Mit Zuversicht …
Jennifer Ritschard (30)
«Liebe Enkel,
es ist ein frühlingskalter Morgen. Ich habe gerade zwei Stunden Nachrichten im Netz gelesen, mich vom Schlaf in den Schmerz der Welt schleudern lassen – und sitze nun hier mit Herzweh.
Fast überall, wo man hinschaut, ist es zum Fürchten. (…) Die Weltwirklichkeit ist voller Abgründe – oder sie ist selbst ein Abgrund, in den wir jeden Tag blicken und in dem wir unsere eigene Zerbrechlichkeit finden, dort, in der tintendunklen Tiefe.»
Mit diesen nicht sehr mutmachenden Zeilen eröffnet die Journalistin Gabriele von Arnim (77) einen Brief an ihre Enkel. Sie skizziert zu Beginn die dunklen Seiten unserer Gegenwart und zeigt auf, in welch desolatem Zustand wir die Welt unseren Nachfahren hinterlassen.

«Wir brauchen Zuversicht, um uns zu verlieben und zu heiraten, Kinder zu bekommen, sie in den Kindergarten und in die Schule zu schicken. (…) Kein Mensch würde eine Aktie kaufen, für mehr Lohn streiken, einen Friseurladen oder eine Bar eröffnen, wenn er nicht davon ausginge, dass es eine Zukunft gibt.»
Gabriele von Arnim
Überall Kriege und Konflikte, Millionen von Flüchtenden, nervenaufreibende Präsidentschaftswahlen und die ständige Angst vor dem Klimakollaps: Wie können wir die Wirklichkeit annehmen, wie sie ist, und trotzdem den Mut zum Handeln nicht verlieren?
Die Lektüre fühlt sich an wie ein zwangloses Gespräch mit einer alten Bekannten. Zwischen Anekdoten aus ihrem eigenen Leben, Ansichten ihrer Freund:innen und Zitaten von berühmten Persönlichkeiten findet man sich in manchen Gedankengängen selbst wieder. Gemeinsam erkunden wir an einem sonnengoldenen Herbsttag bei einer Tasse Tee unsere Definition von «Zuversicht». Und wir stellen fest, dass sie bereits ein fester Bestandteil unseres alltäglichen Lebens ist.
Denn wie Gabriele von Arnim sagt: «Wir brauchen Zuversicht, um uns zu verlieben und zu heiraten, Kinder zu bekommen, sie in den Kindergarten und in die Schule zu schicken. (…) Kein Mensch würde eine Aktie kaufen, für mehr Lohn streiken, einen Friseurladen oder eine Bar eröffnen, wenn er nicht davon ausginge, dass es eine Zukunft gibt.»
Vielleicht sind wir Menschen grundsätzlich zuversichtlich. Was wir nun noch brauchen, ist der Mut, zwischen Herausforderung und Chance eine Brücke zu schlagen.

… und Verantwortung
Rebekka Flotron (30)
In ihrem Buch «Liebe Enkel oder Die Kunst der Zuversicht» schreibt Gabriele von Arnim über die Fähigkeit, inmitten von Krisen den Glauben an eine bessere Zukunft zu bewahren. Doch was passiert, wenn wir diese Zuversicht über unser eigenes Leben hinausdenken? Genau das macht das Konzept des enkel:innentauglichen Lebens so bedeutungsvoll: Es fordert uns auf, die Welt so zu gestalten, dass auch kommende Generationen darin gut leben können.
Diese Gedanken begleiten mich und meine Familie gerade intensiv – ich werde bald Patentante, meine Eltern werden zum zweiten Mal Grosseltern. Eine Nichte, ein Patenkind bedeutet mehr als nur eine Beziehung; es bedeutet Verantwortung – für das Leben dieses kleinen Wesens, aber auch für die Welt, in die es hineingeboren wird. Was möchte ich diesem Kind mitgeben? Und wie kann ich dazu beitragen, dass es in einer besseren Welt aufwachsen kann?
Ich denke dabei oft an meine Grossmutter. Seit ich mich erinnern kann, betont sie – heute 98 Jahre alt – immer wieder, wie alt die Apfelbäume in ihrem Garten sind. Oder der Zwetschgenbaum. Oder der Johannisbeerstrauch.
«Diesen Baum hat dein Urgrossvater gepflanzt.»
Lange habe ich nicht verstanden, warum das so bedeutend sein könnte – weder für sie noch für uns, die wir unseren Urgrossvater nie kennengelernt haben. Doch heute begreife ich es: Er hat etwas gepflanzt, das über seine eigene Lebenszeit hinaus Bestand hat – ein Geschenk an die, die nach ihm kommen. Und auch an uns.
Genau das ist für mich der Kern des enkel:innentauglichen Lebens – ein Konzept, das in meinem Umfeld aktuell in aller Munde ist: Verantwortung übernehmen, die eigene Zuversicht weitergeben und heute so handeln, dass morgen eine Zukunft bleibt.
Enkel:innentauglich zu leben heisst, Entscheidungen nicht nur für uns selbst, sondern auch für die nächsten Generationen zu treffen. Es ist die bewusste Entscheidung, nicht auf Kosten der Zukunft zu leben, sondern für sie.
Wie nutzen wir die Ressourcen der Erde? Wie gestalten wir unser Miteinander? Wie können wir langfristig denken, statt uns nur von der Gegenwart leiten zu lassen? Es sind grosse Fragen – doch die Antworten beginnen im Kleinen.

Die drei Säulen
Nachhaltigkeit im Alltag: Ein enkel:innentaugliches Leben beginnt mit den Dingen, die wir tagtäglich tun. Regional und saisonal einkaufen, weniger Müll produzieren, Energie sparen – all das sind kleine Schritte mit großer Wirkung. Es geht nicht um Perfektion, sondern darum, sich auf den Weg zu machen.
Soziale Verantwortung: Eine enkel:innentaugliche Welt ist nicht nur nachhaltig, sondern auch gerecht. Es geht darum, Verantwortung für andere mitzutragen – indem wir auf faire Produktionsbedingungen achten, solidarisch handeln und uns für mehr Chancengleichheit einsetzen.
Langfristiges Denken: Enkel:innentauglich zu leben bedeutet, die Bequemlichkeit der Gegenwart manchmal zurückzustellen, um eine bessere Zukunft zu schaffen. Das kann heissen, auf umweltfreundlichere Alternativen umzusteigen oder sich politisch zu engagieren. Manchmal braucht es Mut, neue Wege zu gehen.
Wie können wir so leben?
Es ist leicht, sich von der Grösse der Aufgabe überwältigen zu lassen. Doch enkel:innentauglich zu leben bedeutet nicht, von heute auf morgen alles zu ändern. Es beginnt mit der Frage: Wo kann ich etwas bewirken?
- Kleine Schritte zählen: Ob es darum geht, weniger Plastik zu verwenden, öfter das Fahrrad zu nehmen oder bewusster einzukaufen – jede kleine Veränderung zählt.
- Inspiration suchen: Es gibt viele Ideen und Geschichten von Menschen, die enkel:innentauglich leben. Sie können uns motivieren, unseren eigenen Weg zu finden.
- Verantwortung übernehmen: Für die Welt, für andere und für die Zukunft – in dem Rahmen, der uns möglich ist.
Zukunft gestalten
Ich frage mich oft, wie ich der nächsten Generation ein Vorbild sein kann. Was werde ich ihnen eines Tages erzählen, wenn sie wissen möchten, was wir für die Zukunft getan haben? Enkel:innentauglich zu leben bedeutet für mich, die Welt nicht als Besitz zu betrachten, sondern als etwas, das wir bewahren – für die, die nach uns kommen.
Es ist ein Versprechen, mit kleinen Schritten heute dafür zu sorgen, dass morgen noch Hoffnung bleibt. Denn es sind genau diese kleinen Schritte, die in ihrer Summe eine grosse Wirkung entfalten können.