Liebe Marta, woher kommst du?
Geboren wurde ich in Ungarn. Mit fünfeinhalb Jahren kam in die Schweiz. Während der Revolution flüchteten meine Eltern mit mir in die Schweiz. Mein Vater war Polizist und fürchtete eine Verhaftung durch die Russen. Ich kann mich daran kaum mehr erinnern.
Ich besuchte in Rohrschach den Kindergarten und lernte schnell die hiesige Sprache. Dann trennten sich meine Eltern und meine Mutter ging nach Bern. Da meine Eltern arbeiten mussten, konnten sie sich nicht um mich kümmern. Ich wurde ins Kinderdorf Pestalozzi in Trogen gegeben. Es war hart, meine Eltern so wenig sehen zu können. Sie kamen mich manchmal besuchen. Während der Schulferien durfte ich zu ihnen. Im Kinderdorf hatte es Kinder aus verschiedenen europäischen Ländern. Jedes Land hatte dort sein Haus. Ich wurde bis zur Sekundarstufe auf Ungarisch unterrichtet. Die Freizeitaktivitäten hatten wir jedoch gemeinsam mit den Kindern der anderen Nationen. So wurde ich mit kultureller Vielfalt bekannt und beschenkt. Dafür bin ich noch heute dankbar.
«Während der Revolution flüchteten meine Eltern mit mir in die Schweiz. Mein Vater war Polizist und fürchtete eine Verhaftung durch die Russen.»
Marta Vajda
Um die Sekundarstufe abzuschliessen, kam ich zu meiner Mutter nach Bern. Danach besuchte ich das Lehrerinnenseminar. Ich wusste schon als Achtjährige, dass ich Lehrerin werden wollte.
In Chile arbeitete ich von 1983-86 an der Schweizerschule.
Doch der Beruf als Lehrerin genügte mir nicht. So bildete ich mich als Psychomotorik-Therapeutin weiter. Das Tanzen und die Musik waren und sind mir sehr wichtig. Ich spielte Klavier und probierte verschiedene Tanzstile aus. Das Bewegen bereitete mir immer Freude. Nun konnte ich es in meinen Beruf einbetten. Tätig war ich in und um Bern.
Wo stehst du jetzt?
Ich wohne seit den 90er Jahren auf dem Land. Da fühle ich mich wohl. In der Stadt möchte ich nicht leben, will aber trotzdem in der Nähe sein. So war es schon immer bei mir. All meinen Hobbys gehe ich in der Stadt nach. Einmal pro Woche gehe ich ins Ballett. Wir sind nur eine kleine Gruppe, die Freude daran hat. Wir machen aber keine Aufführungen mehr. Mit einem Teil der Gruppe tanze ich schon seit 30 bis 40 Jahren. Mein anderes Hobby ist Tai-Ji. Dorthin gehe ich zweimal die Woche und einmal im Monat ins Schwert-Tai-Ji. Es ist immer noch das Bewegen, was mir am meisten Freude macht.
Mit 62 Jahren habe ich mich pensionieren lassen. Seither gehe ich im Sommerhalbjahr nach Ungarn. Ein Jahr vor meiner Pensionierung habe ich dort das Haus meiner Mutter geerbt. Sie war 1991 dorthin zurückgekehrt. Ich arbeite im grossen Garten und geniesse ihn, besuche meine Verwandtschaft. Ich habe zwei Cousins, die auch dort ein Sommerhaus haben. Aber es wird immer schwieriger für mich. Der Weg ist lang und die Gartenarbeit anstrengend.
«So wurde ich mit kultureller Vielfalt bekannt und beschenkt. Dafür bin ich noch heute dankbar.»
Marta Vajda
Wohin gehst du?
Mir ist bewusst geworden, dass ich nicht unbegrenzt den Wechsel zwischen der Schweiz und Ungarn machen kann. Ich muss mich langsam auf einen Abschied vorbereiten. Dadurch werde ich ein Stück Heimat verlieren. Daher hoffe ich, noch lange gesund zu bleiben, damit ich noch ein paar Jahre so weiter machen kann.
Sonst möchte ich noch reisen gehen. Die letzten drei Jahre ging das eher schlecht. Ferne lnseln kennen zu lernen macht mir Freude. Diesen März werde ich eine kleine Reise unternehmen, bevor ich nach Ungarn fahre.
Ansonsten nehme ich das Leben wie es kommt, lasse mich überraschen von den kleinen und grossen Schönheiten dieser Welt und versuche mich daran zu erfreuen.