Über den Kuppeln von Jerusalem

Über den Kuppeln von Jerusalem

Der pensionierte, aber im interreligiösen Dialog weiterhin aktive Pfarrer Christoph Knoch hat mit dem Historiker und Archivar Jakob Eisler aus Haifa ein eindrückliches Buch über Jerusalem herausgegeben. Fotografische Rundblicke von einst und heute erzählen 120 Jahre Bau- und Religionsgeschichte der Heiligen Stadt.

Während zweier Zeitepochen – 1898/1910 und 2012/2022 – entstanden fotografische Rundblicke von Jerusalem, die von gleichen Ausgangspunkten aus aufgenommen wurden. Sie ermöglichen in der Gegenüberstellung nicht nur spannende Erkenntnisse über die Baugeschichte Jerusalems und seiner Umgebung, sie sind auch Zeugnisse einer Stadt, in der verschiedene Religionsgemeinschaften – aller Spannungen zum Trotz – weiterhin benachbart zusammenleben.

Cover des Buches mit den Kirchtürmen der Dormitio-Abtei und der Erlöserkirche
Bild: Privat

Nachhaltiger Fund

Als Christoph Knoch als Bub bei seinem Grossvater Theodor Zimmermann in Bodelshausen bei Tübingen Ferien verbringen durfte, schlief er im Studierzimmer des Grossvaters unter dem Dach, wo er eines Tages ein Buch entdeckte, das ihn auf Anhieb faszinierte und bis heute begleitet: «Jerusalem, Rundblick vom Turme der Erlöserkirche» ist ein einmaliges, ausfaltbares Fotobuch mit Bildern, ein Leporello des deutschen Fotografen Bruno Hentschel. Dieser hatte vom interreligiösen «Jerusalemer Zweigverein des Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas» den Auftrag erhalten, 1898 noch kurz vor der Eröffnung der Kirche vom hohen Baugerüst aus einen 360-Grad-Rundblick von Jerusalem zu erstellen. Diese einzigartigen Aufnahmen wurden im gleichen Jahr in zwei verschiedenen Ausgaben publiziert, von denen es heute nur noch wenige Exemplare gibt. Theodor Zimmermann, ein Pfarrer mit grosser Jerusalembegeisterung, erwarb ein Exemplar, das er später seinem Enkel Christoph vermachte.

Die Erlöserkirche befindet sich mitten in der Altstadt von Jerusalem, in der Nähe der Grabeskirche und am Ende der Via Dolorosa. Sie ist eine deutsche evangelische Kirche, die 1898 nach fünfjähriger Bauzeit von Kaiser Wilhelm II. im Rahmen seiner Palästinareise eingeweiht wurde.

Rundblicke von den Türmen der Erlöserkirche und der Dormitio-Abtei

Über vier Jahrzehnte später entschloss sich Knoch, unterdessen selber Pfarrer, die Turmplattform der Erlöserkirche in Jerusalem zu besteigen, um vergleichende Panoramafotos zu erstellen. Knoch hatte es, was Fotoausrüstung und Technik anging, einiges einfacher als sein Vorgänger Hentschel, allerdings durfte er nicht höher als bis zur Aussichtsplattform des Turmes steigen. Auch wenn bis heute nicht genau geklärt ist, welchen Apparat der Leipziger Fotograf für seine Aufnahmen zur Verfügung hatte, ist doch bekannt, dass die damaligen Modelle gross und schwer waren. Hentschel besass glücklicherweise auch eine kleinere Zweitkamera. Mit Erlaubnis des verantwortlichen Architekten bestieg er damit das Gerüst bis über die Höhe der Turmspitze. Von hier aus hatte er rundum freie Sicht auf die Kuppeln der Stadt, ideal für ein Panoramabild der Jerusalemer Skyline.

Einen ebenso guten Aussichtsort wie die evangelische Erlöserkirche bietet die katholische Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg, die ganz in der Nähe des Grabes von König David steht. Auch von dort gibt es alte Panoramafotos, ohne dass der Name des Fotografen bekannt ist. Knoch, dem die Benediktinerabtei bereits aus einem längeren Studienaufenthalt bestens bekannt war, entschloss sich ebenfalls, vom prominenten Turm des Klosters aus vergleichende Fotografien herzustellen, mit einem Blick auf die Heilige Stadt, sozusagen von katholischer Warte aus.

Wer ist Christoph Knoch?
Christoph Knoch, 1957 in Brackenheim bei Heilbronn geboren, studierte Theologie in Tübingen und absolvierte das DAAD-Studienjahr der Dormitio-Abtei in Jerusalem. 1980 wechselte er an die Uni Bern, wo er seine zukünftige Frau Gaby Mund, frühere Direktorin des Jüdischen Museums der Schweiz, kennenlernte und mit ihr eine Familie gründete. Christoph Knoch betreute als Pfarrer 16 Jahre lang das Ökumenische Zentrum Langendorf, anschliessend war er über 20 Jahre in der Kirchgemeinde Muri-Gümligen tätig, u. a. als Medienpfarrer. Seit Jahrzehnten engagiert er sich im interreligiösen Dialog, schreibt Artikel fürs «reformiert.» und andere Plattformen und fotografiert leidenschaftlich. Einst Präsident der CJA Bern, ist Knoch heute Vizepräsident von IRAS COTIS, der Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft der Schweiz, und im Stiftungsrat von Mission 21 in Basel.

Bilder im Vergleich

Die Gegenüberstellung der alten, äusserst scharfen Schwarz-Weiss-Bilder mit den modernen Farbpanoramen erlaubt Einblicke sowohl bezüglich Bewahrung wie Veränderungen der Stadtarchitektur und deren Umgebung. Gewisse Kirchen und Klöster, die auf den alten Fotografien noch gut zu erkennen sind, verschwinden komplett auf den modernen Bildern hinter Neubauten. Viele Gebäude sind hinzugekommen. Auch die Kriege haben mehr oder weniger sichtbare Spuren hinterlassen: Die grossen Kuppeln der beiden Synagogen «Tiferet Israel» und der heutigen «Churva» (Ruinen-Synagoge) unterscheiden sich im Bildervergleich nur wenig, obschon es sich bei der zweiten Fotoserie um Neubauten handelt. Die von Hentschel fotografierten Synagogen wurden 1948 von der jordanischen Armee gesprengt und erst in den letzten Jahrzehnten neu aufgebaut. Knochs Bildersammlung hat Carlos Prus, dem leitenden Architekten beim Wiederaufbau der Tiferet-Israel-Synagoge, sehr geholfen, die Kuppel möglichst nahe am Original rekonstruieren zu können.

Den beiden Autoren ist mit dem umfassenden Fotoband eine beeindruckende visuelle Erzählung der Stadtgeschichte Jerusalems aus architektonischer und religionsgeschichtlicher Perspektive gelungen. Zusätzlich erfährt man einiges über Kameratechniken, Wallfahrten, christliche Präsenz in Jerusalem und über die Biografie Hentschels, dessen historische Bilder ein ganzes Archiv füllen.

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