
Einsamkeit ist kein Randphänomen mehr – sie betrifft Menschen aller Altersgruppen und gefährdet Gesundheit, Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt. In einer Podiumsdiskussion in Bern zeigten Fachpersonen auf, warum Einsamkeit eine der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit ist – und was wir gemeinsam dagegen tun können.
Dienstag, 22.04.2025
Ein Beitrag aus dem UND-Archiv
Ursprünglich veröffentlicht: 25. März 2023
«Ich bin einsam»: Einsamkeit als Epidemie des 21. Jahrhunderts?
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Einsamkeit – das Phänomen, das keiner haben will, aber fast alle betrifft. Still, schleichend, giftig. Und trotzdem bleibt sie oft unsichtbar. Am 23. März 2023 diskutierten im Polti-Forum Bern Fachleute unter dem Titel «Ich bin einsam: Einsamkeit als Epidemie des 21. Jahrhunderts?» über Ursachen, Auswirkungen und mögliche Wege aus der Isolation.
Mit dabei waren:
«Einsamkeit ist wie ein geheimer Makel», erklärte Psychologin Naima Ferrante. Wer sich einsam fühlt, schweigt lieber. Die Angst, als «sozialer Versager» abgestempelt zu werden, sitzt tief. Dabei ist Einsamkeit so normal wie Freude oder Angst. Und sie ist gefährlich: Einsamkeit macht krank. Sie schlägt auf Körper und Psyche wie ein stiller Hammer.
Langfristige Einsamkeit erhöht das Risiko für Demenz, Depression, Herz-Kreislauf-Krankheiten. Und: Sie verkürzt das Leben.
Instagram, WhatsApp, TikTok – und trotzdem allein? Willkommen im 21. Jahrhundert.
Gerade junge Menschen fühlen sich heute besonders einsam, obwohl sie ständig online sind. «Wir kommunizieren mehr denn je – aber echte Begegnungen werden seltener», sagte Sozialarbeiter und Nationalrat Daniel Frey.
Die Corona-Pandemie war ein Brandbeschleuniger. Doch die Wurzel des Problems liegt tiefer: Immer mehr Menschen leben allein, Selbstoptimierung ersetzt Gemeinschaft, und persönliche Schwäche gilt als Makel.
Klingt dramatisch – ist aber so. Wer sich ausgeschlossen fühlt, verliert Vertrauen. Laut Studien neigen einsame Jugendliche eher zu autoritärem Denken. «Demokratie lebt vom Dialog», warnte Daniel Frei. Wer nur noch in seiner eigenen Meinungsblase lebt, verliert das Gespür für Kompromisse und Vielfalt.
Die Lösung ist eigentlich simpel: Mehr echte Begegnungen. Weniger digitale Ersatzbefriedigung. Und ein bisschen mehr Mut, aufeinander zuzugehen.
Die Podiumsteilnehmenden forderten:
Ein weiteres Problem: Zwar haben viele Menschen Zeit – etwa nach der Pensionierung. Aber freiwilliges Engagement? Fehlanzeige. «Wenn’s nichts zahlt, interessiert’s viele nicht mehr», so Daniel Frei. Dabei wäre genau das Teil der Lösung: Zeit schenken, Aufmerksamkeit schenken – einfach mal da sein.
Naima Ferrante plädierte dafür, Einsamkeit nicht zu pathologisieren. «Es ist ein Gefühl – nicht die Pest!» Einsamkeit gehöre zum Leben, dürfe aber nicht das Leben bestimmen.
Es ist ein Gefühl – nicht die Pest!
Naima Ferrante
Dass wir wieder lernen, uns füreinander zu interessieren. Nicht aus Neugier, sondern aus echtem Interesse. Dass wir aufeinander zugehen, bevor die letzte Brücke abbricht. Oder wie es ein Teilnehmer sagte: «Wir haben nicht zu wenig Zeit. Wir nutzen sie nur oft falsch.»
Veranstaltungstipp: Generationenforum «Neue (Gem)einsamkeit?»
Ob alt oder jung – Einsamkeit ist eine grosse gesellschaftliche Herausforderung. Ein Austausch über fehlende Begegnungen in einer vernetzten Gesellschaft.
Wann: Donnerstag, 8. Mai 2025, 19 Uhr
Wo: Quartierzentrum Lerchenfeld
Weitere Infos: Neue (Gem)einsamkeit? – UND Generationentandem