Der Wunsch nach ewiger Jugend zeigt sich seit Jahrhunderten in der Vorstellung, es gebe einen Brunnen, dessen Wasser die Kraft der Verjüngung besitze: den Jungbrunnen. Der Maler Lucas Cranach der Ältere veranschaulichte dies in seinem Gemälde «Der Jungbrunnen». Das Bild, heute in der Gemäldegalerie Berlin, malte er mit 74 Jahren – er kannte also die Freuden und Leiden des Alters. Das Thema bot ihm die Gelegenheit, die Badekultur seiner Zeit als Genrebild zu veranschaulichen, seine Fähigkeiten in der Aktmalerei zu beweisen sowie Brauchtum und Kleidermoden darzustellen.
Die reinigende, heilende Wirkung des Wassers spielte auch in den Religionen seit jeher eine zentrale Rolle, insbesondere in den Taufriten, welche die innere Verwandlung und Läuterung der Täuflinge zum Ziel hatten. Das Gemälde von Cranach zeigt im Gegensatz dazu eine äussere Verwandlung: Alte Bürgerinnen, Adelsfrauen und Nonnen werden auf Wagen und Schubkarren zum Jungbrunnen gebracht, wo sie von Badepersonal betreut werden, bevor sie ins Wasser steigen, dessen verjüngende Kraft am eigenen Leib erleben und schön, frisch und gesund aus dem Bad steigen.
Wer möchte sich nicht im Jungbrunnen reinwaschen von den Nöten und Einschränkungen des Alters, um das Leben wieder unbeschwert geniessen zu können? Doch würde eine solche Verjüngung überhaupt Sinn machen? Wäre sie erstrebenswert? Hat nicht auch das hohe Alter mit seinen teils beschwerlichen Seiten viele Qualitäten und Vorteile? Martin Rüedi (57) interviewt Werner Kaiser (83) und Mara Ludwig (19).
Welche Motive und Bedürfnisse treiben die Frauen in den Jungbrunnen?
Werner Kaiser (83): Da frage ich mich doch gleich, warum nur Frauen zum Jungbrunnen strömen. Wollen Männer nicht jung sein? Leiden Männer nicht unter dem Alter? Geht es einfach um das jugendliche Aussehen? Wollte der alte Cranach vor allem schöne junge Frauen sehen?
Mara Ludwig (19): Als Frau hat man den ständigen Druck, perfekt auszusehen. Seit Jahrtausenden wird ein junges Aussehen als schön angesehen. Wir Frauen tun gefühlt alles, um den Männern zu gefallen. Möglicherweise gehen die Frauen alle zum Jungbrunnen, um ihre Jugend und damit die Gunst der Männer zu erhalten.
Zwar glauben viele nicht mehr an die Existenz eines Jungbrunnens, doch welche Verjüngungs-Angebote gibt es heute?
Werner: Heute ist ja fast alles möglich. Und wenn wir Zukunftsforscher fragen, wird bald einmal auch ewiges Leben möglich sein. Google soll eine Abteilung geschaffen haben, die daran arbeitet. Schon kann man sich einfrieren lassen. Hoffentlich reicht der elektrische Strom für die gewünschte Zeit! Für eine vorübergehende Verjüngung gibt es die plastische Chirurgie. Wer es wagt, dem wünsche ich, dass es besser herauskommt als bei Berlusconi.
Mara: Vor meinem inneren Auge ploppen da Regale aus Supermarkt, Apotheken oder Beautyshops auf, die alle randvoll gefüllt sind mit Wundercremen, die das Hautbild verjüngen sollen. Ob das Ganze funktioniert, hinterfragen leider nicht alle. Zudem gibt es Eingriffe wie Botox und sonstige Schönheitsoperationen.
Warum steigt die sitzende und in ein Tuch gehüllte Frau, die aus dem Bild herausschaut, nicht ins Wasser?
Werner: Offensichtlich sucht sie jemand oder etwas. Vielleicht jemand, der ihr ins Wasser hilft? Kann auch sein, dass eine Verwandte sie hierhergebracht hat und sie gar nicht ins Wasser will. Sie glaubt doch diesen Kram nicht. Sie schaut herum, was das für komische Leute sind, die jung werden wollen.
Mara: Irgendwie erweckt die Frau bei mir den Eindruck, dass sie sich schämt. Auch die Art, wie sie sich in ihr Tuch wickelt und dasitzt, wirkt auf mich sehr verunsichert oder gar beschämt. Womöglich ist es ihr peinlich, ihren alten Körper zu zeigen? Oder sie hat Bedenken, ob der Brunnen überhaupt funktioniert? Oder Angst, dass sie «süchtig nach der Jugend» werden könnte, wenn sie mal damit anfängt?
Jungsein scheint beliebter als Altsein – aber warum? Haben nicht auch junge Menschen mit Schwierigkeiten, Nachteilen und Einschränkungen zu kämpfen?
Werner: Auf die Rückenschmerzen, die das Alter mir einbrockt, könnte ich gut verzichten. Auf die Peinlichkeiten der Pubertät, die Hilflosigkeit des beruflichen Anfängers, die Umtriebe im Heiratsmarkt aber auch. Statt über Jungsein zu rätseln, ziehe ich es vor, mit den Gegebenheiten meiner Altersstufe auf sinnvolle Weise zurechtzukommen.
Mara: Ich denke, dass jedes Alter sowohl Vor- als auch Nachteile hat. In der Jugend befindet man sich in einer Findungsphase und muss entdecken, wer man eigentlich ist und wer man sein will, was nicht immer leicht ist. Aber der Körper ist fit und macht so gut wie alles mit. Ich gehe davon aus, dass man im Alter eher weiss, wer man ist und sich seiner selbst sicherer ist als in der Jugend. Dafür macht im Alter meistens der Körper schlapp und die Probleme häufen sich. Ich muss sagen, ich geniesse meine Jugend, habe aber auch keine Angst vor dem Altern.
Im Alter schwindet die körperliche Leistungsfähigkeit, Gebrechen und Einschränkungen nehmen zu. Kann man auch diesen Altersbeschwerden etwas Positives abgewinnen?
Werner: Rilke schwärmt in den Duineser Elegien einmal davon und meint, wir seien «Verschwender der Schmerzen», wenn wir nicht daran wachsen. Hat ja etwas. Aber ich bin schon ganz froh, wenn ich Lebensqualität, Kreativität und Beziehungsfähigkeit erhalten kann.
Mara: Möglicherweise nimmt man sich mehr Zeit für alles, was auch mal den Geist entspannen kann. Man muss nicht immer allem hinterherrennen und ist viel mehr «bei sich».
Welche Qualitäten und Fähigkeiten bietet nur das Alter?
Werner: Während ich früher mitten im Strudel des Lebens stand, sehe ich jetzt vieles aus Abstand und damit in grösseren Zusammenhängen. So kann ich vieles besser einordnen und dann auch wieder einmal loslassen. Man nennt das Gelassenheit. Muss dabei allerdings aufpassen, dass es nicht in Gleichgültigkeit kippt.
Mara: Erfahrung und Wissen über das Leben, welche man in den früheren Jahren gesammelt hat. Vielleicht auch eine gewisse Gelassenheit, da man in seinem Leben ja schon vieles erlebt hat und nicht mehr von Abenteuer zu Abenteuer rennen muss.
Das Jungsein verbindet man mit Eigenschaften wie Lernfähigkeit, Lebenslust, Schönheit und Weltoffenheit. Wie kann man sich in diesem Sinn beim Älterwerden jung erhalten?
Werner: Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es. Es braucht nichts Künstliches. Einfach dran bleiben.
Mara: Ich würde sagen, man lernt nie aus. Offen bleiben und schauen, was auf einen zukommt. Alt sein muss nicht Einsamkeit, Isoliertheit und Langeweile bedeuten! Rausgehen und Leute kennenlernen kann man nämlich in jedem Alter!
Was gibt es für drei Gründe, sich auf das Alter zu freuen?
Werner: Da ich schon alt bin, brauche ich mich nicht mehr darauf zu freuen. Und alle andern: Lebt das Alter, das euch zurzeit zugeteilt ist. Der Rest kommt von selbst.
Mara: Nur drei Gründe zu nennen, finde ich schwierig. Ich denke, das Alter bringt so viel Positives mit sich. Aber ich versuche es dennoch: Gelassenheit, Lebenserfahrung und die vielen Erlebnisse und Erinnerungen, die man gesammelt hat.
Zum Schluss: Auch in der Poesie gab es Jungbrunnen, und zwar für Frauen und Männer. Der Dichter Hans Sachs beschrieb die Beschwerden des Alters in seinem «Der Jungbrunn» (1557) wie folgt: «Zusammen kam ein Hauf der Alten, wunderlich, sunderlich, ungestalten, zahnlückig, runzelig und kahl, zitternd und krätzig überall, mit trüben Augen, schwachen Ohren, vergeßlich, tappig, halbe Thoren.» Nach einer Stunde springen Frauen und Männer verjüngt aus dem Wasser, mit leichtem Sinn und aufrechten Ganges. Auch der Dichter steigt in den Jungbrunnen, erwacht jedoch beim Einstieg aus seinem Traum und konstatiert, dass er nun seine alte Haut wohl ein Leben lang tragen müsse.
Auf dem Gemälde kommen nur Frauen mit einer Kopfbedeckung zum Jungbrunnen, also verheiratete Frauen. Jene, die noch nicht unter die Haube gekommen waren, liessen damals ihr Haupt unbedeckt. Die Frauen steigen folglich verheiratet in den Jungbrunnen und kommen unverheiratet heraus – zugleich mit ihren Altersbeschwerden werden sie auch ihre Männer los und können sich auf dem Heiratsmarkt neu orientieren.
Viele möchten heute vermutlich jung sein, weil sie so die Konfrontation mit der eigenen Vergänglichkeit aufschieben können. Ferner sind die spezifischen Einschränkungen und Nöte des Alters offenbarer als jene der Jugend, vor allem die Angst durch den Verlust eigener Kräfte fremdbestimmt zu werden. Der amerikanische Autor Mark Twain (1835–1910) bot dazu eine erstaunliche Problemlösung an: «Das Leben wäre viel schöner, wenn wir als 80-Jährige geboren und uns nur langsam, langsam dem 18. Lebensjahr nähern würden.»