Frauen links, Männer rechts
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Frauen eher links – Männer eher rechts? Zumindest im gut gefüllten Saal des Bistro Gymnasium Thun Schadau sah es danach aus. Schmunzelnd meinte Lisa Frisch, Projektleiterin beim Forschungsinstitut Sotomo: «Ich kann nicht umhin, festzustellen: Frauen sitzen eher links im Saal, Männer eher rechts.»
Links-Rechts-Graben oder bloss «Gräbli»?
Bereits die Einstiegsrunde zeigt: Der Graben verläuft bei den jungen Menschen nicht unbedingt zwischen den Geschlechtern. Gymnasiast und Präsident der Jungfreisinnigen Berner Oberland, Leandro Aeschbacher, sieht einen grossen Graben zwischen politischen und unpolitischen jungen Menschen und bloss ein «Gräbli» zwischen linken Frauen und rechten Männer. Erika Brand von «Die Feministen» weiss auch aus ihrem Berufsalltag als Lehrerin, dass es stark auf das Umfeld in Schule und Freizeit ankommt.

Ähnlich sieht es Noëmi Porfido, im Thuner Parlament für die Grünen: Als Sozialarbeiterin ist sie in der Jugendarbeit tätig, wo sie oft Jugendliche aus anderen Kulturen und mit anderen Einstellungen sieht. Mathias Müller, SVP-Grossrat, Berufsoffizier, Psychologe und Podcaster, stellt dagegen eine immer grösser werdende Polarisierung in der gesamten Gesellschaft fest.

Links – Rechts oder SP – SVP?
Dass Frauen politisch eher links ticken war nicht immer so, erklärte Lisa Frisch. 1971, bei der Einführung des Frauenstimmrechts auf Bundesebene, politisierten die Frauen eher rechts, da sie stärker religiös verankert waren und weniger integriert im Arbeitsleben.
Im Jahr 2010 bezeichneten sich 35 Prozent der Frauen unter 30 Jahren als politisch links der Mitte. Bis 2022 stieg dieser Anteil auf 52 Prozent. Bei den Männern in derselben Altersgruppe nahm im gleichen Zeitraum der Anteil jener zu, die sich rechts der Mitte einordneten – von 29 Prozent im Jahr 2010 auf 43 Prozent im Jahr 2022.

Lisa Frisch sieht den markantesten Unterschied zwischen den Geschlechtern derzeit im Wahlverhalten: Während 31 Prozent der Frauen eher die SP unterstützen und nur 16 Prozent die SVP, zeigt sich bei den Männern eine gegenläufige Entwicklung – ihr Stimmenanteil zugunsten der SVP hat deutlich zugenommen.
Gleichstellung treibt auseinander
Frauen sprechen Themen zu Schutz von Umwelt sowie Frauen- und Minderheitsrechten an. Mit diesen Fragen befassen sich vornehmlich linke Parteien.
Ab 2017 politisierte die MeToo-Bewegung viele Frauen und damit einhergehend spaltete die Frage der Geschlechtergerechtigkeit die jungen Menschen: Gemäss einer Umfrage von GfS von 2024 beurteilen junge Männer und Frauen die Erreichung der Gleichstellung sehr unterschiedlich: Für die Mehrheit der Frauen (75 Prozent, gegenüber 40 Prozent der Männer) ist sie nicht erreicht. Gleichstellung zeigt sich vor allem in Beziehungen und damit kommen Emotionen ins Spiel.
Emotionen um Mann-Frau-Thema
Die Emotionen über die noch unerreichte Gleichstellung der Geschlechter wurden auch am Podium deutlich sichtbar. Während Mathias Müller sich für die anscheinend verunsicherten Männer stark machte – teilweise sollen sie vor lauter Angst übergriffig zu werden, nicht mehr in den Ausgang gehen – erzählte Erika Brand, dass sie Ungeduld und Wut bei jungen Frauen erlebt, weil sich einfach noch nicht genügend getan hat.
Noëmi Porfido mahnte, dass wenn diese Fragen nicht richtig ausdiskutiert werden, sich zu wenig bewegt und beide Seiten stets dieselben Klagen anstimmen, die Männer oft abblocken mit dem bekannten «Ach jetzt das schon wieder, kann man eigentlich nichts mehr richtig sagen?».

Braucht es eine Männerbewegung?
Das Thema der Verunsicherung bei Männern – und die Angst, die damit einhergehen kann – prägte die weitere Diskussion.
Leandro Aeschbacher erinnerte an die hohe Suizidrate bei jungen Männern, die ihre Emotionen nicht zeigen können oder dürfen und wenig Möglichkeiten zur Aussprache haben. Er wünsche sich, dass der Feminismus vermehrt die Männer abhole.

Mathias Müller verurteilte das Denken in Kategorien Mann und Frau, das spiele bei der SVP auch keine Rolle. Wichtig sei doch vor allem, ein guter Mensch zu sein und nicht in eine Rolle gezwängt zu werden. Für Mathias Müller brauche es Vielfalt und den Mut, über den Tellerrand hinauszuschauen.
Lisa Frisch wandte ein, die Frauenbewegung habe vieles bewirkt, es liege nun an den Männern zu sagen, ob sie eine gleichgestellte Gesellschaft wollen. Gleichstellung müsse gesamtgesellschaftlich gelöst werden.
Hier hakte Moderator Elias Rüegsegger ein und benannte den Elefanten im Raum: «Braucht es jetzt eine Männerbewegung?»
Was ist zu tun, damit es gut kommt?
Mathias Müller riet beiden Geschlechtern Wünsche abzufragen. Noëmi Porfido äusserte hier ihre Zweifel. Genau da fühle sie sich als Frau angegriffen, da sie nicht die gleichen Möglichkeiten habe. Und schon gehe die Diskussion zu Unterschieden Mann-Frau wieder los.

Alle Podiumsteilnehmer:innen sind sich einig: Dialog muss sein, Toleranz auch, ehrliches Interesse am anderen sowieso und unbedingt nicht nur Meinungen vertreten, denn alle wollen sich wohlfühlen.
Gut, haben wir darüber gesprochen und alles paletti? Mathias Müller ist überzeugt: «Es kommt schon gut».