Mächtiger Bach, fragile Instrumente

Mächtiger Bach, fragile Instrumente

Hansruedi Hösli, langjähriger Leiter der Schweizer Geigenbauschule Brienz, war von der Milibach-Katastrophe betroffen. Sein Haus wurde durch den Bach verwüstet. Davon – und von den geliebten Streichinstrumenten erzählt er.

August 2024, Badewetter. Gegen Abend kündigte sich Regen an. Hansruedi Hösli (72) war seinerzeit der Milibach-Korporation vorgestanden, die sich um die Instandhaltung der Bachschale kümmerte. Er erinnerte sich an Ereignisse zehn Jahre zuvor, die zum Bau eines Geschiebesammlers geführt hatten – den einige für übertrieben hielten. Er wusste, dass ein «Schub», ein Schwall aus dem Einzugsgebiet Planalp in 15 Minuten das Dorf erreichen würde. Seinen Nachbarn verordnete er immerhin, sich vom Bach zu entfernen. Was diesmal kam, übertraf aber alle Erwartungen.

Das zugeschüttete Haus von Hansruedi Hösli in Brienz, August 2024.
Bild: Hansruedi Hösli

Rasch war der Geschiebesammler überfüllt; eine vielfache Menge von Material stürzte darüber weg. Felsblöcke von der Grösse eines Campers kamen dahergeschwommen. Brücken wurden verstopft. Der Bach teilte sich auf. Plötzlich fanden sich Höslis auf einer Insel. Das untere Stockwerk wurde gefüllt, vom oberen schauten sie geradewegs auf reissende Fluten, die auch ihr Auto mitrissen. Dass ihr Haus nicht weggeschwemmt wurde, verdankten sie wohl einem anderen oberhalb.

Er habe «einfach funktioniert», erinnert sich Hansruedi Hösli. Gehör, Geruchssinn, Gespür seien ausgefallen, «die Augen leiteten mich». Höslis konnten sich retten. Am Morgen danach kam man zur Besinnung: Viel war beschädigt oder verloren, doch «es war keine Bombe», niemand war gestorben; man relativierte angesichts andrer Katastrophen, wie damals in Spanien.

Und die Instrumente?

Die nahe gelegene Geigenbauschule wurde zum Glück verschont. Doch in Höslis Haus gab es etwa 40 Streichinstrumente sowie eine persönliche Bogen-Sammlung – für Hansruedi ein Teil der Altersvorsorge. In unterschiedlichem Zustand alles: einige Instrumente noch gut, andere liessen sich reparieren. Doch vieles war nicht zu retten. So eine Anzahl Schülerinstrumente, die für einen Transport nach Moldawien bereitlagen.

Zwischen Klang und Stille: Einige der Instrumente, die Hansruedi Hösli aus den Fluten bergen konnte.
Bild: Hansruedi Hösli

Hier seien die Hilfsprojekte der Geigenbauschule erwähnt, welche Hansruedi Hösli angestossen und unterstützt hatte. Auch nach Albanien, Kirgistan, der Ukraine sowie Brasilien hatte man Instrumente geschickt, ebenso Geld; vor allem aber suchte man Gewährspersonen, die im Land zu dem Vorhaben schauten. Solche Aktionen sollten weitergehen, betont Hansruedi. Wer könnte brachliegende Instrumente beisteuern, die sich so sinnvoll verwerten liessen?

Ein Jahr danach

Heute blickt Hansruedi Hösli gelassener zurück – und vorwärts. Nach viermaligem Umziehen haben er und seine Frau Suzanne eine konstantere Bleibe. Und sie planen, am alten Ort wieder zu bauen und zu wohnen, ab 2027 schon. Das wird dank einer Härtefallklausel möglich. Der Bach wird verlegt, das «alte Gerinne» beim Haus soll zugeschüttet werden. Für Hansruedi ist entscheidend, dass sie hier ihre Heimat haben (seit 1987), alle Kinder hier geboren sind, er sein Geschäft aufgezogen hat – und dass es «e wunderschöne Egge» ist.

Hansruedi Hösli: Der frühere Präsident der Milibach-Korporation erlebte die Flut 2024 am eigenen Haus. Heute plant er, an derselben Stelle wieder zu bauen.
Bild: Privat

Wie ordnet er die Katastrophe ein? Ein Alpenbewohner wie er wisse, welche Gefahren existieren. Aber die «Ereignislücke» – lange nichts geschehen – hat den Leuten, auch Einheimischen, falsche Sicherheit gegeben. Je länger nichts passierte, desto mehr wurde bewilligt. Umsichtiges Bauen hätte wohl etliches verhindert. Man verdrängt, dass «die Alpen eine Wüste sind, die man sich dienstbar gemacht» zu haben meint. Auch wenn man bei uns eher überversichert ist – gut versichert heisst nicht in absoluter Sicherheit zu sein.

Der Wert eines Instruments

Wir begeben uns nochmals auf Hansruedi Höslis Spezialgebiet. Geigen, die man an Hilfswerke verschenkt, mögen einige 100 Franken kosten; oft lagen sie allerdings jahrelang stumm da. Streichinstrumente, die an der Schule in Brienz hergestellt werden, kosten hingegen einige 1000 Franken. Und dann gibt’s welche, die für mehrere Millionen gehandelt werden. Die unterliegen den Mechanismen des internationalen Handels.

Qualität und Geld stehen in einem schwierigen Verhältnis, sagt Hansruedi. Er will deutlich unterscheiden: Einerseits ist ein Instrument ein «Klangwerkzeug», das funktionieren muss; die Musiker:innen wiederum, ein Stück weit auch Handwerker, liefern Emotionen, sie leisten das Wesentliche. Instrumente können im Wert steigen, wenn sie gut und schön gemacht sind, dann gut gepflegt und auch wertschätzend über Jahrzehnte, ja -hunderte gespielt werden. Auf der andern Seite steht die Börse, der Markt, wie er seit Jahrhunderten auch für Instrumente aufgezogen wurde, namentlich mit reichen Personen und Institutionen als Zielgruppe. Hypes entstehen; es zählen Namen: wer es gebaut, wer es gespielt hat. Stradivari, Menuhin: ein grosses Plus. Junge Talente werden durch teure Leihinstrumente aufgewertet. Sammler kaufen ein. Zwischen An- und Verkauf definiert sich der Handel – «die Ethik ist dabei biegbar», allerdings.

Doch Hansruedi Hösli kommt darauf zurück: Herausragende Musiker:innen wissen von sich: «Der Klang bin ich»; das Werkzeug trägt dazu bei, ist aber nur ein Part im Zusammenspiel von Musiker:in, Instrument und Bogen.

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