
Bilder: Elias Rüegsegger
Werner: Lara, du hast im Wettbewerb «Jugend debattiert» mitgemacht. Du liebst offenbar die Debatte. Für mich hat das Wort einen negativen Klang. Mir kommt dazu das Bild zweier Leute in den Sinn, die beide recht haben wollen,ohne dem andern zuzuhören. Was verstehst du unter Debatte und was gefällt dir daran?
Lara: Für mich ist eine Debatte idealerweise etwas wie ein «Boxkampf» zwischen zwei Meinungen. Diese zwei Meinungen, welche sich notabene widersprechen, kämpfen darum, welche näher an der Wahrheit liegt. (Inder Praxis gibt es aber leider oft Ablenkungsmanöver, rhetorische Tricks, Missverständnisse und Meinungen, die gar nicht erst in den Ring steigen, aber von Anfang an so tun, als hätten Sie gewonnen.) Findest du nicht, so ein «Wettbewerb der Ideen» ist notwendig? Was für Alternativen zur Debatte schlägst du vor?
Werner: Kämpfen mag lustvoll sein, aber bringt es das Gespräch auch weiter? Bleibt nicht jedeR in der eigenen Meinung stecken? Ich ziehe es vor, dem Gegenüber gut zuzuhören und so meinen Horizont zu erweitern. JedeR von uns sieht einen Aspekt der Wirklichkeit, zusammen sehen wir mehr davon.
Lara: Zuhören ist natürlich wichtig. Aber die Wirklichkeit ist doch das Einzige, was wir alle gemeinsam haben. Nicht jede Meinung ist begründet, nicht jede Behauptung wahr. Wenn wir jede Meinung als «horizonterweiternd» sehen,dann denken wir doch schnell in Widersprüchen, glauben an eine runde und eine flache Erde. Wir glauben an denKlimawandel und wir glauben nicht daran. Können wir da jemals Entscheidungen fällen?

Werner: Da gebe ich dir vollständig recht. Fakten sind Fakten, und gelegentlich ist es wichtig, das mit Argumenten zu vertreten. Wischiwaschi-Aussagen finde ich nicht weiterführend. Doch bleibe ich dabei, dass es sinnvoll ist, die Sicht des «Gegners»zu respektieren und ernsthaft zu prüfen, denn es gibt nicht nur die Fakten, sondern auch deren Interpretation, und es ist nicht zum Vornherein sicher, dass die meine wahr oder vollständig ist. Also: Alle Meinungen,alle Aspekte prüfen, und wenn ich dann glaube, umfassend informiert zu sein, dann klare und engagierte Aussagenmachen.
Lara: Das sehe ich auch so. Es ist natürlich falsch, sich auf seine Meinung zu versteifen. Und das macht man schnell,wenn man die Meinung des anderen nur als «Gegner», sozusagen als Bedrohung, ansieht. Es ist also zu klären, welcheIdeen sich denn scheinbar widersprechen und welche Definitionen das Gegenüber benützt. Häufig widersprechen sichja zwei Aussagen gar nicht, weil gewisse Begriffe nicht definiert oder gleiche Sachverhalte unterschiedlich ausgedrücktwerden. So gefällt mir der Dialog gewissermassen als Auftakt zur Debatte. Was hältst du davon?
«Entscheidend ist für mich,ob es einfach ums Recht behalten geht oder um das Finden der Wahrheit, der richtigen Lösung.»
Werner Kaiser
Werner: Mir scheint, unsere Positionen sind gar nicht so weit voneinander entfernt. Debatte, um Argumente zuprüfen, Dialog als Klärung von Missverständnissen, das erscheint mir hilfreich. Entscheidend ist für mich, ob es einfach ums Recht behalten geht oder um das Finden der Wahrheit, der richtigen Lösung. Doch da gibt es noch einen ganz andern Gesichtspunkt. Meist geht es ja bei Debatte und Dialog um eine Sache. Für mich geht es aber in der Regel auch um mein Gegenüber als Mensch. Wenn wir beide jetzt miteinander diesen Dialog führen, interessiert mich natürlich das Thema. Aber es geht mir auch um die Begegnung mit dir. Ich lerne in dir einen interessanten Menschen kennen.Und das geht auch besser, wenn wir uns nicht in Kampfposition aufstellen.

Lara: Ich denke auch, dass wir uns gar nicht so uneinig sind. Es braucht Selbstbewusstsein, Neugier und Empathie, umeine sinnvolle Debatte zu führen, in der es eben nicht nur darum geht, Recht zu behalten. Das ist schwierig. Vor allem braucht es aber die strikte Trennung von Person und Meinung. Das ist noch viel schwieriger. Wenn ich meine Person(oder mein Gegenüber) an eine bestimmte Meinung kette, bin ich in einer Kampfsituation. Ich kämpfe gegen meinen Gegner, unsere Meinungen und Argumente spielen keine Rolle mehr. In einer guten Debatte aber lerne ich viel darüber, wie mein Gegenüber die Realität wahrnimmt, was seine grundlegendsten Werte sind. Ist es so nicht auch möglich, einen Menschen kennenzulernen?
Werner: Natürlich lerne ich den Menschen dabei kennen, mindestens, was das gewählte Thema betrifft, und dazu seine Art zu kommunizieren. Ich habe inzwischen von dir gelernt, dass Debatte nicht als Kampf zwischen Gesprächspartnern verstanden werden muss. Alles in allem komme ich zum folgenden Schluss: Debatte ist Leerlauf,wenn es nur ums Recht haben geht. Sie macht aber Sinn, wenn es darum geht, Argumente auszutauschen und so miteinander der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Beim Dialog kommt für mich noch ein weiteres Ziel dazu: einem Menschen persönlich zu begegnen.
Lara: Das stimmt. Debatte und Dialog scheinen, wenn man sich ein bisschen Mühe gibt, Lösungsversuche für unterschiedliche Probleme zu sein. Es kommt eben auf die Prioritäten an, welches Problem man lösen will. Du hast überzeugend dargelegt, dass neben einem Dialog auch eine gute Debatte sinnvoll sein kann. Und wir sind uns, glaube ich, einig, dass bei beidem ziemlich viel falsch laufen kann. Aber darüber kann man ja miteinander reden.