Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Die Höhe des Lohns repräsentiert in unserer Gesellschaft den Wert der Arbeit. Wir leben weiterhin in einer Schweiz, in der manche Menschen wertvollere Arbeit verrichten – ist diese Wertung richtig?
Immerhin haben wir darüber diskutieren können. Vor der Bankenkrise 2008 wäre eine solche Diskussion über eine Lohnobergrenze wohl nicht möglich gewesen. Nationalrätin Jacqueline Badran (SP) twitterte am Abstimmungssonntag zu recht: «Egal wie es rauskommt: @JusoSchweiz hat mit @1zu12 Geschichte geschrieben. Dank euch, meine Medizin gegen den Kulturpessimismus.»
Vielleicht hat sich in den letzten Jahren da doch was verändert. Die Abzockerinitiative von Thomas Minder überraschte die schweizerische Politik und brüskierte die Wirtschaftsverbände. Es ist nicht weg zu diskutieren, dass sich die Bevölkerung an den Salären der CEO’s stört. Vielleicht hat die Initiative schlussendlich auch ein Absenderproblem gehabt: Was von der Juso kommt, ist schon mal zu links. Die Gegner scheuten auch nicht davor zurück, auf ihren Plakaten mit Symbolen des Kommunismus die Initiative abzustempeln.
Aber gegen das Anliegen, gegen die Idee selbst, hat niemand wirklich gekämpft. Mit Argumenten, die schon viele Male gehört, wurde auch bei dieser Abstimmung wieder gedroht. Die Manager würde man verlieren, bekämen sie ihren grossen Zapfen nicht mehr. Aber was für Manager sind denn das, die 100-mal mehr verdienen müssen als seine Reinigungsangestellte, damit sie in der Firma arbeiten? Sind das wirklich die Menschen, die ein Unternehmen verantwortungsvoll führen können?
Eigentlich war es ja noch milde
Die 1:12 Initiative hätte erreicht, dass kein Manager in einem Monat mehr verdient, als eine Angestellte in einem Jahr. Gerechtigkeit hätte die Initiative nicht geschafft. Aber ein Bewusstsein. Die Bevölkerung hätte die Arbeit einer Reinigungsangestellten und eines Managers in ein Verhältnis gestellt.
Arbeit ist für viele Menschen die Definition ihres Seins. Menschen sind, was sie arbeiten. Und die Arbeit ist soviel Wert, wie sie kostet. Menschen sind gleichwertig, darin ist man sich eigentlich einig. Wir schreiben es auch in die Verfassung. Aber bei der Umsetzung, beim Lohn sind Menschen plötzlich nicht mehr gleich viel Wert.
Dass ein Mensch zwölf Mal mehr verdient als ein anderer – das ist eigentlich immer noch eine grosse Spannweite. Warum haben dies bei der Abstimmung zu wenige erkannt?
Die Initiative 1:12 wurde in Bausch und Bogen abgelehnt. Gut so! Ein gerechter Lohn lässt sich aushandeln aber nicht vorschreiben.
Was lässt sich Wochen nach der Ablehnung einer Volksinitiative dazu noch Neues schreiben? Das Vordergründige ist abgehandelt. Es bleibt das Hintergründige.
Die Initiative 1:12 stand unter dem Titel «für gerechte Löhne». Ging es den Initianten wirklich darum? Oder ging es ihnen mehr um die Verhinderung «schamloser Abzockerlöhne»? Beide Anliegen stehen im Abstimmungstext der Befürworter: soziale Moral und Neidkultur. Beides erzeugt Schall und Rauch.
Was heisst «gerecht»? Für alle das gleiche? Jedem das Seine? Oder jedem das, was er braucht (und den Rest kassiert die Korruption)? Schon vor 2400 Jahren werkelten die griechischen Staatstheoretiker an der (Lohn-) Gerechtigkeit herum. Wortreich und erfolglos. Und ungerecht, weil in der Antike die meisten Abhängigen weder Lohn kriegten noch etwas zu sagen hatten – nämlich die Sklaven.
Im Mittelalter war dann ein gewisser Fortschritt zu verzeichnen. Vor 1000 Jahren war die Welt noch klar gegliedert: Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann. Die Ritter gehörten zur politischen, wirtschaftlichen und kriegerischen Führungsschicht. Von 1:12 sprach keiner, aber Masshalten war ritterliche Tugend.
Nochmals 1000 Jahre später ist nach dem liberalen Zeitalter der Industriepatrons das Zeitalter der grossen Aktiengesellschaften angebrochen. In deren Führungsschichten ist die Tugend des Masshaltens selten zu spüren. Aus der Verantwortung der Patrons für die Unternehmung ist die Verantwortung der Manager für die Dividenden der Investoren herausgewachsen. Investor ist, wer Geld hat und wer noch mehr Geld will.
Die Verschiebung der Verantwortung für die Unternehmung auf die Verantwortung für schnellen Profit mag ein ökonomischer und ökologischer Systemfehler sein. Aber bin ich froh, dass die Initiative abgelehnt worden ist, denn Tugenden lassen sich nicht gesetzlich vorschreiben. Ein gerechter Lohn lässt sich aushandeln aber nicht dekretieren.