
Lass dich in die zauberhafte Welt der Märchenstube entführen. Im ersten Märchen unserer neuen Reihe macht sich der aufgestellte Däumling auf die Suche nach dem Paradies. Was er wohl auf seiner Reise lernt...?
Mittwoch, 02.10.2024
Es war einmal ein Däumling. Seiner äusserlichen Gestalt bewusst, war er aber sehr selbstbewusst und strahlte viel Kraft und Durchhaltevermögen aus. Er lebte ein Leben in Bescheidenheit und Gradlinigkeit, war glücklich und zufrieden. Er kannte nichts anderes, als vorweg jeden Tag zu leben mit all seinen Schwierigkeiten und Schönheiten.
Eines Nachts träumte er einen Traum vom Paradies. Er wurde in eine paradiesische Traumwelt entführt, wo er nicht mehr aus dem Staunen herauskam. Die Bäume waren behangen mit vielen reifen Früchten. Die Felder waren übersät mit tausenderlei verschiedenen Blumen und Pflanzen. Die Vöglein zwitscherten freudig der aufgehenden Sonne entgegen. Es war eine Harmonie, und er fühlte sich verbunden mit den Gewässern, die dahinplätscherten, mit dem ruhigen Seelein, mit den Enten, ja, er war Eins mit der ganzen prächtigen Natur.
Er erwachte überglücklich und wurde sich bewusst, dass es im Leben noch andere Möglichkeiten geben musste, als sein bisher gelebtes Leben.
Er wurde ungeduldig und begann noch mehr zu erhaschen als bisher, und probierte einen neuen Weg aus. Sein ruhiges Leben veränderte sich und wurde zusehends stressiger. Sein Selbstbewusstsein wurde immer kleiner, und er realisierte, dass er zu nichts mehr fähig war, und bald wurde er krank und müde. Er wollte das Paradies finden, doch sein Leben wurde immer trauriger.
Als er eines Abends wieder sehr unerfüllt vor seinem Haus sass, ertönte ein leises, zartes Glöckchen. Kling…ling…ling! Er schaute auf und glaubte, eine durchsichtige, feingliedrige Gestalt zu sehen. «Eine Fee!?» dachte er. Er sah diese Gestalt und schon war sie wieder verschwunden. «Habe ich geträumt?» Er wollte sich aber nicht mehr von einem Traum beirren lassen. Traurig und unglücklich blieb er sitzen. Es klingelte wieder, doch er getraute sich nicht mehr, aufzuschauen. Eine Enttäuschung mehr mag er nicht mehr verkraften. Das zarte Glöckchen, fein angeschlagen von zarter Hand, wie ihm schien, erklang wieder und wieder. Seine Augen geschlossen, vernahm er über seine Ohren immer wieder das feine Kling…ling…ling. «Aus meinem Herzen klingst du, liebes Glöckchen» hörte er sich selber sagen. Er lauschte noch einige Zeit in sein Herz und seine Traurigkeit klang ab, so dass er sich erhob und anfing zu tanzen. Er drehte sich um seine eigene Achse und die Lebensfreude war überschwenglich. Er war sich nicht bewusst, was mit ihm geschah, er wirbelte wie ein Wirbelwind herum und sein Herz überschlug sich vor Freude.
Plötzlich klopfte ihm jemand auf die Schulter. Abrupt blieb er stehen, erschrak aber nicht, denn die Hand berührte ihn sanft und liebevoll.
«Mein lieber Däumling» redete ihn der Jemand an, «du meisterst dein Leben, du kannst träumen, du kannst traurig sein, tanzen kannst du mit viel Freude und Hingabe. Vieles in deinem Leben hast du vollbracht und erlebt. Ich bin der Hofnarr, ziehe über die Lande und möchte die Menschen zum Lachen bringen und sie fröhlich sehen».
Der Däumling sah ihn verdutzt und gleichzeitig skeptisch an. Was soll dieser Hofnarr? Ist das wieder ein Traum? Kann ich ihm trauen?
Er vernahm sein Kling…ling…ling wieder im Herzen, das ihm die gestaltlose Fee klingen hat lassen. Er wusste, dass der Hofnarr ihm nur Gutes übermitteln wollte, und hörte ihm weiter zu.
«Dein Herz», lieber Däumling, «ist voll mit Freude, mit Mut, mit Liebe. Lass auch deinen Humor sprechen, der dein Herz erfüllt. Erfülle andere damit.» Der Däumling wusste bis dahin noch nichts vom Umgang mit Humor.
Die Fee, eine Verbündete des Hofnarren, liess das Kling…ling…ling im Herzen des Däumlings wieder erklingen und liess gleichzeitig das Sämlein des Humors in das Herz des Däumlings fallen.
Und seitdem ist der Däumlings ausgerüstet mit einer weiteren Herzensqualität. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
Und so lebte er noch viele Jahre weiter, glücklich und zufrieden.