Zwischen Heimat und Weltbühne

Aus dem abgelegenen Turbachtal bei Gstaad hinaus in die Welt: Reto Reichenbach hat sich mit Talent und Hingabe einen Namen als Pianist, Pädagoge und Solist gemacht. Trotz internationaler Erfolge bleibt er seinen Wurzeln treu.

Reto Reichenbach, Pianist aus dem Turbachtal bei Gstaad, erblickte am 20. November 1974 das Licht der Welt. Er wuchs in einer vierköpfigen Familie auf – mit seinen Eltern Toni und Huldi und seiner älteren Schwester Regula. Ganz abgelegen, hinten in einem wunderschönen Tal, erlebte Reto seine Kindheit. Während seine Eltern dort einen Bergbauernhof führten, teilte Reto ihre Leidenschaft für die Landwirtschaft nicht. Stattdessen übernahm seine Schwester später den Hof.

Vom Turbachtal in die Welt: Reto Reichenbach hat seinen Weg vom abgelegenen Bergbauernhof auf die grossen Bühnen der Welt gefunden.
Bild: Tobias Sutter

Schon früh zeigte sich Retos aussergewöhnliches Talent. In der Schule brillierte er in vielen Fächern, doch seine grösste Leidenschaft galt der Musik. Als zehnjähriger Knabe nahm er Klavierunterricht in Gstaad beim Organisten Roland Neuhaus und später bei der ungarischen Pianistin Katalin Stojanovits. Er widmete sich insbesondere der Klassischen Musik und machte rasante Fortschritte und entwickelte sich zu einem herausragenden Musiker.

Mein Klavierspielen vor Publikum ist heute entspannter als mit 20 Jahren – mit dem Bewusstsein, dass ich niemandem mehr etwas beweisen muss.

Reto Reichenbach

Neben dem Klavier spielte er auch Cello – doch sein Favoriteninstrument blieb das Klavier.

Er entschied sich nach der Schulzeit für eine Karriere als Pianist. Er begann seine professionelle Ausbildung am Konservatorium, wo er zunächst Klavierlehrer wurde. Anschliessend erlangte er sehr erfolgreich den Titel als Konzertpianist. Sein Lehrer Tomasz Herbut schaffte es, ihn auf ein hohes Niveau zu bringen.

Beeindruckend ist auch Retos Belastbarkeit – seine Ruhe beim Vorspielen, seine Geduld beim Üben. Das kann nicht jeder! Das Üben ist für ihn etwas Schönes, Inspirierendes, was ihm Kraft spendet. Natürlich ist dies sehr anspruchsvoll, braucht hohe Konzentration und erfordert viel Geduld.

Am Berner Konservatorium wurde er mit dem Eduard Tschumi-Preis ausgezeichnet. Weitere Studien führten ihn an das Peabody Conservatory in Baltimore und an die Yale University, wo er den Master of Music erwarb.

Reto Reichenbach wurde in seinem erfolgreichen Musikerleben mit renommierten Preisen ausgezeichnet.

Seit 2003 leitet Reto Reichenbach eine Klavierklasse an den Musikschulen in Riehen und Basel. Gleichzeitig ist er als vielseitiger freiberuflicher Pianist, Kammermusiker und Pädagoge tätig. Sein erfolgreiches Spielen führte ihn schon in verschiedene europäische Länder sowie in die USA, nach Kanada, China und Japan. Als Solist trat er schon oft mit renommierten Orchestern im In- und Ausland auf. Ein wichtiger Auftritt war ein Heimspiel beim Menuhin Festival Gstaad.

Nun ist der Wohnsitz dieses Pianisten in Basel. Sein Herz schlägt zwar noch höher für «sein» Saanenland, wobei er auch in Basel eine Art zweite Heimat fand.

Der Pianist im Interview

Manuela Reichenbach: Wie und wann war dein erster Kontakt mit der Klassischen Musik, mit dem Klavierspielen?
Reto Reichenbach: Mein Interesse an der Klassischen Musik entstand noch vor dem Klavierspielen. Als meine Schwester Regula begann, Klavier zu spielen, verspürte ich sofort den Wunsch es ihr gleichzutun. In meiner Familie spielte die Klassische Musik schon immer eine grosse Rolle, und dieses Tasteninstrument zog mich von Anfang an fast magisch an.

Musik als Bestimmung: Für Reto Reichenbach ist Klavierspielen mehr als Beruf – es ist seine Lebensaufgabe.
Bild: Tobias Sutter

Wann war für dich klar, dass du eine berufliche Laufbahn im Klavierspielen einschlagen willst?
Ich war etwa 13 Jahre alt, als mein Wunsch aufkam, diese berufliche Laufbahn einzuschlagen – obwohl ich noch nicht wusste, was auf mich zukam.

Welche:r Klavierlehrer:in hat dich am meisten gefördert?
Es ist schwierig zu sagen, welche Lehrkraft mich am meisten förderte. Man ist im Lernen nicht immer gleich formbar. Ich hatte verschiedene Lehrer:innen. Die drei ersten Lehrpersonen prägten mich am meisten: Roland Neuhaus vermittelte mir von Anfang an ein vielseitiges Bild. Die wichtigste Lehrerin war Katalin Stojanovits. Sie bereitete mich massgeblich auf die Berufswahl vor. Am Konservatorium in Bern war es Tomasz Herbut, der mir ein solides Fundament gab, um diesen Beruf auszuüben.

Wie viele Klavierlehrer:innen erlebtest du insgesamt in deiner Karriere?
Insgesamt wurde ich 16 Jahre lang und von sechs Lehrer:innen unterrichtet und besuchte verschiedene Meisterkurse. In der Schweiz hatte ich drei Lehrfachkräfte, in den USA ebenfalls. Ich erlernte das Klavierspielen 6 Jahre an der Musikschule Saanenland, weitere 6 Jahre am Konservatorium in Bern und noch 4 Jahre in den USA.

Wie viele Preise und Diplome hast du während deines Lebens erlangt. Und wie heissen sie?
Mit 14 Jahren erhielt ich zum ersten Mal den ersten Preis beim Schweizerischen Jugendmusikwettbewerb. Im Laufe meiner Ausbildung und frühen Karriere erlangte ich verschiedene Stipendienpreise und weitere Auszeichnungen. Mein grösster Wettbewerbserfolg war ein internationaler Wettbewerb für Musik des 20. Jahrhunderts in Orléans in Frankreich, bei dem ich den 2. Gesamtpreis gewann.

Und welcher Preis bedeutet dir am meisten?
Der 2. Gesamtpreis in Orléans. Das war für mich etwas ganz Besonderes, denn es war ein reiner Klavierwettbewerb mit rund 40 Teilnehmer:innen.

Was macht dir beim Unterrichten deiner Schüler:innen am meisten Freude?
Vor allem die Vielseitigkeit. Ich finde es schön, die unterschiedlichen Persönlichkeiten meiner Schüler zu begleiten – jede Unterrichtsstunde bringt neue Dynamik mit sich. Manche Schüler:innen kommen begeistert, andere gestresst, niedergeschlagen oder voller Energie. Es ist eine Freude, sie in ihrem momentanen Zustand abzuholen, ihnen etwas weiterzugeben und gemeinsam Fortschritte zu erleben. Ich unterrichte sehr gerne. Man wächst in diesen Beruf hinein. Viele Musiker:innen beginnen ihre Ausbildung mit dem Fokus auf ihr eigenes Spiel, doch für die meisten gehört das Unterrichten später zur Realität. Wichtig ist, dem mit einer positiven Einstellung zu begegnen, sich darin weiterzuentwickeln und Freude daran zu gewinnen.

Ich unterrichte Schüler:innen aller Niveaus – von Anfänger:innen bis hin zu Fortgeschrittenen. Die Mehrheit sind Kinder und Jugendliche, während ich nur wenige erwachsene Schüler- :innen habe. Doch unabhängig vom Alter ist es immer spannend, ihre Entwicklung mitzugestalten.

Wie alt ist dein:e älteste:r Schüler:in?
Die älteste Schülerin ist etwa 80 Jahre alt oder sogar etwas mehr.

Unterrichtest du ausschliesslich klassische Musik?
Grundsätzlich ja, denn das ist meine Ausbildung und mein Hintergrund. Meine Schüler:innen bringen aber ihre eigenen Vorlieben mit. Manchmal beinhaltet das auch moderne Stücke, Filmmusik oder Popmusik. Das hat alles seinen Platz. Mir ist es wichtig, dass sich meine Schüler:innen in ihrer musikalischen Welt ernstgenommen fühlen.

Ruhe und Kraft: Geduld, Ausdauer und Leidenschaft prägen Reto Reichenbachs Weg als Pianist und Pädagoge.
Bild: Tobias Sutter

Wie viele Schüler:innen kannst du gegenwärtig unterrichten?
An der Musikschule habe ich ein Pensum von knapp 60 Prozent, was aktuell 23 Schüler:innen entspricht. Zusätzlich unterrichte ich privat einige wenige Schüler:innen zu Hause. Trotz meines Unterrichtspensums bleibt mir genügend Zeit, um selbst künstlerisch aktiv zu sein. Mein Berufsleben ist ausgewogen zwischen Unterrichten und meiner Tätigkeit als Solist. Finanziell gesehen ist mein Haupteinkommen jedoch klar die Musikschule. Vom Konzertgeben allein kann man kaum existieren – einige Konzerte sind gut bezahlt, aber es gibt viele, bei denen man enorm viel Zeit investiert und nur eine geringe Gage erhält.

Wie steht es bei dir in Sache Nervosität vor den Auftritten?
Über die Jahre hinweg bin ich weniger nervös geworden als noch am Anfang meiner Karriere. Mein Klavierspielen vor Publikum ist heute entspannter als mit 20 Jahren – mit dem Bewusstsein, dass ich niemandem mehr etwas beweisen muss. Ich weiss, was ich kann, aber ich weiss auch, was ich nicht kann. Ich fühle mich in dem, was ich tue, wohl und setze mir keinen unnötigen Leistungsdruck auf.

Man wächst in diesen Beruf hinein. Viele Musiker:innen beginnen ihre Ausbildung mit dem Fokus auf ihr eigenes Spiel, doch für die meisten gehört das Unterrichten später zur Realität

Reto Reichenbach

Was macht dir in deinem Berufsleben am meisten Spass?
Die Vielseitigkeit. Ich schätze es sehr, dass ich mein Musikerleben auf verschiedene Arten ausleben kann – dass ich Stücke spielen darf, die mich inspirieren, mit anderen spannenden Musikern zusammenarbeiten und mit meiner Musik die Welt bereisen kann. Gleichzeitig gefällt mir die feste Basis an der Musikschule, die mir ermöglicht, auch Phasen der Ruhe und Erholung zu haben.

Welches sind deine Hobbys ausserhalb der Musik?
Mein grösstes Hobby ist die wunderschöne Bergwelt. Im Sommer liebe ich anstrengende Bergtouren und Wanderungen, im Winter geniesse ich Skitouren. Ich reise auch sehr gerne, nicht nur beruflich, sondern auch privat, um neue Orte zu entdecken. Besonders faszinieren mich nördliche, raue Länder wie Island. Zudem lese ich leidenschaftlich gern und tauche in verschiedene literarische Welten ein.

Welches ist dein Lieblingskomponist, welches ist deine Lieblingsepoche beim Spielen und welche Stilrichtung im Klassischen Bereich hörst du am liebsten?
Wenn ich nur einen Einzigen nennen dürfte: Ganz klar Bach – er deckt für mich alles ab. Aber auch Schubert, Mozart, Chopin und Brahms gehören zu meinen Herzenskomponisten. Was die Epoche betrifft, kehre ich immer wieder zur Romantik zurück, weil sie mir emotional besonders viel gibt.

Gibt es eine andere Musikrichtung ausserhalb der klassischen Musik, die dich fasziniert?
Ja, Jazz. Ich bewundere Jazzmusiker sehr für ihre Fähigkeit zur Improvisation. Selbst wenn sie noch nie zusammengespielt haben, funktioniert das Zusammenspiel oft erstaunlich gut. Jedoch das eigene Improvisieren liegt mir relativ fern.

Gibt es ein anderes Instrument, das dich reizt?
Die menschliche Stimme. Gesang fasziniert mich sehr. Ich habe ein Jahr intensiv im Chor gesungen und diese Erfahrung in bester Erinnerung. Wenn ich Lieder einübe, begleite ich mich manchmal am Klavier und singe die Stimme selbst vor, um sie besser kennenzulernen.

Zwischen Bergen und Bühnen: Ob in Basel oder in den Alpen – Reto Reichenbach bleibt seiner Herkunft und der Musik treu.
Bild: Tobias Sutter

Findest du genug Zeit für soziale Kontakte?
Ja, klar. Ich habe ein gutes Umfeld, in dem ich mich wohlfühle. Soziale Kontakte zu pflegen, erfordert Zeit – und die muss man sich bewusst nehmen. Natürlich gibt es Phasen, in denen der Beruf alles dominiert, besonders während intensiver Konzertvorbereitungen. Dann bleibt wenig Raum für Austausch. Doch nach solchen Engagements ist es umso wichtiger, Beziehungen aktiv zu pflegen und wieder aufleben zu lassen.

Ich habe gelesen, dass du aktiv bist in einer Kirchengemeinde. Was bedeutet dir die Gemeinschaft mit deinen Glaubensgeschwistern?
Das Engagement in meiner Kirchengemeinde ist neben der Spiritualität ein wichtiger Teil meines Soziallebens. Dort habe ich viele wertvolle Kontakte und Freundschaften.

Ich möchte stets in meiner Bestimmung leben, sodass ich mit meinen Gaben und meiner Persönlichkeit einen Unterschied in meinem Umfeld machen kann.

Reto Reichenbach

Was bedeutet dir der christliche Glaube?
Ich bin im christlichen Glauben aufgewachsen. Mit etwa 20 Jahren wurde mir bewusst, dass es nicht nur der Glaube meiner Familie ist, sondern mein eigener. Ich möchte, dass mein Leben diesen Glauben widerspiegelt.

Was ist dir das Wichtigste in deinem Leben?
Meine Bestimmung zu leben. Ich möchte stets in meiner Bestimmung leben, sodass ich mit meinen Gaben und meiner Persönlichkeit – so wie ich bin – einen Unterschied in meinem Umfeld machen kann. Ich will meine Augen, auch geistliche Augen, offenhalten, um zu erkennen, was gerade dran ist oder ob es an der Zeit ist, etwas zu verändern.

Ich möchte der Welt mit dem dienen, was ich habe. Zum Leben gehörten auch das Scheitern und Versagen. Oft gelingt mir etwas nicht oder ich verliere Zeit mit Unnötigem. Doch mein Ziel ist es, meine Zeit, meine Energie und meine Talente so einzusetzen, dass sie – wenn ich es hoch greifen darf – die Welt ein kleines bisschen besser machen. Und mit «Welt» meine ich nicht den Globus, sondern mein direktes Umfeld.

Eine persönliche Perspektive

Da ich selber Klavier spiele, haben Reto und ich eines gemeinsam: Uns verbindet die Klassische Musik. Wir wurden am Anfang unseres Klavierspielens von derselben Lehrkraft, Katalin Stojanovits, unterrichtet. Meiner Meinung nach zeigte sie grosse Kompetenz, und ich denke, dass sie ihm eine solide Grundlage für seine Karriere gegeben hat.

Ich bewundere Reto, meinen Cousin, wie er die Karrierenleiter erfolgreich erklommen hat. Und doch ist er nicht abgehoben, sondern auf dem Boden geblieben.

Er ist für mich eine Art Vorbild – so etwas würde ich niemals schaffen. Ich besuche sehr gerne seine Konzerte, die mich jedes Mal tief berühren.

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