Mit Kugel und Schreiber im Schadaupark

Mit Kugel und Schreiber im Schadaupark

Pétanque spielen lernen mit Walter Winkler und zeichnen mit den Urban Sketchers Thun. Am 8. Mai verbinden sich Jung und Alt bei Spiel und Kunst im Schadaupark – entspanntes Spielen ist eine Kunst und Kunst kann ohne Spielen und Freude nicht entstehen.

Als ich angefragt wurde, ob ich einen Artikel über den Event «Pétanque und Urban Sketching» – organisiert von «und» Generationentandem – schreiben würde, war ich im Zwiespalt zwischen Freude und Befürchtung. Meine erste Überlegung war: Wie kann eine Person, die nicht Pétanque spielt und vom Zeichnen … tja … ebenso wenig Ahnung hat, darüber schreiben? Die zweite Überlegung war genau das Gegenteil: Nämlich – warum gerade nicht über etwas schreiben, von dem ich wenig weiss, dafür aber versuchen, die Einmaligkeit des Anlasses, die Schönheit des Ortes und der entstehenden Werke sowie das ungezwungene Zusammensein der Menschen festzuhalten. Gedacht und jetzt getan.

Sonntagmorgen im Park: Wo sich Spiel und Farbe begegnen. –
Bild: Walter Winkler, Illustration: Ayana Germann

Spiel und Kunst

Bevor ich über (m)eine Wahrnehmung und meine Eindrücke spreche, hier zwei kurze Informationen zu den beiden Spiel- oder Kunstformen, die ich aus dem Internet geholt habe.

  • Haben Sie gewusst, dass man die Geschichte des Kugelspiels auf das 5. Jahrhundert vor Christus zurückverfolgen kann und dass das Kugelspiel im Jahr 1629 gerichtlich verboten wurde, weil «Boule verführt zu lasterhaften Ausschweifungen und ist Ursache sonstiger Unverschämtheiten.»? Schön, dass dieses Verbot unterdessen aufgehoben wurde – nicht wahr?
  • Und haben Sie gewusst, dass Urban Sketching im Jahr 2007 vom Reisejournalisten Gabriel Campanario in Seattle ins Leben gerufen wurde? Die kurzlebige, schnelle Fotografie befriedigte ihn nicht mehr. Im Zeichnen vor Ort würden persönliche Emotionen und Erinnerungen nachhaltiger festgehalten. Heute sind die Urban Sketchers eine gemeinnützige Organisation, in welcher ZeichnerInnen weltweit verbunden sind und ihre Arbeiten im Netz austauschen nach dem Motto: «We show the world, one drawing at the time.»

Nachdem der vorherige Tag regnerisch und eher kühl war, zeigt sich dieser Sonntag im Mai sonnig, leicht wolkig, schön: nicht kalt, nicht heiss. Bei meiner Ankunft um halb zehn Uhr ist die Stimmung im Schadaupark ruhig, friedlich, der Park nicht leer, aber fast. Die Sonne scheint auf die grüne Wiese, auf die Blumen, die Kinderdampfbahn wird gerade für den Tag vorbereitet – ein fast paradiesischer Zustand. Der Pétanque-Platz wirkt verlassen, von ZeichnerInnen keine Spur.

Nach und nach kommt Bewegung ins Bild, der Pétanque-Platz belebt sich: Markus vom Pétanque-Club Thun bereitet das Spielfeld vor, ebnet mit einem grossen Rechen den Platz, geht ruhig von links nach rechts und zurück. Die Boules liegen nebeneinander gereiht am Spielfeldrand, die Kinderdampfbahn nimmt den Betrieb auf. Die SpielerInnen und die SketcherInnen kommen langsam daher, einzeln, zu zweit oder als Familie, plaudern miteinander, installieren sich an persönlich bevorzugten Plätzen. Die OrganisatorInnen richten den Tisch neben dem Spielfeld ein: Sizzenbücher, Zeichnungsmaterial und -literatur, Snacks und Getränke.

Lust auf Farbe: angeregte und anregende Tischrunde. – Bild: Walter Winkler

Wer die Wahl hat, hat die Qual

Punkt zehn Uhr eröffnet Erika Kestenholz (74), Co-Präsidentin von «und Generationentandem», den Anlass. Marianne Scheuter (67) und Walter Winkler (82) erläutern die «Spielregeln» für die angebotenen «Disziplinen». Die Qual der Wahl steht an – Pétanque oder Zeichnen? Es bilden sich vier Spiele-Teams, die den Profi-Anweisungen und Erklärungen aufmerksam zuhören und die für sie neue Spielkunst ausprobieren. Die SketcherInnen sitzen bald an ihrem gewählten Zeichnungsort um den Pétanque-Platz herum, ein wenig überall, aber genau dort, wo das Motiv für sie reizvoll ist.

Höchste Konzentration: Beim Werfen und beim Zeichnen. – Bild: Walter Winkler

Darf ich’s wagen?

Für mich beginnt jetzt der schwierigste Moment. Die ZeichnerInnen sitzen still, versunken in ihre Beobachtungen. Ich muss meine Hemmungen überwinden, von ZeichnerIn zu ZeichnerIn gehen, über ihre Schulter schauen, im Bewusstsein, dass ich vielleicht – nein, sehr wahrscheinlich – störe, wenn ich mich so nahe heranwage und beim Zeichnen zuschaue. Es hat mich dennoch sehr interessiert, zu wissen, wie und warum die Menschen zeichnen, was sie sehen und wie sie ihre individuellen, künstlerischen Beobachtungen zu Papier bringen.

Plein-Air-Malerei und Urban Sketching: ziehen «Gwundernasen» magisch an. – Bild: Walter Winkler

Mit einigen Urban Sketchers darf ich mich ein wenig zu ihrem Tun austauschen. Zum Beispiel mit

  • Michel, der mir sagt, wie wichtig es ist, zu wissen, wann er aufhören soll mit dem Werk. Die Kunst des Weglassens zu beherrschen, sei das Schwierigste.
  • Kurt, der an diesem Tag mit Bleistift gezeichnet hat und auch die Kunst pflegt, «mal aufhören zu können».
  • Anton, der für verschiedene Zeichnungsformen offen ist und an diesem Tag mit Kugelschreiber zeichnet. Er hat das gezeichnet, was man aus der Vogelperspektive sehen würde.

«Urban Sketching ist immer auch die Kunst
des Weglassens.»

Michel Johner, Urban Sketcher
  • Therese von Gunten ist seit drei Jahren Koordinatorin der Urban Sketchers Thun  und nach wie vor von dieser Art des Zeichnens fasziniert. Für sie ist es besonders erfreulich, dass die ZeichnerInnen sich an verschiedenen Orten und Städten treffen können und dass sie fast jedes Wochenende gemeinsam mit anderen, und doch individuell, zeichnen und sich austauschen kann.
  • Marianne zeichnet seit vielen Jahren – mit Aquarell, mit Stylo. Für sie ist es faszinierend zu sehen, dass zwei Personen, auch wenn sie das gleiche Motiv haben, nie dasselbe zeichnen werden.
Achtsamkeit pur: Drei Künstler, versunken in ihre Werke. – Bild: Walter Winkler

Lebenslange Faszination garantiert

Auch mit den Pétanque-SpielerInnen kann ich mich erst gegen Ende des Anlasses unterhalten. Vorher gingen sie von Position zu Position, warfen ihre Kugeln, freuten sich laut, wenn eine Kugel die richtige Position traf. Zu konzentriert waren sie in ihr Spiel, als dass ich es gewagt hätte, ihre Begeisterung zu stören.

Spass am Spiel: auch wenn es ernst wird und die Spannung steigt. – Bild: Walter Winkler
  • Walter spielt fast jeden Tag Pétanque. Er sei einmal am Pétanque-Platz vorbeigegangen und habe es aus Spass versucht. Seither sind zwanzig Jahre vergangen und er ist Mitglied des Pétanque-Clubs «Amicale», macht an Turnieren und an regionalen Meisterschaften in verschiedenen Städten des Kantons Bern mit.
  • Hanspeter spielt Pétanque und zeichnet. Für ihn sind beide Hobbys eine Form des sozialen und künstlerischen Lebens, es macht Spass, es ist sympathisch. Nach dem Motto «Ob Pétanque oder Zeichnen – wenn ich mich wohlfühle in der Gruppe, dann stimmt’s.»

«Ob Pétanque oder Zeichnen, es macht mir Spass
und ist sympathisch.
Wenn ich mich in der Gruppe wohlfühle, dann stimmt’s.»

Hanspeter, Urban Sketcher und Pétanque-Spieler
  • Am Schluss unterhalte ich mich noch mit Markus vom Pétanque-Club Thun. Er erzählt mir, wie er 1996 in Südfrankreich mit dem Spielen angefangen hatte und es so weit brachte, dass er an den Schweizer Meisterschaften teilnehmen konnte. Man starte aus Spass, Erholung, Freude – und mit der Zeit lerne man die Taktik. Es brauche sehr viel Übung und Erfahrung – zentral bleibe aber immer die Freude am gemeinsamen Spiel. Auf dem Pétanque-Platz im Schadaupark wird bei trockenem Wetter jeden Tag gespielt und alle sind willkommen, die bereit sind, das Spiel zu erlernen.
Begeisterung und Siegerpose: Doch Vorsicht – die Partie ist noch nicht zu Ende. – Bild: Walter Winkler

Vernissage und Apéro

Gegen viertel vor zwölf ist der Anlass fast vorbei. Auf dem Tisch stehen Snacks und Getränke bereit, die SketcherInnen legen, wie immer bei ihren Treffen, die Zeichnungen am Rand des Pétanque-Platzes aus. Eine kleine Ausstellung entsteht. Es ist der Moment, in dem alle ihre Werke zeigten, erklären – ein Dialog entsteht. Es heisst nicht «Das ist schön und das ist nicht schön», sondern «Warum hast du es so gezeichnet?» oder «Interessant, wie du es gesehen hast!».

Urban Sketching: Reduktion aufs Wesentliche. – Illustration: ©Rittiner & Gomez

Es ist sehr beeindruckend, festzustellen, wie wir den gleichen Ort, den gleichen Anlass aus verschiedenen Blickwinkeln (natürlich unabhängig von den unterschiedlichen Arbeitstechniken) wahrnehmen können.

Es lässt sich trefflich philosphieren zum Thema des Austausches und des Zusammenseins – frei, ohne Zwang, die schöne Natur nutzend.

Mir stellen sich zum Schluss nur noch zwei wichtige Fragen: «Habe ich den Mut, am Pétanque-Platz vorbeizugehen und zu probieren?» und «Habe ich den Mut, mich an den Wegrand zu setzen und auf meine Art, das zu zeichnen, was ich sehe und wahrnehme?» Probieren wir es doch aus. Was mich betrifft: Ich weiss es noch nicht. Und Sie?

Freude pur: die Kugel hat getroffen. – Bild: Walter Winkler

Blick in die Zukunft …

Beide Gruppen, die Urban Sketchers Thun und der Pétanque-Club Thun, nehmen am Generationenfestival 2022 teil. Wer Lust zum Mitmachen bekommen hat, kann sie dort am Märit vom 17. September von 10 bis 18 Uhr kennenlernen.

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