Gerade oder krumm?

Gerade oder krumm?

Wie sah deine Ausbildung aus – und wie deine berufliche Tätigkeit danach? Zum Runden Tisch eingeladen waren nur Menschen, bei denen dies nicht gradlinig verlaufen ist.

Ueli Balmer, Theres Ryser, Rebekka Flotron und Andreas Rub: Vier Lebensläufe – vier Wege zur beruflichen Erfüllung, geprägt von Umwegen, Zweifeln und glücklichen Zufällen.
Bild: Heinz Gfeller

Der Moderator – ein Gradliniger – begrüsste am 4. April 2025 fünf Leute, die unübliche Wege gegangen sind.

Ueli Balmer (76): Aus einer nicht eben glücklichen Schulzeit ausgestiegen, machte er eine Lehre zum Maschinenmechaniker, begann in SBB-Werkstätten zu arbeiten. Eine Reise führte ihn nach Asien. Während der weiteren Arbeit, etwa in der Webmaschinenfabrik Sulzer, wuchs sein Interesse am Lernen: Er absolvierte, berufsbegleitend, ein Abendgymnasium; über die Wahl des Studienfaches (Jus) gibt er in seinem persönlichen Text Auskunft. Er arbeitete später bei VCS und WWF; danach im Eidgenössischen Verkehrsdepartement, wo er international wichtige Massnahmen (Schwerverkehrs-Abgabe) mitgestaltete. Ueli Balmer sagt: «Mein Traum war mal Lokomotivführer. Gott sei Dank bin ich das nicht geworden.»

Man kann sich für etwas entscheiden, aber später davon abkommen, einen neuen Weg einschlagen und so wirklich ausprobieren, was für einen persönlich passt.

Ueli Balmer

Theres Ryser (70): Wollte nicht Lehrerin werden – aber Hauswirtschaftslehrerin: mit viel Praktischem und wenig Kontrolle. Landwirtschaftliches Lehrjahr und vier Jahre Seminar; danach unterrichtete sie in Teilpensen, aber nahm ständig neue Aktivitäten auf – sagte der Schule «Ich komme dann wieder»: Sie arbeitete im Dritt-Welt-Laden, beim WWF, bildete Erwachsene, betreute Migranten. Dann fanden ihr Partner und sie in Irland ein Haus, wo sie zehn Jahre lang im Sommer Gäste beherbergten. Im Winter wirkte sie in Berner Alternativläden. Bis es sie stärker ins Handwerkliche drängte: Eine Anlehre im Polstern ermöglichte ihr, im eigenen Atelier alte Möbel zu restaurieren. Theres Ryser meint, sie habe nach der ersten Ausbildung lange keine solche mehr gebraucht: «Man hat einfach gemacht.»

Helmut Segner (70): Fand es «wunderbar, sich umzusehen», und als Student noch nicht in Acht-Stunden-Tage eingespannt zu sein. Genaueres zu seinem Werdegang findet sich in seinen persönlichen Texten auf den Seiten 46 und 52. Helmut Segner berichtet, dass er etwas 20 Jahre lang gemacht hat – aber es gab immer Neues.

Andreas Rub (42): Trat eine klassische akademische Laufbahn an, er wurde Gym-Lehrer für Geschichte und Deutsch. Doch die Arbeit behagte ihm nicht. Mit Erwachsenen ging’s besser; aber Sprachschulen boten kein gutes Auskommen. «Wie Indiana Jones» kam er zur Museums-Arbeit. Seine Kenntnisse in mittelalterlichen Praktiken – zum Beispiel Fechten – waren plötzlich gefragt. Heute nimmt er Militaria auf, in der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte in Winterthur; dort verfügt er über viel Geld, das für kulturelle Zwecke einzusetzen ist. Andreas Rub denkt, dass zu viele Auszubildende glauben: «Das ist der Weg!» – der einzige.

Rebekka Flotron (30): Ging gern zur Schule, interessierte sich aber auch früh für Politik. Ihr Wunsch: Internationale Beziehungen. In Kanada erwachte ihr Interesse für Englisch, so dass sie dieses Studium aufnahm, mit Nebenfach Sozialanthropologie. Dann landete sie beim Politforum in Bern (Käfigturm); und «mit null journalistischer Ausbildung» in der Redaktion bei UND Generationentandem. Rebekka Flotron hat eine Masterarbeit übers Doktorieren verfasst. «Ich habe den Elfenbeinturm gesehen» – diesen geschützten Ort der Akademiker.

Vielleicht sollten wir mehr über Brüche sprechen. Über das Suchen. Über das Glück, auch mal in etwas hineinzustolpern.

Rebekka Flotron

Womit kann ich glücklich werden?

Es gibt interessante Aspekte, die zur Berufswahl hinführen. Etwa: Was machten die Eltern? Wo steht man mit 15 Jahren? Doch das Gespräch widmete sich der Wahl selbst – und dem, was dabei wünschbar wäre. Die älteren Generationen kannten keinen zweiten Bildungsweg, erinnert sich Ueli. Es sind grosse Fortschritte erzielt worden, indem das Ausbildungssystem immer durchlässiger wurde. Man kann sich für etwas entscheiden, aber später davon abkommen, einen neuen Weg einschlagen und so wirklich ausprobieren, was für einen persönlich passt.

Nicht für alle ist die grosse Offenheit günstig; manchmal bieten sich zu viele Chancen, meint Andreas. Gewisse Menschen benötigen Anleitung. Auch sollte man etwas abschliessen, um vorwärts zu kommen. Der Typ «professioneller Schüler», der ewige Student, weckt Unbehagen. Optimal ist, sagt Helmut, wenn ich meine Inhalte selbst bestimmen kann. Und Theres betont, man sollte nicht nur zu einer Ausbildung, sondern zu seinem Menschenbild finden.

Solches wird oftmals nicht zutreffen. Zahlreiche Entscheide werden ohne innere Motivation gefällt – eher des Geldes wegen und nicht weil ein echtes Interesse vorhanden ist. In der Konsumgesellschaft wird mangelnde Motivation dann gern in der Freizeit kompensiert. Es ist eine Utopie, findet Rebekka, dass alle einen befriedigenden Job bekommt. Die Anwesenden sind sich bewusst, dass sie privilegiert waren.

Was will ich? Habe ich Ambitionen, will ich Karriere – ein Steigerungslauf! – machen? Oft hindert dies mein Glück im Beruf. Überzeugender kommt’s heraus, wenn ich in dem, was ich mache, einfach gut sein will. Was die optimale Berufswahl auch behindern kann: das Geschlecht. (In Ruanda ist die Lage für die Frauen besser. Allerdings fehlen dort die Männer.) Familie, Kinder. Doch lässt sich vieles mit Absprachen lösen.

Auf eine aktuelle Schwierigkeit verweist Rebekka: In ihrer Generation höre sie manchmal: «Was, du machst schon über drei Jahre dasselbe?» Es bestehe ein Zwang zu Veränderungen. Dabei, findet sie, bringe jeder Tag die Möglichkeit zur Weiterbildung;
die müsse nicht ständig organisiert werden.

Zufall und Plan
Helmut Segner
Es ist nicht so, dass ich schon als kleiner Junge gewusst hätte, wie mein späterer Beruf aussehen sollte. Im Gegenteil, sowohl meine Ausbildung wie mein Berufsweg waren sehr stark durch Zufälle beeinflusst. Das fing bei der Wahl des Studienfachs an. Vielleicht etwas, bei dem man auch praktisch arbeiten muss? Chemie, Biologie? Die Biologie erwies sich als viel lebensnaher als die Chemie. Nach dem Studium wollte ich als Biologielehrer arbeiten. Aber im Laufe meiner Abschlussarbeit merkte ich, dass mir die Forschung eigentlich mehr Freude macht als das Unterrichten. Als sich die Möglichkeit ergab, Forschung auf den Philippinen zu betreiben, also Fernweh und Arbeit zu kombinieren, blieb ich in der Forschung. Mein Weg war weiterhin von Zufällen geprägt, schon dadurch, dass die Arbeitsverträge in der Regel nur zwei, drei Jahre dauerten und ich mich danach wieder nach neuen Optionen umschauen musste. So bin ich schliesslich in Bern angelangt und habe zur Tiermedizin gewechselt.

Es gab aber auch einen konstanten Plan auf meinem Weg: der Wunsch, eine Arbeit zu machen, deren Inhalte ich stark selbst bestimmen kann und bei der ich immer wieder Neues lernen darf. So habe ich das Studium nicht als notwendige Voraussetzung für eine Berufstätigkeit gesehen, sondern als Chance, mich mit spannenden Themen und Inhalten zu beschäftigen. Die Veränderungen im Beruf eröffneten neue Gestaltungsmöglichkeiten und verhinderten das Einschleichen von Routinen.

Im Rückblick denke ich, dass es wichtig ist, einen Plan zu haben, als eine Art Kompass. Dass es aber ebenso wichtig ist, offen zu bleiben für Zufälle, die den Plan in eine unerwartete, aber vielversprechende Richtung lenken. Letztlich ist das die Rolle des Glücks beim Gelingen von Ausbildung und Beruf.

Die beste Basis für alles Mögliche
Ueli Balmer

Nach der Matura stand ich vor der Frage, welches Studium ich einschlagen wollte. Nicht einfach zu beantworten; meine Interessen divergierten. Einerseits faszinierten mich Geografie und Geschichte, andererseits Ökonomie oder technische Ausbildungen wie Maschinenbau. Gegen diese Wunschfächer sprach aber deren relativ hoher Spezialisierungsgrad. So entschied ich mich für ein Jus-Studium, eröffnet dieses doch die Möglichkeit, sich später in unterschiedlichste Bereiche zu diversifizieren. Mein Gerechtigkeitsempfinden und der Umstand, dass mein Vater ein Rechtsstudium abgeschlossen hatte, spielten ebenfalls eine Rolle. Wirklich begeistern konnte ich mich für das Fach nicht – auch aufgrund der Erkenntnis, dass es «das Recht» nicht gibt. Bereut habe ich meine Wahl aber nicht; die erworbenen Erkenntnisse samt Titel waren eine gute Grundlage, um mich beruflich in meinem hauptsächlichen Interessengebiet, der Verkehrspolitik, voll einbringen zu können.

Die Illusion vom perfekten Weg
Rebekka Flotron

Viele von uns – gerade Menschen in meinem Alter mit akademischer Ausbildung – jagen der idealen Laufbahn nach, als gäbe es sie. Doch das Leben verläuft nicht entlang linearer Karrierepläne mit sauber getakteten Stationen. Unsere Gespräche haben gezeigt: Fast alle waren mal «falsch», um später richtig zu landen. Trotzdem höre ich in meiner Generation oft: «Ich muss drei Jahre hier sein, dann fünf Jahre dort – damit ich mit 40 die Stelle XY bekomme.» Als liesse sich Glück planen. Vielleicht sollten wir mehr über Brüche sprechen. Über das Suchen. Über das Glück, auch mal in etwas hineinzustolpern. Denn manchmal liegt die Berufung genau in der Abweichung vom Plan. Vielleicht wird das Leben gerade dann interessant, wenn man den Weg nicht vorher kennt.

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