
Mit 12 Jahren machte Madeleine Boll (71) aus Granges bei Sierre Schlagzeilen: Sie war 1965 die erste lizenzierte Fussballerin der Schweiz. Sie nahm im Rahmen des Europacups der Cupsieger in Sion mit der C-Juniorenmannschaft am Vorspiel teil. Reporter aus vielen Ländern waren für die Partie Sion gegen Galatasaray Istanbul angereist und verbreiteten die Sensation, dass ein Mädchen in einer sonst reinen Jungenmannschaft mitspielte. Die Funktionäre aber, rieben sich die Augen: Ein Mädchen im Team? Geht gar nicht – aus statuarischen und medizinischen Gründen. Die Lizenz wurde ihr wieder entzogen.
Frauenfussballclubs im Aufwind
Während der Schulzeit spielte sie in einem Lausanner Club mit, bis die Trainingszeiten mit dem obligatorischen Haushaltunterricht kollidierten.
Sie aber kickte weiter. Anfangs in viel zu grossen Männerleibchen – Hauptsache die Clubfarben stimmten. 1970 bis 1974 wohnte sie im Wallis und spielte in Italien. Dies bedeutete zwar Spass, der Zeitaufwand für Training in Mailand, Spiele, An- und Rückreise war aber gross und ausser Reisespesen kein Verdienst.
Seither hat sich vieles geändert: Seit den 1960er Jahren sind weltweit und in der Schweiz viele Frauenfussballclubs entstanden. Über 1000 Clubs in der Schweiz haben ein Frauenteam und mittlerweile spielen über 41’000 Spielerinnen. Immer noch könnte vieles besser organisiert, anerkannt und honoriert sein.

Madeleine Boll war für viele junge Spielerinnen ein grosses Vorbild. Heute gibt sie sich bescheiden und verweist auf die jetzt berühmten Kickerinnen. Dennoch und immerhin: Das Maskottchen zur Frauen EM 2025 «Maddli» ist nach ihr benannt.
En route pour le foot
Im Vorfeld der Frauen EM 2025 ist Madeleine Boll eine gefragte Person: Gefühlt alle wollen sie für Interviews, Reportagen, Artikel, Präsentationen. Einige Nachrichten schwirrten hin und her, bis ein äusserst vergnügtes Gespräch per Telefon möglich wurde.
«Es ist viel, es macht Freude, aber es ist auch anstrengend.»
Madeleine Boll
«Es ist viel, es macht Freude, aber es ist auch anstrengend. Wer fragt nach der EM im August dann noch nach mir? Ich werde weinen und mit Wehmut an den grossen, schönen anstrengenden Rummel denken», eröffnet sie das Gespräch.
Anmutige Mädchen auf Walliser Rasen
Sie muss gleich – wahrscheinlich schon zum hundertsten Mal – erklären, was denn 1965 die «medizinischen Gründe» für die Aberkennung der Spielerlizenz waren: Fussball sei ungesund und gefährlich für Mädchen und Frauen, befand man. Dies, obwohl der Hausarzt meinte, Madeleine sei stark und sportlich. Den Funktionären war das egal. In den Statuten des Vereins waren Mädchen nicht vorgesehen. Für Mädchen passte Ballett und Gymnastik.
«Fussball sei ungesund und gefährlich für Mädchen, befand man – obwohl mein Hausarzt meinte, ich sei stark und sportlich.»
Madeleine Boll

In der Familie und am Wohnort erhielt Madeleine viel Unterstützung, wie sie mit grosser Dankbarkeit berichtet. In Granges bei Sion, wo sie aufwuchs, gab es ausser Sport nicht viele Unterhaltungsmöglichkeiten für Jugendliche. Fussball war also willkommen, egal, ob für Buben oder Mädchen. Die Mutter freute sich, dass Madeleine ihre Begeisterung. ausleben konnte. Ihr wäre dies in der Jugendzeit noch nicht möglich gewesen. Der Vater vermittelte und engagierte sich für die Leidenschaft seiner Tochter. Das ganze Dorf nahm an ihrem Sportlerinnenleben teil, sah sie seit jeher spielen und wusste: «C’était une dance, une passion!».
Italiener, die Frauenversteher!
Italiener, Machos oder Frauenversteher? Fussballbezogen eindeutig Frauenversteher! In Italien – im Gegensatz zu anderen Ländern – erlebten die Fussballerinnen schon früh grosse Unterstützung. Mitgeholfen hat bestimmt, dass Fussball in Italien Kulturgut ist.
1970 wurde in Salerno eine erste inoffizielle Weltmeisterschaft durchgeführt. Gesponsert wurde sie vornehmlich durch den Spirituosenhersteller (!) Rossi&Martini. Madeleine war Teil des Nationalteams und damit in Italien dabei. Bald schon fanden offizielle Weltmeisterschaften für Frauenfussball statt. Madeleine reiste nach Schweden Rom, Riga und an viele weitere Destinationen und war stolz darauf, ganz von Anfang an dabei zu sein.
Sport – ihre Schule fürs Leben
Madeleine Boll absolvierte erst eine KV-Lehre («moi je ne suis pas faite pour ça»), dann wurde sie «aide familiale». An einer Abschlussprüfung hatte sie Glück. Eine Expertin fragte, was sie denn gut könne? Fussball. Ihre Antwort entzückte: «Das ist perfekt! Dann haben Sie gelernt zu kämpfen und mit Niederlagen umzugehen.»
«Ohne Fussball wäre ich nie so weit herumgekommen, hätte ich nie so wertvolle Begegnungen gehabt.»
Madeleine Boll
Tatsächlich konnte sie diese harte Schule zeitlebens gut gebrauchen. Hinzu kommen all die Reisen, Freundschaften, die Gemeinschaft. Ohne Fussball wäre sie nie so weit herumgekommen, hätte sie nie so wertvolle Begegnungen gehabt, ist Madeleine Boll überzeugt.
Wie weiter für den Frauenfussball?
Heute spielen Frauen in grossen Stadien und vor viel mehr Publikum. Doch der Unterschied zum Männerfussball ist immer noch riesig.
Was braucht es ausser Geld sonst noch dringend fürs Vorankommen im Frauenfussball? Hier wird Madeleine Boll deutlich: Die Rahmenbedingungen für die Spielerinnen müssen verbessert werden. Kaum eine Fussballerin könne vom Spielen leben. Hier brauche es finanzielle Fortschritte und viel mehr Akzeptanz, damit Spiele und professionelles Training mit Beruf und Ausbildung vereinbar werden.
Auch viel mehr und neue Sportplätze sind nötig; bereits heute seien die Trainingsmöglichkeiten knapp. Mit der Women’s EURO 2025 und den grossartigen Fussballerinnen und Sportkommentatorinnen, die sich bereits engagieren, bekomme der Frauenfussball bestimmt Aufschwung und dann werde es noch enger.
Was könnte der Männerfussball von den Frauen lernen?
Diese Frage amüsiert Madeleine Boll! Einen Moment später ringt sie sich durch: etwas weniger Aggressivität und Wehleidigkeit auf dem Platz wären schon mal gut und durchaus auch etwas weniger Lohn.

Noch einen Anruf tätigen, dann ist ihr Medienpensum für diesen Tag absolviert. Morgen nimmt sie sich frei für Freundinnen und freut sich auf den Samstag, da sie Ehrengast im Stadion des FC Granges sein wird. Das Stadion heisst ab sofort Stade Madeleine Boll.
Frauen EM 2025 bei UND Generationentandem:
Die Schweiz ist vom 2.- 27. Juli 2025 Gastgeberin der 14. Frauen Europameisterschaft. UND Generationentandem fiebert mit:
Dienstag, 26. Juni 2025, 19 Uhr | Offenes Höchhus: Generationentalk Aus der Nische ins Rampenlicht. Gäste: Katharina Ali-Oesch (55) (Stadt Thun), Alana Burkhart (25) (Spielerin Rot-Schwarz, Thun).
Vom 2. bis 11. Juli findet gibt’s sechsmal Public Viewing im Offenen Höchhus