Generationentalk: Aus der Nische ins Rampenlicht: Frauenfussball-EM 2025 in der Schweiz
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Was bewegt den Frauenfussball heute – und was braucht es, damit aus wachsender Aufmerksamkeit nachhaltige Veränderung wird? Diesen Fragen widmete sich der Generationentalk vom 24. Juni 2025 im Dachstock des Offenen Höchhus in Steffisburg. Eingeladen hatte UND Generationentandem, moderiert wurde der Abend von Lea Schütz (22). Zu Gast waren Alana Burkhart, Spielerin beim FC Thun Frauen, und Katharina Ali-Oesch, Direktorin Bildung, Sport und Kultur der Stadt Thun.

Alana Burkhart brachte es gleich zu Beginn auf den Punkt: Sie spiele nicht Frauenfussball, sagte sie, sie spiele Fussball. Und liess damit keinen Zweifel daran, worum es an diesem Abend eigentlich ging.
EM als Chance – und Prüfstein
2025 ist die Schweiz erstmals Gastgeberin der Fussballeuropameisterschaft der Frauen. Ein sportliches Grossereignis, das weit über den Rasen hinausreicht. Während Männerfussball medial omnipräsent ist, kämpft der Fussball der Frauen noch immer um Sichtbarkeit, Anerkennung und faire Bedingungen. Die Heim-EM gilt vielen als historische Gelegenheit, hier aufzuholen – oder besser gesagt: aufzuschliessen. In Thun, wo das erste Spiel des Turniers stattfinden wird, ist die Vorfreude spürbar. Katharina Ali-Oesch sprach von einer «einmaligen Gelegenheit», die man nutzen wolle – nicht nur als Gastgeberstadt, sondern auch als Mitgestalterin einer faireren Sportlandschaft.

Ein Sport mit langer Vorgeschichte
Die Geschichte des Frauenfussballs ist eine Geschichte des Ausschlusses. In der Schweiz wurde er nie offiziell verboten – aber de facto verhindert: durch fehlende Lizenzen, fehlende Strukturen und fehlenden Rückhalt. In Ländern wie Deutschland, Österreich oder den Niederlanden war das Verbot bis in die 1970er-Jahre sogar gesetzlich verankert. Dass solche Argumente heute befremden, ist ein Fortschritt. Dass ihre Auswirkungen bis heute spürbar sind – in der Medienpräsenz, in der Bezahlung, in der Infrastruktur – ist eine andere Realität.

Erfahrung auf dem Platz – und daneben
Alana Burkhart erzählte von ihrem Weg in den Fussball: inspiriert vom älteren Bruder, zwischenzeitlich ausgebremst durch fehlende Mädchenmannschaften, später allein unter Jungs. Dass sie sich als einziges Mädchen in der Schirigarderobe umziehen musste und auf dem Platz abwertende Sprüche hörte, sei Alltag gewesen. Erst mit der Gründung reiner Mädchenteams sei etwas wie Teamgeist entstanden, sagte sie, und nicht nur das Gefühl, sich ständig behaupten zu müssen.

Vorbildfunktionen spielten in ihrer Kindheit kaum eine Rolle. «Ich mochte David Villa, weil ich nichts anderes kannte», sagte sie. Erst mit Spielerinnen wie Noëlle Maritz sei für sie sichtbar geworden, dass auch Frauen international Karriere machen können. Heute gebe es für junge Mädchen deutlich mehr Orientierung, was wichtig sei – aber eben noch nicht selbstverständlich.
Wenn Sichtbarkeit nicht reicht
Katharina Ali-Oesch berichtete von konkreten Massnahmen der Stadt Thun: einem neuen Schulsportangebot «Fussball für Mädchen», das schon beim Start ausgebucht war. Man habe gemerkt, wie gross das Bedürfnis sei. Deshalb investiere die Stadt gezielt in Infrastruktur, etwa in geschlechtergerechte Garderoben oder neue Trainingsplätze. Es gehe darum, Hürden abzubauen – auch finanziell. Programme wie die «blaue Karte» oder die KulturLegi sollten Kindern den Zugang ermöglichen, unabhängig vom Budget der Eltern.

Sponsoren statt Eintrittskasse
Trotz wachsender Begeisterung steht der Frauenfussball finanziell auf wackeligen Beinen. Alana Burkhart schilderte offen, dass sie und ihre Teamkolleginnen teils selbst Geld sammeln mussten, um Trainingslager oder Auswärtsreisen zu ermöglichen. Von Ticketverkäufen oder Trikotverkäufen allein könne man nicht leben. Deshalb sei Sponsoring zentral – nicht als Zusatz, sondern als Basis. Auch Social Media sei wichtig, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Nur wenn die Leute wüssten, dass ein Spiel stattfinde, könnten sie überhaupt kommen. Dass beim Spiel gegen Yverdon viele Kinder und Familien zuschauten, sei ein starkes Signal gewesen. Frauenfussball, so sagte sie, sei nahbar – ein Ort, an dem man sich willkommen fühlen könne.
Zukunftsbilder statt Ausnahmezustände
Wie könnte der Fussball in zehn Jahren aussehen? Der Talk wagte ein Gedankenexperiment: Thun im Jahr 2035. Katharina Ali-Oesch sprach von einer Stadt, in der Infrastruktur kein Thema mehr sei – weil genug Plätze vorhanden seien und die Förderung unabhängig vom Geschlecht funktioniere. Sie hoffe, dass Gleichstellung dann nicht mehr eingefordert, sondern einfach gelebt werde.

Alana Burkhart wünschte sich eine Liga, in der Spielerinnen vom Fussball leben können – und nicht nebenher arbeiten müssten. Sie sprach von vollen Stadien, fairen Löhnen und davon, dass es mehr Trainerinnen, Funktionärinnen und Schiedsrichterinnen brauche. Auch in unteren Ligen solle es normal sein, dass Frauen spielen. Fussball, sagte sie, müsse für alle möglich sein – auf jedem Niveau.
Fussball – nicht Frauenfussball
Gegen Ende des Gesprächs kam die Sprache auf ein oft übersehenes Detail: die Sprache selbst. Warum spreche man von Frauenfussball – aber nie von Männerfussball? Alana Burkhart sagte, sie sei stolz, beim FC Thun Frauen zu spielen. Aber sie hoffe, dass es irgendwann einfach heisse: Thun spielt – ohne Zusatz, ohne Erklärung. Dass man nicht ständig rechtfertigen müsse.
Was bleibt – und was kommen muss
Der Generationentalk zeigte: Vieles ist in Bewegung. Die EM 2025 bringt Aufmerksamkeit. Die Basis wächst. Die Gespräche finden statt – auch dort, wo vorher geschwiegen wurde. Doch Gleichstellung ist kein Selbstläufer. Sie braucht Strukturen, Ressourcen – und Menschen, die dranbleiben.

Alana Burkhart brachte es auf den Punkt: Man könne nicht alles vergleichen, aber man könne alles hinterfragen. Und vielleicht war genau das die stille Botschaft des Abends: Fussball gehört allen – man muss ihn nur entsprechend organisieren.
Sexismus – ein Thema, das nicht fehlen darf
Obwohl Sexismus nicht explizit thematisiert wurde, bleibt er eine bedeutsame Realität – auf und neben dem Spielfeld. Recherchen zeigen, dass Mädchenmannschaften oftmals später trainieren oder weniger Medienaufmerksamkeit bekommen als ihre männlichen Pendants. Sogar von verbalen Anfeindungen ist die Rede – wie etwa die Grasshopper-Spielerin Leandra Flury berichtete, die am Spielfeldrand mit sexistischen Kommentaren konfrontiert wurde.
Auch struktureller Sexismus ist kein Relikt der Vergangenheit: Im Verband entscheiden immer noch zu wenige Frauen über Trainingszeiten, Budgets oder Ausrüstungen, was Spielerinnen eher benachteiligt. Und in den Spielerkabinen, auf dem Platz oder in der Medienlandschaft sind sexistische Sprache und Stereotypen nach wie vor verbreitet.
Diese unterbelichtete Dimension führt nicht nur zu Frustration und Einschüchterung, sie kann Spielerinnen von Sport ganz fernhalten. Der Generationentalk zeigte viele Lösungsansätze – doch ein bewusster Umgang mit Sexismus, klare Regeln gegen verbale Angriffe und strukturelle Gleichbehandlung müssten ebenso Teil jeder Zukunftsstrategie sein.