
Lea Schütz (18), Werner Kaiser (83)
Werner: Lea, du hast kürzlich am Podiumsgespräch «Klimanotstand – was tut Thun?» teilgenommen. Wie ging es dir dabei?
Lea: Ich fand das Podium sehr interessant. Die Teilnehmenden waren gut ausgewählt. Viele verschiedene Aspekte kamen zur Sprache. Es ging mir sehr gut dabei.
Werner: Mir schien auch, dass du dich wohlfühltest. Ich habe übrigens gestaunt, wie gut informiert und mutig du aufgetreten bist. Hast du den Eindruck, der Stadt Thun ist es ernst, wenn sie den Klimanotstand ausgerufen hat?
Lea: Ja, sie nimmt es ernst. Natürlich könnte sie es aus meiner Sicht noch ernster nehmen. Ich wünsche mir noch etwas mehr Dringlichkeit im Vorgehen, aber in den zwei Jahren, seit Linus und ich im Stadtrat das Thema Klimanotstand aufs Tapet brachten, ist schon einiges gelaufen. Der Stadtrat fasste konkrete Beschlüsse: vermehrt Wege und Abstellplätze für Velos schaffen, Elektrifizierung der stadteigenen Fahrzeuge, Sanierung der eigenen Gebäude, Errichtung einer Fernwärmeanlage. Die Stadt will so Vorbild sein für ihre Bürgerinnen und Bürger. Hast du es auch so erlebt?

«Ich war erfreut über das konstruktive Klima am Politpodium.»
Werner Kaiser (83)
Werner: Ich war erfreut über das konstruktive Klima am Politpodium. Es gab viele sehr differenzierte Aussagen, wenig pauschalisierende Plattitüden. Nicht parteipolitische Kampfansagen dominierten, sondern Auseinandersetzung über verschiedene Wege, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Raphael Lanz, der Stadtpräsident, zeigte glaubhaft auf, dass es nicht immer einfach ist, klimafreundliche Massnahmen einzuleiten. Es gibt vieles zu bedenken, es gibt technische und politische Hindernisse. Doch der Wille, dem Klimanotstand gerecht zu werden, war deutlich spürbar. – Wie kamst du dazu, an der Klimabewegung teilzunehmen und dich so voll zu engagieren? Wer oder was hat dich dazu motiviert?

Jürg Grossen (52), Präsident GLP Schweiz, Lea Schütz (18), Klimastreik, Marc Barben (32), Stadtrat Grüne,
Markus van Wijk (63), Stadtrat FDP, Raphael Lanz (53), Stadtpräsident SVP,
Mirjam Läderach (29), WWF Kanton Bern. –
Bild: Hans-Peter Rub
Lea: Ich bin ja schon lange als Klimaaktivistin tätig. Anfangs hat mich Linus mit diesen Fragen bekannt gemacht. Er ist es, mit dem zusammen ich später vor dem Stadtrat aufgetreten bin. Bald waren wir in Thun eine Gruppe und organisierten den ersten Klimastreik. Etwa 50 Leute nahmen teil. Daraus wurde dann immer mehr. Im Mai waren wir schon 800. Und schliesslich traten wir im Stadtrat auf und reichten den Antrag auf Klimanotstand ein. – Wie kamst du, Werner, mit dem Thema Klimawandel in Berührung?
Werner: Ich habe zweimal an eurem Klimastreik teilgenommen, auch am grossen Streik in Bern. Ich staunte, wie fröhlich und gleichzeitig engagiert das zu und her ging. Das ist man sich von andern Demos nicht gewohnt. Aber der Klimawandel beschäftigt mich natürlich schon lange. Zuerst war es der Club of Rome 1971 mit seiner Botschaft, die Rohstoffe ständen nicht unbegrenzt zur Verfügung. Dann die ganze Umweltschutz-Bewegung mit «Jute statt Plastik» und «Bananenfrauen», die Diskussionen um das Waldsterben, um die Ozonschicht, die Demos um das Atomkraftwerk in Kaiseraugst. Die Älteren unter uns werden sich erinnern. Das alles bildet für mich eine grosse Linie, die heute in der Klimadebatte weitergeht.
Lea: Und auch der Klimastreik geht weiter. Jetzt ist der Klima-Aktionsplan aufgegleist. Es gibt nun konkrete Pläne und Forderungen. Oft gingen die Appelle nur an die einzelnen Menschen. Jetzt gelangen wir mit den Forderungen auch an die Politik. Wenn Thun den Klimanotstand ausruft, ist das ein Schritt in diese Richtung.
Werner: Wie geht es jetzt weiter? Teile eurer Bewegung leisten passiven Widerstand, wie kürzlich auf dem Bundesplatz. Wird die Bewegung aggressiv, wenn die Politik weiter zaghaft reagiert?
Lea: Wenn nichts geschieht, müssen wir Druck aufbauen. Am 21. März kommt der «Strike for future». Wir müssen möglichst viele Leute aufbieten können. Da werden wir auch mit Gewerkschaften zusammenarbeiten. Dabei gilt immer klar: Passiver Widerstand, wenn nötig ja, aber keine Gewalt, keine Sachbeschädigung.
Werner: Wir werden heute mit unzähligen Bedrohungen eingedeckt. Ganz abgesehen von den Klimafragen gibt es die militärische Aufrüstung, seit Neuestem auch im Weltall, Luftverschmutzung, Gletscherschmelze, Flüchtlingsströme, drohende Kriege, Terrorismus, Cyberkrieg. Das alles bewegt mich sehr. Eigentlich haben wir viel Grund, Angst zu haben. Wie gehst du damit um? Was hilft dir, den Mut nicht zu verlieren, dranzubleiben?
«Manchmal erscheint mir
Lea Schütz (18)
die Zerstörung, die es schon gibt
und die noch droht,
geradezu unermesslich.»
Lea: Manchmal erscheint mir die Zerstörung, die es schon gibt und die noch droht, geradezu unermesslich. Und manchmal verzweifle ich fast, wenn ich sehe, wie wenig dagegen geschieht. Aber gleichzeitig denke ich, dass nicht alles verloren ist, dass noch Hoffnung besteht, dass sich noch etwas dagegen tun lässt. Ich kann jetzt tun, was in meiner Macht steht. Etwas zu tun, macht es schon erträglicher. Ich sehe auch, wie viele Menschen sich engagieren. Unvergesslich ist mir die «Klimademo des Wandels» im September 2019, an der fast 100‘000 Leute teilnahmen. Da spürte ich: Ja, es gibt genug Leute, denen das Klima am Herzen liegt und die dafür einstehen.
Werner: Da freuen wir uns doch schon auf den 27. Juni. Das Klimafest findet um 14.30 Uhr in der Schadau-Gärtnerei in Thun statt. Hoffen wir, dass auch da viele Junge und Junggebliebene dabei sein werden.
Das Podiumsgespräch zum Klimanotstand in Thun zum Nachhören: