
Bereits mit 15 Jahren begann Victor Keller seine Lehre als Maschinenmechaniker und Werkzeugmacher in den Lehrwerkstätten Bern. Die «Lädere» Bern, wie sie im Volksmund genannt wird, bietet eine vierjährige Vollzeitausbildung in Theorie und Praxis an, an die sich eine zweijährige Ausbildung zum Werkzeugmacher anschliesst.
Im vierten Ausbildungsjahr kam die Einberufung zur Rekrutenschule. Victor wollte den Militärdienst verweigern, wurde aber darüber informiert, dass eine Verweigerung die Entlassung aus der Lehre zur Folge hätte. Also absolvierte er die Rekrutenschule als Mirage-Mechaniker, was faszinierend war, denn es bedeutete, das ganze Flugzeug kennen zu lernen, die Triebwerke, alle Armaturen auswendig zu lernen, von denen es im Cockpit insgesamt 117 gab. Der Gewissenskonflikt ergab sich aus der Überlegung, was solche Maschinen anrichten können, ein Flug kann ein Quartier zerstören. Es war ihm nicht mehr möglich, in der Armee weiterzumachen. Nach Befehlsverweigerungen wurde er schliesslich entlassen.
Der Berufseinstieg scheiterte daran, dass die Maschinenindustrie in der Schweiz 2’500 Mechaniker zu viel ausgebildet hatte. Grund dafür waren die Auswirkungen der Ölkrise in den 70er Jahren. Temporärarbeit war keine Lösung, da sie wenig mit den erlernten Fähigkeiten zu tun hatte. Eine gute Alternative war ein Aufenthalt in einem Kibbuz in Israel. Dort konnte er ideal für den Unterhalt des Bewässerungssystems eingesetzt werden. Zurück in der Schweiz folgten weitere Jobs im Stahlbau und dann kam Anfang der 80er Jahre ein gutes Angebot als Geschäftsführer einer Spielautomatenfirma namens Ranco AG.
Eine Ausbildung brauchte er dafür nicht, da er in seiner Ausbildung auch Elektrotechnik gelernt hatte. Es waren die ersten Videospiele, bei denen man nach Münzeinwurf auf dem Bildschirm zum Beispiel Tischtennis spielen konnte. Integrierte Schaltkreise waren Neuland. Die Geräte wurden in Spielsalons und Hotels aufgestellt. «Wir haben 600 Geräte in der Schweiz aufgestellt. Der Laden brummte. So viel Geld habe ich danach nie wieder verdient. Wir wurden oft angerufen und gebeten, die Kasse zu leeren, weil nicht mehr gespielt werden konnte. Aus einem einzigen Automaten kamen oft nach zwei Wochen über 2’500 Einfrankenstücke heraus. Sogar im Merkur im Bälliz wurden wöchentlich 2’000 Franken kassiert, Videospiele wurden zur Sucht, zum sozialen Problem. Leider haben die Besitzer die Ranco AG ohne Vorwarnung weiterverkauft. Der Harry Deutsch Verlag verkaufte seine Aktien nach vier Jahren an den schärfsten Konkurrenten, den ich bis dahin so gut wie möglich in Schach gehalten hatte.»
Learning by doing
Aber er hat viel gelernt, was Management und Verhandlungstaktik angeht. Alles war learning by doing. Irgendwann geriet er in eine Krise. Er hatte Geld auf dem Konto und beschloss, nach Amerika zu gehen. Er wollte die Wolkenkratzer, die Architektur und die Brücken sehen, die ihn so faszinierten. Er folgte dem Rat, nach Denver zu fliegen und von dort aus mit dem Greyhound-Bus das Land zu erkunden. Nach nur zwei Stunden Fahrt Richtung Westen wurde ihm klar, dass die wunderschöne Gegend zu schade war, um einfach mit dem Bus durchzufahren, er musste aussteigen, er wollte den Kontinent auf die langsame Tour entdecken. Er traf Suzy und wurde angeheuert, um auf einer riesigen Marihuanafarm zwischen jede Marihuanapflanze eine Maispflanze zu setzen. Drei Monate lang machte er das.
«Das war das Beste, das ich je gemacht habe – ich bin bei mir angekommen.»
Der Trick bei der Infrarot-Überwachung der Drogenfahnder: Im Infrarotbereich hat jede Pflanze auf dem Bildschirm im Hubschrauber einen anderen Grauton. Mais hat einen sehr ähnlichen Farbton wie Marihuana, übertönt aber den von Marihuana. Wenn nun ein Hubschrauber mit einer Infrarotkamera über ein Marihuanafeld fliegt, hat der Drogenfahnder den Eindruck, es handele sich um ein Maisfeld. Mit Hubschraubern und Infrarot wurden Marihuanafelder gescannt, um illegale Anbauflächen aufzuspüren. Mais und Marihuana sahen sich auf dem Bildschirm sehr ähnlich. Durch die Vermischung der Pflanzen konnten die Felder jedoch nicht mehr identifiziert werden.
Für Victors weiteren beruflichen Werdegang war diese Erkenntnis jedoch nicht hilfreich. Er verdiente gutes Geld und seine Liebe zum Wilden Westen war geweckt. Nach einem halben Jahr kaufte er sich ein Auto und ein Zelt, um auf eigene Faust die Wildnis, die Weite und die Einsamkeit zu erleben. «Das war das Beste, was ich je gemacht habe, ich bin bei mir angekommen.» Später lebte er in Los Angeles, in Hollywood, bei einer Tänzerin und ihrem Mann. Die Tänzerin war eine der drei Garderobieren von Bob Dylan.
Später fuhr er nach Norden, entlang der Küste von Oregon. Auf dieser Reise wurde ihm klar, dass er sich selbstständig machen wollte. Viele Althippies hatten in Oregon Galerien eröffnet, mit schönen Bildern, perfekt gerahmten Kunstdrucken, kombiniert mit Cafés, Orten zum Verweilen. Dieses Geschäftsmodell inspirierte Victor und er beschloss, in die Schweiz zurückzukehren, sich selbstständig zu machen und Bilder zu rahmen. Bis dahin waren die meisten Bilder mit Passepartouts gerahmt. In Amerika hatte er das Nielsen-System kennen gelernt und wollte genau diese Alurahmen in allen Farben als neues Geschäftssystem lancieren. Technisch war das keine grosse Herausforderung. Rahmen, Glas und Pappe, alles sehr genau zuschneiden, das ging ihm leicht von der Hand. Wichtig war jedoch die richtige Geschäftsstrategie, um Kunden zu gewinnen. Um Geld von einer Bank zu bekommen, brauchte er einen Businessplan – von einem Start-up sprach man damals noch nicht. Nach kurzer Zeit an der Pestalozzistrasse konnten er und sein Partner Kurt das Geschäft am Rathausplatz eröffnen. Kurt hatte bei Coop Detailhandelsfachmann gelernt.

«Ich habe es einfach geglaubt, ich war überzeugt, dass es funktionieren würde.»
«Ich habe es einfach geglaubt, ich war überzeugt, dass es funktionieren würde. Kurt war ein guter Verkäufer und ich hatte genügend technisches Know-how. Die Liegenschaft beim Rathaus haben wir selber umgebaut. 70’000 Franken haben wir vielleicht etwas leichtsinnig in diesen Laden investiert. Kurt war ähnlich unterwegs wie ich: Klar, das schaffen wir, das machen wir einfach. Für mich war auch klar, ich will das machen, was ich will, ich will das machen, was ich kann. Ein Werber hat uns noch ein professionelles Image verpasst. 25 Jahre lang hat es funktioniert, aber wir sind nicht reich geworden. Wir konnten davon leben, aber wenn wir Familie gehabt hätten, wäre es eng geworden.» Das Wichtigste für uns war damals aber, dass wir völlig selbstständig das machen konnten, was wir wollten. Nach der Jahrtausendwende wurde der Konkurrenzkampf immer härter und ein Interessent für die Übernahme kam gerade recht. Kurt war schon weg und ich hatte schon ein neues Projekt im Kopf.
Künstlerische Verwirklichung
Seine Neigung zur Kunst und zum Gestalten wurde immer deutlicher. Victor wollte sich auch künstlerisch verwirklichen und startete das Projekt Ideal-Markt «Lebensmittel». Das Projekt wurde zu einer Parodie auf unseren Konsum. Alle Ideale unserer Gesellschaft, auch unsere Lebensmittel, sollten käuflich sein. In seinem Supermarkt konnte man leere Verpackungen von Produkten wie Liebe, Mut, Aggression, Demut, Ruhe oder Geduld kaufen. Aus vollen Paletten, wie damals bei Denner, mit Diebstahlsicherung, Kasse und Einkaufstaschen. Der Ideale Markt wurde mit grossem Erfolg in der Galerie von Gunten in Thun, in der Reithalle Bern in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Bern und im Stade de Suisse ausgestellt. Die Besucher haben sich reichlich mit Idealen in physischer Form beschenkt.
Nach dem Verkauf der Kunsthandlung am Rathausplatz Thun wurde ein neues Geschäftsmodell gesucht. In seinem Alter, mittlerweile 51 Jahre, ohne Einkommen, als Selbständiger Arbeitslosengeld beziehen, ist unmöglich, obwohl sie genauso viel einzahlen. Noch mehr Selfmade-Ausbildung: Sein neues Geschäftsmodell ab 2004: Fotodruck-Dienstleister für Profis. Mit Hilfe von Nikon und Epson eröffnete Victor das zweite digitale Fotolabor der Schweiz, Printout.ch, an der Hofstettenstrasse in Thun.
Als Rüstzeug für das neue Geschäftsmodell waren 200 Stunden Ausbildung in den bildgebenden digitalen Disziplinen in den Entwicklungsabteilungen von Epson, Nikon oder Adobe nötig. Eine Ausbildung an einer Berufsschule war damals nicht möglich, weil schlicht die Erfahrung fehlte. Dieses damals revolutionäre Wissen war die Grundlage für das neue Geschäftsmodell. So konnten die ersten grossen Fotodrucke produziert werden. Er wurde zum Dienstleister und bot hochwertige Fotodrucke auf damals zwölf verschiedenen Materialien an. Mit dem Erlös aus dem Verkauf des Ladens am Rathausplatz eröffnete er sein neues Geschäft PRINTOUT.ch. Er konnte den Kund:innen anbieten, ihr Foto auf jedes gewünschte Material zu drucken, von klein bis riesig. Im Jahr 2005 waren dies noch neue Möglichkeiten, die heute als selbstverständlich gelten.
Erfolgreich ohne Schulabschluss, mit einer Berufslehre, die nie zum Broterwerb wurde. Der Erfolg war nie garantiert, aber der Glaube an die Machbarkeit und die eigenen Fähigkeiten machte aus Victor einen erfolgreichen Geschäftsmann, Marke Selfmade.
«Für mich war auch klar, ich will das machen, was ich will, ich will das machen, was ich kann.»
Victor Keller erlebte viele berufliche Wendungen und Projekte, die ihn immer wieder herausforderten und ihm neue Perspektiven eröffneten. Das ständige Streben nach Neuem und die Bereitschaft, sich auf unbekanntes Terrain zu wagen, zeichneten seinen Lebensweg aus. So gelang ihm der Schritt von der traditionellen Bilderrahmenproduktion zur modernen Foto- und Drucktechnik, mit der er seine Leidenschaft für Fotografie und Kunst voll ausleben konnte.

Der Übergang zur digitalen Welt und die Einführung neuer Technologien waren für Victor eine spannende Zeit. Mit seinem Geschäft PRINTOUT.ch konnte er die Wünsche seiner Kund:innen erfüllen und ihnen die Möglichkeit bieten, ihre Lieblingsfotos in beeindruckender Qualität auf verschiedenen Materialien drucken zu lassen. Dieser innovative Ansatz und seine Anpassungsfähigkeit an die sich ständig ändernden Marktbedürfnisse machten ihn zu einem Pionier auf seinem Gebiet.
Trotz der vielen Veränderungen und Herausforderungen ist Victor seiner Leidenschaft und seinem Unternehmergeist immer treu geblieben. Er hat gezeigt, dass man mit Mut, Kreativität und Offenheit immer neue Wege finden kann, um seine Träume zu verwirklichen und erfolgreich zu sein. Seit vier Jahren ist er nun im Ruhestand und seine neuen Leidenschaften sind Reisen, Fotografieren und mit diesen Eindrücken Audiovisionen zu produzieren.