TABUlarasa

Ist da wer komplett tabufrei? Wohl kaum. Für den Schwerpunkt «Tabu» überlegen sich die KernredaktorInnen, was für sie persönlich tabu ist. Von Tatoos bis Trump.

KR-3983

Heinz Gfeller (67)

Liebe LeserInnen, wir hätten da ein paar Fragen an Sie. Wie hoch ist Ihr Lohn oder Ihre Pension? Oder: Wie viel Geld haben Sie monatlich zur Verfügung? Brauchen Sie es auf? Noch zugespitzter: Wie gross ist Ihr Vermögen?

Bild: zvg/Stapferhaus
Wieviel Geld haben Sie? – Bild: zvg/Stapferhaus

Hätten Sie mir all das einfach so verraten? Oder wie hätten Sie mich mit meiner Fragerei gebremst? Darauf wäre ich nämlich gefasst gewesen – zumindest: Wozu fragt der das? Ausgegangen bin ich von der alten Vorstellung, dass SchweizerInnen nicht übers Geld, über Besitz sprechen. Das seien Tabu-Themen. Stimmt das noch; stimmt es für Sie? Und in welchem Rahmen, wem gegenüber?

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Tabus: Dieses Thema haben wir uns für die Winterausgabe 2017 vorgenommen. Eine Gelegenheit, Andere zu befragen, aber vor allem auch sich selber. Wir von der Kernredaktion machen den Anfang.

Schmucklos

Verrät sein Tabu: Kernredaktor Heinz Gfeller. – Bild: Manuel Meister
Verrät sein Tabu: Kernredaktor Heinz Gfeller. – Bild: Manuel Meister

Ich vertraue Ihnen ein privates Beispiel an – tabu sind nicht nur Dinge, die man nicht sagt: Ich lasse mir mein Gesicht nicht anmalen, meinen Körper nicht sonstwie «schmücken». Harmlos wohl, aber es sitzt tief. Wir alle kennen Ähnliches. Oder sieht sich jemand als ganz tabufrei?

Hemmungslos

Berichtet über ein Tabu: Kernredaktorin Livia Thurian. – Bild: Jana Daepp
Berichtet über ein Tabu: Kernredaktorin Livia Thurian. – Bild: Jana Daepp

Livia Thurian (22)

Meine Kollegin und ich sassen lernend im Manora-Restaurant. Fleissig wie die Bienen, war es doch unser allererstes Semester im Studium. Ängstlich-aufgeregt auf die bevorstehende Prüfung hin erklärten wir uns gegenseitig die wichtigsten Konzepte aus einem dicken Schunken. Da kam eine Alte, setzte sich an den Tisch nebenan und starrte. Und starrte. Und starrte… Ohne Hemmungen musterte sie jede unserer Bewegungen. Ich hatte mich angeregt mit meiner Kollegin unterhalten, als ich plötzlich den penetranten Blick bemerkte. Es wurde richtig unangenehm weiterzulernen. Als wir uns ernsthaft überlegten, den Tisch zu wechseln, liess die Alte endlich von uns ab. Starren, das die Grenze der Intimsphäre überschreitet – für mich ein Tabu!

Hüllenlos

Das Tabu von Kernredaktorin Irène Sprenger. – Bild: Lynn Knobel
Das Tabu von Kernredaktorin Irène Sprenger. – Bild: Lynn Knobel

Irène Sprenger (65)

Es war Sommer; ich radelte mit einer Freundin auf einer Tour durch die Berge. Da erschien vor uns ein wunderschöner See. Baden war unbedingt angesagt – den Umständen entsprechend halt in den «weissen Badehosen». Wie wir, bei der Kälte des Bergwassers, auch wieder aussteigen wollten, kam just eine Wandergruppe daher. Wären Sie aus dem See ausgestiegen? Wir jedenfalls nicht!

Losgelassen

Nennt sein Tabu: Kernredaktor Elias Rüegsegger. – Bild: Jana Daepp
Nennt sein Tabu: Kernredaktor Elias Rüegsegger. – Bild: Jana Daepp

Elias Rüegsegger (22)

Die Inkarnation des Tabu-Bruchs ist Präsident der grössten Demokratie der Welt geworden. Ein kaum zu überbietender Tabubruch. Überboten wird er nur von Donald Trump «himself» und dies immer wieder. Ein Tabubruch jagt den nächsten. Die Welt beobachtet akribisch seine mit brachialer Leichtigkeit in die Welt gesetzten Behauptungen. Hetze gegen Frauen, MuslimInnen und JournalistInnen, gegen AkademikerInnen, PolitikerInnen und KünstlerInnen, gegen Arme, «Eliten» und Behinderte. Tabubrüche haben meist was Gutes – sie rütteln auf, dachte ich lange. Tabus sind offensichtlich nötig – sie wahren die Menschlichkeit, finde ich nun, Achtung und Anstand, Recht und Rücksichtnahme. Was ist daraus geworden? Arroganz und Arschlochigkeit. Rache und Rüdheit. Dieser abgründige Tabubruch fördert zunehmende Lähmung und fordert zunehmendes Engagement.