
Die Entscheidung für eine Ausbildung oder einen Beruf ist wegweisend – und oft alles andere als einfach. Zwischen Erwartungen, Selbstzweifeln und der Suche nach Sinn stellt sich die Frage: Was passt wirklich zu mir? Klar ist nur eines: Der Weg dorthin verläuft selten gerade – und das ist völlig in Ordnung.
Elias Gobeli (24)
In den vergangenen drei Monaten habe ich über 220-mal nach Weiterbildungen oder Jobs gesucht. Ich frage mich, wie es nach meiner Ausbildung zum Fachmann Gesundheit weitergehen soll. Es gibt eine Stimme in meinem Kopf, die immer wieder zu mir sagt: «Du musst weitermachen, ansonsten wirst du nicht ernstgenommen.» Mir ist bewusst, dass dies nicht korrekt ist, dennoch herrscht Druck. In vielen Köpfen ist der Beruf in der Pflege ein Frauenberuf. Das kommt bei einer Handvoll Klient:innen vor, die es eigentlich überhaupt nicht böse meinen, aber selbst nach mehrmaligen Erklärungen nicht verstehen, dass ich kein Medizinstudium mache und auch kein Zivildienstleistender bin. Ich habe mal eine anschauliche Situation erlebt. Da hat mich jemand gefragt: «Also, was möchtest du genau werden?»
Darauf antwortete ich: «Ich weiss nicht, vielleicht bleibe ich Fachmann Gesundheit.»
Diese Person entgegnete mir irritiert: «Nee, das ist doch nichts für einen Mann, du kannst ja noch Medizin studieren oder sonst etwas.»
Solche Situationen und mein eigener Druck machen mich echt ratlos. Da komme ich nicht selten ins Grübeln und frage mich: Bin ich der Beruf oder bin ich, ich? Was bedeutet der Beruf für mich, ist er nur Status oder mehr? Was passt zu mir?
Ich habe keine Ahnung, was ich in zehn Jahren mache – und vielleicht ist das auch gut so.
Elias Gobeli
Ich weiss auf all diese Fragen keine Antwort.
Es ist ein Fehler, den ich schon oft begangen habe: zu denken, dass alles perfekt und wunderschön sein sollte. Immer wieder muss ich erkennen, dass es das Perfekte nicht gibt. Die Persönlichkeit verändert sich stetig und passt sich den Tätigkeiten und der Umgebung an.
Vor meiner Ausbildung konnte ich praktisch nicht mit fremden Menschen sprechen, doch inzwischen kann ich mit fast jeder Person einfach Small Talk führen.
Das Studieren unter Druck – von mir selbst und von aussen – spielt spätestens in der Rente auch keine Rolle mehr. Immer wieder muss ich erkennen, dass ich mein Leben nicht bis ins letzte Detail durchplanen muss, denn dann lebe ich nur noch für die Planung.
Ich habe keine Ahnung, was ich in zehn Jahren mache, und vielleicht ist das auch gut so.
Helmut Segner (70)
Als Kind musste ich mir wiederholt anhören, ich hätte zwei linke Hände und taugte nicht für praktische Arbeiten. Obwohl ich (neidisch) die handwerklichen Fähigkeiten meiner Freunde bewunderte, verlegte ich mich aufs Lesen. Insbesondere Schilderungen von Entdeckungsreisen hatten es mir angetan – Samuel de Champlain in Quebec, James Cook in der Südsee, Sven Hedin in Tibet… – das Lesen erschloss mir neue Welten. Es war mir daher schon recht früh klar, dass ich studieren will, weil ich das als Möglichkeit sah, mich immer wieder mit neuen Fragen und Themen befassen zu dürfen. Nur was studieren? Geschichte, Literatur, Politik – hätte mich interessiert, war mir aber zu «papierlastig». Am Schluss landete ich in der Biologie. Und stellte fest, dass hier durchaus praktische Fähigkeiten gefordert waren, sei es in der Feldarbeit oder im Labor. Einen Gewebeschnitt von wenigen Angström Dicke (1 Angström = 0,000000010 Zentimeter) herzustellen, oder die Fischpopulation in einem Hochgebirgssee zu untersuchen – das macht schon Freude.
Ich wollte einen Beruf, der Abwechslung statt Routine bietet.
Helmut Segner
Eigentlich wollte ich nach dem Studium als Lehrer an der Schule arbeiten. Durch einen Zufall ergab sich aber die Möglichkeit, in die universitäre Forschung einzusteigen. Diese Gelegenheit ergriff ich gerne, denn ich erhoffte mir davon das, was ich mir für meinen Beruf immer gewünscht hatte: eine abwechslungsreiche Tätigkeit, deren Inhalt ich recht weitgehend selbst bestimmen konnte (statt fremdbestimmt zu sein – dem Schreckgespenst der marxistischen Diskussionen der 1968er). Auch die Anwendungsnähe der Themen in der Umwelttoxikologie motivierte mich – zum Beispiel: Wie beeinflussen hormonaktive Substanzen die Fortpflanzung, oder beeinträchtigen die «Ewigkeitschemikalien» das Immunsystem? Natürlich gibt es in jedem Beruf auch Nachteile – zum Beispiel die kurzfristigen Arbeitsverträge, die Notwendigkeit, oft umzuziehen – aber insgesamt stimmte der Weg für mich.
Rückblickend ist es schon so, dass ich in meiner Jugend zwar viel überlegt und geplant hatte zu möglichen Ausbildungs- und Berufswegen. Die entscheidenden Kriterien waren für mich: einen Beruf zu finden, der Abwechslung statt Routine bietet, und ein gewisser Grad an Selbstbestimmung. Was aus diesen diffusen Überlegungen letztlich wurde, war dann aber vor allem einer Mischung aus Zufall, Arbeit und Glück zu verdanken, und, ja, ein bisschen auch der Planung.
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