Werner: Annina, kürzlich wollte meine Frau mich überzeugen, mit ihr in den Schadaupark spazieren zu gehen. Das Wetter war mies, kalt, windig, neblig. Und ich hätte eigentlich an einem Text für UND arbeiten wollen. Aber doch, spazieren ist ja gesund. Ich ging schliesslich mit. Habe ich mich da manipulieren lassen? Ich selber habe das Gefühl, ich hätte schliesslich selber entschieden.
Annina: Ich weiss nicht, wie manipulativ deine Frau ist, aber ich gehe mal nicht davon aus, dass sie dir den Spaziergang gegen deinen Willen aufgezwungen hätte. Ihr Vorschlag, spazieren zu gehen, hat dich vor eine Wahl gestellt: rausgehen oder daheim bleiben und schreiben. Du musstest dich entscheiden, zu einer Option Ja und zur anderen Nein sagen. Oder beides ablehnen und einer dritten Tätigkeit nachgehen. Da nähme mich wunder: Aus welchen Gründen hast du denn entschieden, mitzugehen?
Werner: Du hast ja recht. Im Grunde hat nicht meine Frau entschieden, sondern ich mit meiner Einsicht gegen meine Bequemlichkeit. Es war wirklich vernünftig, mitzugehen. Ich brauche ja Bewegung und frische Luft. Da gibt es wohl andere Beispiele, bei denen wir gesteuert werden, ohne es zu merken. Ich denke an die Werbung, die oft nicht einfach informiert, sondern uns über emotionale Bilder zu beeinflussen versucht. Man wirbt für eine Versicherung und zeigt eine schöne Familie in idyllischer Landschaft.
Nachgeben, um zu gefallen
Annina: Und das soll suggerieren, dass ein Vertrag bei dieser Versicherung ein sorgenfreies Familienleben möglich macht. Dieses Beispiel spielt ganz klar mit Emotionen, doch finde ich es als Konsumentin leicht durchschaubar. Setze ich Vernunft und Logik ein, merke ich schnell, dass ich mir mit der Versicherungsprämie keine idyllische Familie kaufe. Das Problem beginnt für mich da, wo ich nicht mehr merke, dass ich mich leiten lasse, statt frei zu entscheiden. Zum Beispiel, wenn ich in einer geselligen Runde Wein trinke und immer jemand nachschenkt. Irgendwann merke ich, dass ich mehr getrunken habe, als ich eigentlich wollte, weil alle rundum auch trinken. Erlebst du auch Situationen mit solchem Gruppendruck?
«Man wirbt für eine
Werner Kaiser
Versicherung und zeigt eine schöne Familie in idyllischer Landschaft.»
Werner: Ja, manchmal in Gesprächen spüre ich einen Druck, zu sagen, was gefällt, statt was ich wirklich denke. Vor allem bei Gruppen, die mich nicht kennen. Ich möchte ja gut ankommen. Gar keinen Druck spüre ich hingegen beim Konsum, etwa bei Kleidern. Was Mode ist, interessiert mich nicht. Da ist höchstens der Druck, bald wieder aus dem Laden heraus zu kommen und deshalb das zu nehmen, was gerade zu haben ist.
Annina: Dann lässt du dich aber auch manipulieren. Vielleicht hat der Ladenbesitzer ja gerade das teuerste Hemd zuvorderst hingelegt und es gäbe ein ebenso passendes Stück für zwei Drittel des Geldes. Weil es dich nicht interessiert, suchst du nicht lange und kaufst, was sie dir vor die Nase halten. Ich versuche mittlerweile, eher umgekehrt einzukaufen. Wenn ich etwas Bestimmtes möchte, suche ich im Laden danach. Allerdings lasse ich mich auch da von der aktuellen Mode beeinflussen. Gerade kürzlich kaufte ich ein Kleid, weil ich diesen Stil zuvor an anderen Frauen gesehen hatte und dachte: Das will ich auch. Und ich gebe ehrlich zu: Ich verlasse den Laden meist mit mehr Stücken, als ich zuerst kaufen wollte.
«Gefällt mir nicht»
Werner: Ja gut, allen ihr kleines Laster. Ich wollte aber noch auf etwas anderes zu sprechen kommen. Ich bin bei Facebook und klicke gerne auf «Gefällt mir», wenn ich einen Text, ein Video gut finde. Nun stelle ich fest, dass ich nur noch Meldungen bekomme, die mir gefallen. Das sei üblich bei Facebook. Ich bekomme serviert, was mir schmeckt. Das ist doch Manipulation! Da erfahre ich ja gar nicht mehr, was Andersdenkende denken. Also in diesem Fall leistete ich Widerstand. Ich habe ganz bewusst Seiten einer Partei und einer Organisation abonniert, die anders denken als ich. Aber da kennst du dich sicher besser aus.
Annina: Das finde ich eine tolle Strategie, wie du dem Facebook-Algorithmus entgegenhältst! Die «Bubbles» in den sozialen Netzwerken sind nämlich wirklich ein Problem – Falschnachrichten verbreiten sich darin beispielsweise auch extrem schnell. Ein anderes Beispiel ist die personalisierte Werbung. Bei Instagram etwa klicke ich konsequent die Werbung weg. Resultat: Die Anzeigen sind sehr durchmischt, mal sprechen sie mich an, mal interessieren sie mich gar nicht. Hingegen hat mir jemand in meinem Alter erzählt, dass ihre Instagram-Werbung immer genauer ihren Geschmack treffe. Weil Facebook und Google so viele Daten über uns besitzen, ist es für sie noch einfacher als früher, unser Kaufverhalten zu beeinflussen. Das finde ich schon bedenklich.
Werbung oder Journalismus?
Werner: Bei den Zeitungen bin ich manchmal auch unsicher. Ich denke nicht, dass die RedaktorInnen unserer Zeitungen uns manipulieren möchten. Ausser, wenn es Parteiblätter sind und die Wahlen näher kommen. Aber RedaktorInnen sind doch angewiesen auf die Meldungen, die bei ihnen eingehen. Sie müssen auswählen. Um selber zu recherchieren, haben sie kaum mehr Zeit. Es heisst, die Agenturen seien immer mehr in den Händen grosser Konzerne. Ich versuche mir einfach zu helfen, indem ich verschiedene Quellen benutze.
Annina: Ich habe die letzten zwei Jahre bei einer Lokalzeitung gearbeitet und kann deinen Eindruck bestätigen: Oft bleibt wenig Zeit für eigene Recherchen. RedaktorInnen übernehmen eingesandte Pressetexte als Ganzes und verbreiten das Wording der Firmen und Behörden weiter: Ohne es zu wollen, werden sie zu deren PR-Agenten. Ein anderes Problem ist die Werbung, die als Publireportage oder Native Advertising verkauft wird: versteckt als journalistische Inhalte. Schaut man sich die Inhalte nicht mit einer kritischen Haltung an, fällt man schnell darauf rein. Vielleicht ist es genau diese Haltung, die uns vor Manipulation bewahrt: eine kritische Distanz zu Werbung, Social Media oder klassischen Medien, aber auch gegenüber dem eigenen Handeln.