer süchtig. Aber bei Thomas ist das nicht der Fall. Er wird von manchen Menschen von oben herab angeschaut, auch wenn er heute ein anderer Mensch ist. Um seine Erfahrungen weiterzugeben, hat Thomas mit einem Kollegen einen Verein gegründet. Sie klären über die Gefahren des Drogenkonsums auf. Er besucht Klassen, Firmen oder Elternabende und erzählt offen von seinen Erlebnissen als Drogenabhängiger.

Thomas ist einer von wenigen, die es geschafft haben, den Drogen den Rücken zu kehren. Er weiss sein heutiges Leben zu schätzen, aber er kennt auch die andere Seite. «Mir ist bewusst, dass ich in der Zeit, als ich süchtig war, der Gesellschaft nicht viel Positives gebracht habe.» Aber jetzt setzt er sich umso mehr ein, indem er anderen von seinen Erlebnissen erzählt. Deswegen engagiert er sich bei sozialen Projekten.